Mords-Töwerland. Angela Eßer

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Mords-Töwerland - Angela Eßer

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ordentlich gesichert. Das Plastik flatterte und pfiff im Sturm, als sie das Polizeikommissariat Norden über den Fund informierte und per Handy Fotos schickte. Wie Tanja schon vermutete, der Rückruf eines diensthöheren Beamten ließ auf sich warten. Als die Kameraden von der Feuerwehr mit der Arbeit fertig waren, wäre sie am liebsten mit ihnen zurückgefahren. Doch Emma war wie vom Erdboden verschluckt. Weit und breit konnte sie die Hündin nicht entdecken. Wohl oder übel musste Tanja den Sicherungskoffer an Peter und seine Leute weitergeben. Sie verabschiedete die Helfer, wartete, bis der Motorenlärm verebbt war, und rief im Rauschen des Sturmes nach ihrem Border Collie.

      Die Hundedame war in den Dünen beschäftigt. Aufgeregt buddelte sie mit den Pfoten im Sand. Der Geruch, den sie wahrnahm, beflügelte sie. Wie von Sinnen grub und grub sie, weit weg von Frauchen, die nach ihr suchte. Keine Menschenseele spazierte am Strand, der in der Hochsaison Scharen von Touristen und Juistliebhabern anlockte. Unwirtlich zeigte sich der Polizeibeamtin die Heimat, die sie sich ausgesucht hatte. Die Hände in die Jacke vergraben, suchte und rief sie weiter nach Emma. Alles gäbe sie dafür, jetzt im Warmen zu sein, zu Hause einen ostfriesischen Tee zu trinken. Selbst für den Preis, das ganze Textbuch zu lernen.

      *

      Die vier Männer in der Gemeinschaftsdusche schnatterten in ihrer Muttersprache, bewunderten gegenseitig ihre Tattoos und teilten sich eine zurückgelassene Shampooflasche.

      Am Flur vor der Dusche hielt Carmen Wache. »Beeilt euch«, schrie sie auf Spanisch. »Wir sind nicht auf einer Ferienfahrt!«

      Dengel und Antje kehrten mit Frühstück und einem genialen Fluchtplan zurück. Beim Frühstück saßen alle sieben in einem der Säle an einem langen Tisch zusammen und gingen den Plan durch.

      »Ist mir zu unsicher«, sagte Carmen. »Boote gibt es genug, mit denen wir rüberkommen.«

      »Und uns abschießen lassen von der Marine?«, zischte Dengel mit vollem Mund. »Also, welcher von den Jungs sollte uns nach Rotterdam fliegen?«

      Carmen nickte zu einem der Männer, der keine Ahnung hatte, worüber gestritten wurde. Dengel grinste ihn an. »Guter Junge! Wenn der Sturm nachlässt, fliegst du uns mit dem Hubschrauber von dem Scheiß Inselkaff.«

      *

      Der Polizeibeamtin wurde leicht ums Herz, als sie ihre Hündin in der Düne endlich entdeckte. Sie war froh, dass niemand mitbekommen hatte, wie sie den Collie verbotenerweise ohne Leine am Strand laufen gelassen hatte.

      »Emma!«, rief sie. »Bei Fuß, lass uns nach Hause gehen!«

      Die Hündin reagierte nicht. Sie hatte offenbar ihren Spaß. Die Beamtin lief zu ihr und blieb nach einigen Metern erschrocken stehen. Emma schleckte die Hand eines Mannes ab, der rücklings im Sand lag.

      »Emma!«, schrie sie erzürnt. »Aus! Weg da. Bei Fuß.«

      Die Hündin gehorchte, wenn auch unwillig und kam gelaufen. Tanja kniete sich zu ihr und streichelte sie. Groß gewachsen war der Mann, der halb im Sand verschüttet lag. Sie dachte an den geflohenen Schwerverbrecher, der irgendwo als Wasserleiche an Land gespült werden sollte. Als sie näher trat, nahe genug war, um das Gesicht zu sehen, starb die Hoffnung, Hannes Dengel vor sich zu haben. Im Sand lag der Barmann aus der »Spelunke«, Jan, der seiner Mutter keine Brötchen gebracht hatte. Die Jacke war auf Höhe des Brustkorbs mit Blut getränkt. Sie sah sich die Leiche genauer an und starrte in eine klaffende Wunde.

      »Gut gemacht, Emma«, lobte sie wie unter Schock ihre Hündin.

      An Ort und Stelle rief sie nochmals im Polizeikommissariat an und verhaspelte sich bei dem mündlichen Bericht.

