Mords-Töwerland. Angela Eßer
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Читать онлайн книгу Mords-Töwerland - Angela Eßer страница 3
»Ist Jan vielleicht unterwegs?«, fragte sie aufs Geratewohl.
»Bei dem Sturm? Wo soll er da hin?«, erwiderte Imke. »Jan bringt mir freitags Brötchen. Immer. Jeden Freitag.« Die Dame überlegte. »Seit 23 Jahren.«
Tanja redete beruhigend auf die besorgte Mutter ein und versprach, bei Jan im Loog nach dem Rechten zu sehen.
Mit Thermounterwäsche und Wetterzeug bestieg sie das Dienstfahrrad. Auf der Billstraße nach Westen trieb sie Rückenwind an. Die Augen tränten. Den zwei Menschen, die ihr auf dem Dammweg entgegen kamen, schenkte sie in der Eile keine Beachtung.
Der Anführer und die Holländerin, die er auf den Namen Antje getauft hatte, waren zum Dorf unterwegs. Er fühlte sich pudelwohl in den Klamotten. Die Schirmmütze mit »Juist sehen und sterben«-Schriftzug war eine Zumutung, aber wichtig, um nicht erkannt zu werden. Die Jacke war etwas weit, die Ärmel etwas zu lang, aber alles in allem hatte er einen guten Fang gemacht. Antje hatte weniger Glück beim Durchstöbern der Kleidungsstücke, die von Urlaubern im Seeferienheim zurückgelassen oder vergessen wurden. Mit der zu engen Windjacke und den Jeanshosen kam sie sich sonderbar deutsch vor. Waffe und Messer lagen griffbereit in der Gürteltasche.
»Ich halte mich zurück, du redest«, wies er sie an. »Nicht, dass mich einer der Inselaffen erkennt.«
*
Die Polizistin hatte Jans Häuschen erreicht und läutete. Sie kannte ihn als flinken, trinkfreudigen, höflichen Barmann aus der »Spelunke«. Wie die verstörte Mutter gesagt hatte, war er nicht daheim. Sie ging um das Häuschen, sah im Garten nach und griff den Schlüssel unter dem einzigen Blumentopf auf der Terrasse. Es musste einen Grund geben, eine 23-jährige Tradition zu unterbrechen. Beim Eintreten machte sie sich bemerkbar und schritt durch die Räume. Jan schlief nirgends einen Rausch aus. Nichts Ungewöhnliches fiel ihr auch im oberen Stockwerk auf, sodass sie das Haus verließ und das Dienstrad wieder bestieg.
Zurück ins Dorf strampelte sie gegen den Wind und traute ihren Augen nicht, als sie Imke entdeckte. Sie versuchte, mit dem Rollator über den Strandaufgang zum Meer zu gelangen. Tanja bremste mit quietschenden Reifen und wischte das Gesicht ab. Der Rollator mitsamt der alten Dame schwankte im Sturm gefährlich hin und her. »Imke! Warte!«, rief sie.
Aber die Dame reagierte nicht. Innerlich fluchend stellte sie das Dienstrad ab und lief zu ihr. »Wo willst du denn hin?«, fragte Tanja sie.
»Hier gehen wir immer spazieren, Jan und ich«, erwiderte sie verwirrt.
»Weißt du was«, schlug Tanja vor. »Ich bringe dich heim, dann sehe ich am Strand nach.«
Die Polizistin war sich nicht sicher, ob die alte Frau sie verstanden hatte. Deshalb hakte sie sich bei Imke Jacobs energisch unter und brachte sie nach Hause. Goss ihr noch einen Tee auf und machte sich auf den Weg zum Strand.
Was sie dort aber vor sich sah, bedeutete noch mehr Arbeit. Sie rief Peter von der Freiwilligen Feuerwehr an, um ihm ein gestrandetes Motorboot zu melden.
Im heulenden Sturm hatte das falsche Touristenpaar den Hafen erreicht. Die Leuchtanzeige der Fährgesellschaft war ausgefallen. Die Geschäftsstelle und das Hafenrestaurant waren geschlossen.
»Zum Flugplatz?«, fragte Antje.
»Schwachsinn!«, fluchte der Anführer. »Willst du etwa direkt in die Hölle fliegen bei dem Sturm?« Beide sahen, wie im Eiltempo Wolkengebilde über ihnen vorbeizogen, und gingen weiter.
»Wir fragen bei der Touristeninformation nach«, beschloss der Anführer.
