Der Sohn des Apothekers. Ulrich Hefner
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Читать онлайн книгу Der Sohn des Apothekers - Ulrich Hefner страница 17
»Zweimal war ich schon auf Entzug«, stammelte er. »Ein drittes Mal wird es nicht geben. Sie streben die Verrentung an, ich bin seit über zwei Jahren arbeitsunfähig, aber danach fragt kein Mensch. Diese Schweine haben mir meine Tochter gestohlen und mein ganzes Leben zerstört.«
Trevisan schluckte und schwieg, bis sich Robert Reubold langsam beruhigt hatte. Schließlich wischte sich der Mann mit dem Unterarm die Tränen weg und schaute auf. »Weshalb sind Sie eigentlich hier?«
»Ich wollte mit Ihnen sprechen und mir ein Bild machen, außerdem wollte ich Sie zu Tanja befragen. Ihre Eltern sind leider bei einem Unfall …«
»Ich weiß, sie haben es besser gemacht als Elsa und ich. Sie haben einen Schlussstrich gezogen.«
»Sie glauben, sie haben sich umgebracht?«
»Ich weiß es«, antwortete Robert Reubold trocken. »Meli und Tanja kannten sich seit der fünften Klasse, sie sind zusammen aufgewachsen. Sie wohnte ein paar Blocks weiter. Sie haben alles gemeinsam gemacht, sie sagten sogar, dass sie gemeinsam Medizin studieren wollten und dann kam diese Radtour, diese gottverdammte Radtour. Ich war von Anfang an dagegen, aber wenn sich die Mädels etwas in den Kopf gesetzt hatten … Ich hätte sie aufhalten müssen.«
»Sie konnten nichts tun«, versuchte Trevisan zu beruhigen, denn schon wieder kullerten Tränen über Reubolds Wange.
»Wir haben alle zusammen die Tour bis ins Kleinste geplant. Die Übernachtungen, die Tourenpläne … Sie hätten längst schon fast in Nienburg sein müssen, als es passierte.«
»Woher wissen Sie, wann es passiert ist?«, fragte Trevisan.
»Es weiß niemand genau, aber ein Polizist meinte, es soll nach drei Uhr mittags gewesen sein. Das Abendessen in Nienburg war bestellt, sie hätten es nicht mehr rechtzeitig dorthin geschafft. Sie müssen aufgehalten worden sein.«
»Oder sie haben die Zeit vergessen.«
»Sie haben abgekürzt, die Route sah nur Hauptstraßen vor. Ich wollte nicht, dass sie durch unbelebte Gegenden fuhren. Ich wollte, dass sie dort bleiben, wo es genügend Menschen gibt. Man weiß ja nie, welchen Spinnern man begegnet.«
Trevisan nickte. »Das kann ich verstehen. Gibt es eigentlich noch jemanden hier im Ort, der Tanja nahestand?«
Robert Reubold schaute Trevisan fragend an. »Wie meinen Sie das?«
Trevisan fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ich meine, wenn Tanja aufwacht. Ihre Eltern sind tot und es gibt nur noch eine Tante, die in Amerika lebt. Ich meine eine Vertrauensperson, die Tanja wiedererkennen könnte, damit sie wenigstens ein bekanntes Gesicht sieht, falls sie jemals wieder zu sich kommt.«
Robert Reubold nickte. »Ich verstehe. Die einzige Bezugsperson dürfte Elsa sein, meine Frau. Die Sommerlaths hatten nur wenig Kontakt hier.«
Trevisan erhob sich und streckte Reubold seine Hand entgegen. »Ich wünsche Ihnen, dass Sie das Leben wieder in den Griff kriegen und auch mit Ihrer Frau wieder zusammenkommen, mehr bleibt einem nicht im Leben. Und ich verspreche Ihnen, dass ich alles tun werde, was in meiner Macht steht, um Ihre Meli zu finden.«
Robert Reubold winkte ab. »Das hat Ihr Vorgänger auch versprochen. Aber ich habe nie mehr von ihm gehört.«
Trevisan nickte. »Ich finde schon hinaus«, sagte er, als Reubold sich erheben wollte.