      »Hab ich richtig verstanden?«, höhnte der Beamte am Telefon. »Du hast einen Toten auf Juist? Gratuliere, damit gehst du in die Geschichtsbücher ein!«

      »Ich habe einen Mord auf Juist!«, erwiderte sie entnervt. Im Stress dachte sie erst jetzt daran, ein Handyfoto zu schicken, und erhielt nach einigen Sekunden den Hinweis, sich ruhig zu verhalten.

      »Ruhig bin ich«, schrie sie angestrengt. »Aber ich erfriere hier! Was soll ich tun?«

      »Vor allem und ganz besonders ruhig bleiben«, wiederholte der Beamte. »In paar Stunden soll der Sturm nachlassen. Sobald es geht, ist die Tatortgruppe unterwegs. Sicher die Fundstelle, vor allem deck den armen Mann zu.«

      »Womit denn?«, schrie Tanja leicht hysterisch und besann sich wieder. »Wie es aussieht, ist Jan erstochen worden. Mitten ins Herz. So was macht kein Juister!«

      »Worauf willst du hinaus?«

      »Was weißt du über die paramilitärische Truppe, die Dengel befreit hat?«, fragte sie.

      »Nichts«, erwiderte der Beamte erstaunt. »Warum auch? Die Nordsee hat sie geholt …«

      »Und wenn sie doch nicht ertrunken sind?«, unterbrach sie ihn.

      »Bei dem Seegang?«, machte er sich lustig. »Du glaubst doch nicht, die schweren Jungs hängen bei dir auf Juist ab! Den Barmann hat Frau, Freundin oder Saufkumpane nach einem Streit niedergestochen.« Er machte eine kurze Pause. »Du bleibst schön ruhig, ja? Wenn der Sturm nachlässt, schicke ich …«

      Die Verbindung brach ab. Tanja blickte auf das Display, das vom Regen nass gespritzt wurde. Es war schwarz. Der Akku war leer. Eine Bö peitschte ihr wie eine Ohrfeige Regentropfen vermischt mit Sandkörnern ins Gesicht.

      »Komm, Emma«, sagte sie. »Lass uns Jan wenigstens wieder vergraben. Was anderes fällt mir jetzt auch nicht ein.«

      Mit beiden Händen schaufelte sie den Leichnam zu und merkte sich die Stelle, wo Jan zur vorläufigen Ruhe gebettet lag.

      Erschöpft setzte sie sich einige Meter entfernt in den Sand und starrte aufs Meer. Sie kämpfte damit, ob sie der Mutter gleich Bescheid geben sollte oder nicht. Natürlich hatte Imke das Recht zu erfahren, was mit ihrem Sohn geschehen war. Während sie ihren Gedanken nachhing, merkte sie, wie das Wetter umschlug. Der Wind ließ nach, die Wolken zogen etwas langsamer über die Insel hinweg, und ab und an zeigte sich sogar die Sonne. In vielleicht drei Stunden würde Verstärkung vom Festland kommen, aber der Strand von Menschen besiedelt sein. Sie fasste den Entschluss, im nächstgelegenen Haus zu klingeln und sich aufzuwärmen. Dem Notarzt würde sie Bescheid geben, um offiziell Jans Tod feststellen zu lassen, Männer von der Feuerwehr als Leichenwache abkommandieren, den Bürgermeister informieren.

      Sie raffte sich auf. »Emma, bei Fuß.«

      Mit ihrer Hündin erreichte sie den Aufgang, der zu den Häusern in der Billstraße führte. Der schwächer werdende Wind trieb Stimmen durch die Luft. Mit Erstaunen vernahm sie eine Sprache, die auf der Insel nicht geläufig war. Männer hörte sie. Wortfetzen. Leise von der Brise zu ihr getragen. Mehr als eine Stimme jubelte »Gol!«.

      Verwundert und behutsam näherte sie sich von der Straße her dem »Seeferienheim«. In der von der evangelischen Kirche betriebenen Anlage hatte sie vor einigen Wochen einen Einsatz in einer Jugendgruppe wegen eines gestohlenen Handys. Kurzerhand hatte sie trotz lautstarker Proteste alle Geräte konfisziert. Auf wundersame Weise war das gestohlene darunter gewesen. Nur eines aus der Ansammlung, das funktionierte, hätte sie jetzt gerne gehabt, um jemandem Bescheid zu geben, wo sie gerade war. Sie versteckte sich hinter einer Mülltonne und machte ihre Arbeit. Allein. Wie immer.

      Sie beobachtete den Innenhof, wo sich zwischen Verwaltungsgebäude und Gruppenunterkünften Männer tummelten. Sie trugen eng anliegende

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