Im Dorfkern begegneten sie niemandem in der Bahnhofstraße, wo sie vergeblich nach einem Bahnhof Ausschau hielten. Am Kurplatz herrschte auf den Parkbänken gähnende Leere. Sie passierten geschlossene Geschäfte. Hoffnung keimte beim Anführer auf, als er die Abbildung einer Currywurst in der Fensterscheibe von »Frankies Grillrestaurant« erspähte. Doch auch der Laden hatte an dem Samstagmorgen geschlossen. Direkt gegenüber trat aus dem »Friesenhof« gerade ein distinguierter Herr in perfekt sitzendem Anzug unter dem Mantel. Höflich stellte er sich ihnen als Herr Peters vor. Sie erkundigten sich nach dem Touristeninformationscenter, während der Wind sie durchrüttelte. Mit stoischem Lächeln, unbeeindruckt vom Sturm, deutete Peters mit ausgestrecktem Arm zum Rathaus auf der anderen Straßenseite.
»Moin, die Töwercard schon bezahlt?«, grüßte die Angestellte des Informationscenters hinter der Theke.
Antje brachte mit gespielter Aufregung ihr Anliegen vor. Sie fabulierte von ihrem Vater, der im Sterben liege, sodass sie dringend auf das Festland müsse.
Die Angestellte bedauerte, ihr bei dem Unwetter nicht helfen zu können. »Aber andersherum wäre es kein Problem«, erklärte sie der vermeintlichen Touristin. »Bei einem Notfall ist in zehn Minuten der Rettungshubschrauber auf Juist. Einfach die 112 wählen. Das Wetter müsste nur etwas besser sein.«
Antje bedankte sich für die Auskunft, versprach, die Bezahlung des Gästebeitrages nicht zu vergessen, und trat zurück auf die Straße. Der Anführer erwartete sie unter dem Dach einer Ladenpassage auf der anderen Seite.
»Ich weiß, wie wir von der Drecksinsel kommen«, unterrichtete sie ihn. »Wenn der Wetterbericht stimmt, sind wir am Nachmittag in Holland.«
Erleichtert über die Aussicht betraten sie eine Bäckerei und kauften für das Frühstück ein. Die Schirmmütze tief ins Gesicht gezogen, nahm der Anführer von der appetitlich lächelnden Polin die Tüten entgegen. Auf dem Rückweg über den Kurplatz beobachteten sie eine Frau auf einem Fahrrad mit beachtlichem Tempo in die Wilhelmstraße einbiegen. Reflektierende Buchstaben prangten auf der Dienstjacke. Die beiden drehten sich ab. Der Anführer grinste Antje dreckig an. »Sag bloß, die haben Bullen auf der Insel? Ist doch ein Witz, oder?«
Mit durchgeschwitzter Thermounterwäsche parkte die Polizeibeamtin das Fahrrad vor der Dienststelle. Im Flur knuddelte sie Emma und lief, ohne weiter Zeit zu verlieren, mit dem Spurensicherungskoffer zum Feuerwehrhaus. Peter und zwei seiner Kameraden erwarteten sie bereits. Peter saß am Steuer und brachte das Martinshorn zum Heulen. »Mach den Lärm aus«, sagte sie außer Puste. »Das Boot steht doch nicht in Flammen!«
Als Stille einkehrte, hörten sie ein Kläffen und Bellen. Tanja ahnte, wer aus dem Haus gebüxt war und Einlass verlangte.
Mit Emma auf ihrem Schoß rückte der Feuerwehrtransporter aus. Peter schaltete das Radio ein, sanfte Klänge eines Popsongs erfüllten den Fahrerraum, ehe der Sprecher für eine Sondermeldung das Programm unterbrach. »Nach Aufhebung der Nachrichtensperre wird jetzt öffentlich, dass Hannes Dengel, bekannt als deutsche Faust des kolumbianischen Drogenkartells, eine spektakuläre Flucht gelungen ist. Eine schwer bewaffnete paramilitärische Einheit von sechs Kämpfern hat am gestrigen Freitag den Justizwagen auf dem Weg von der JVA Celle zur Gerichtsverhandlung in Bremerhaven mit Waffengewalt gestoppt. Drei Justizvollzugsbeamte schweben nach dem Schusswechsel in Lebensgefahr. Mit einem Schnellboot gelang Dengel die Flucht über die Nordsee. Doch mit dem Aufkommen eines Sturms hatten die Gewalttäter nicht gerechnet. Die sieben Flüchtigen, inklusive des Schwerverbrechers, sind aller Wahrscheinlichkeit nach auf hoher See ertrunken. Wo das Boot und die Leichen ans Ufer gespült werden, kann bei der Wetterlage nicht vorhergesagt werden. Die Polizei bittet die Bevölkerung …«
Mit nachdenklichem Gesicht schaltete Tanja das Radio aus.
Kurz darauf fuhr Peter vorsichtig den Strandaufgang vor und parkte den Transporter. Emma sprang heraus und rannte los. Glücklich schnüffelte sie