*
»Sie sitzen in U-Haft und wurden auf verschiedene Gefängnisse verteilt«, berichtete Sina. »Drei sitzen im Staatsgefängnis von Horsens, zwei in Ringe und der Haupttäter im Sicherheitstrakt von Nyborg, das ist am anderen Ende von Dänemark.«
»Im Staatsgefängnis, sagst du?«, fragte Justin. »Weißt du, wer die Ermittlungen führt?«
Sina blätterte ihren Notizblock um. »Die Reichspolizei ist da federführend. Ein Chefinspektor Mats Brandstrup ist der Ermittlungsführer und ein Polizeimeister Will Viksom taucht in den Akten auf. Die Polizei in Esbjerg ist daran nicht beteiligt. Für die regionale Polizei ist die Sache wohl zu heiß und die Fäden werden direkt in Kopenhagen gezogen. Man befürchtet Aktionen, es gibt offenbar noch weitere Splittergruppen, die über ganz Dänemark verstreut sind.«
Justin schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Verdammt, die Reichspolizei, da kommen wir nicht ran. In Esbjerg kenne ich jemanden, der bei der zuständigen Stelle für den Bezirk Syd- or Sonderjyllands arbeitet. Aber bei der Reichspolizei beißt man sich die Zähne aus, da wird es gleich politisch. Hast du sonst noch was für mich?«
Sina erhob sich und trat von hinten an Justin heran. Sanft streichelte sie ihm über das blonde, wellige Haar. »Wenn du brav bist.«
Justin ergriff ihre Hand und schob sie beiseite. »Sina, wir sollten Arbeit und Privatleben trennen.«
»Was soll man trennen?«, fragte eine dunkle Frauenstimme. Justin fuhr zusammen und Sina zog blitzschnell ihre Hand zurück. Monika Keppler, die Chefredakteurin, hatte den Raum betreten.
»Die Verbrecher«, antwortete Justin, während Sina sich abwandte und zu ihrem Platz zurückkehrte. »Die Rocker. Sie sitzen in unterschiedlichen Gefängnissen und die Reichspolizei leitet die Untersuchung.«
Monika Keppler, die scherzhaft von der Belegschaft der Redaktion Alices Schwester genannt wurde, in Anlehnung an Alice Schwarzer, verzog ihre Mundwinkel. »Da haben wir keine Chance«, sagte sie mit ihrer tiefen, maskulinen Stimme.
»Ich habe noch die Adresse, wo die Mädchen festgehalten wurden«, berichtete Sina kleinlaut. »Lejvejen 5 in Padborg, das ist ein altes Gehöft und steht nun leer.«
Justin erhob sich. »Immerhin etwas. Ich fahre morgen hin.«
»Du bleibst!«, befahl Monika Keppler. »Du kümmerst dich weiter um dieses Dorf. Nina und Henry übernehmen Padborg. Sie sollen ein paar Nachbarn fragen und ein paar Bilder machen. Mehr ist in Dänemark sowieso nicht zu holen. Aber ich will, dass du mit diesem debilen Jungen Kontakt aufnimmst und ein paar schöne Fotos machst. Ich habe deine Notizen gelesen und halte die Aussage dieses Apothekers für sehr wichtig. Das mit dem Behördenirrtum sollte der Kern der Reportage werden, meinst du nicht auch, Justin?«
Justin zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht.«
Monika Keppler lächelte. »Deswegen habt ihr mich«, sagte sie, ehe sie sich umwandte und den Raum verließ.
»Verdammte Scheiße«, fluchte Justin. »Das ist meine Geschichte!«
Sina lächelte. »Jetzt wohl nicht mehr«, sagte sie schnippisch.
9
Montag
Trevisan hatte versucht, am Sonntag auszuspannen, doch es war ihm nur leidlich gelungen. Das Schicksal der beiden verschwundenen Mädchen und das Gespräch mit Robert Reubold am gestrigen Samstag hatten ihn zu sehr beschäftigt. Er hatte an Paulas Entführung vor über einem Jahr gedacht und daran, dass er sie quasi in letzter Sekunde aus den Fängen eines Wahnsinnigen retten konnte, der ihren Tod bereits beschlossen hatte. Was, wenn er damals zu spät gekommen wäre? Wäre er wie Robert Reubold geworden, wäre auch ihm das Leben angesichts dieses schweren Schicksalsschlags