Übergewicht und Krebs. Prof. Dr. Hermann Delbrück
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Hypothesen zum Einfluss von starkem Übergewicht auf den Verlauf einer Prostatakrebserkrankung:
• Das Gewebe ist bei übergewichtigen Männern aufnahmefähiger für die Invasion und Ausbreitung von Krebszellen.
• Übergewicht beeinflusst den Testosteronspiegel.
• Übergewicht geht mit oxydativem Stress für die Prostatazellen einher.
• Die assoziierte Insulinresistenz führt zu einer kompensatorischen Vermehrung Insulin-ähnlicher Wachstumsfaktoren (IgF1).
• Die im Fettgewebe produzierten Adipokine und Signallipide fördern das Zellwachstum (Hoda et al 2010).
• Übergewichtige sind oft körperlich inaktiv (Bewegungsarmut gilt als Krebsrisikofaktor).
• Die Radikalität der Operation und die Dosierung der Strahlentherapie werden erschwert, weshalb es häufiger zu einer Wiedererkrankung kommt.
• Hormon- und Chemotherapie lassen sich schwerer dosieren.
Kommentar und Empfehlungen: Untersuchungen zum Einfluss von Übergewicht, Alkoholkonsum und Typ-2-Diabetes auf das Erkrankungsrisiko haben sehr widersprüchliche Ergebnisse erbracht. Die methodische Vielfalt – und daher schwierige Vergleichbarkeit – von Studien kann hier einer der Gründe sein. So werden in manchen Arbeiten latente Karzinome nicht von fortgeschrittenen und aggressiven Tumoren unterschieden. Ja, häufig wird der Einfluss auf die Krebsentstehung mit dem Einfluss auf den Krankheitsverlauf und die Sterblichkeit in „einen Topf geworfen“. Ob die Prostatakrebserkrankung selbst oder Begleiterkrankungen die Todesursache waren, lässt sich häufig nur schwer feststellen.
Übereinstimmend wird in vielen Arbeiten auf das erhöhte Risiko von Übergewicht im jugendlichen Erwachsenenalter hingewiesen. Ein BMI von 25 bis 29 ist demnach bei älteren Männern (> 65 Jahre) nicht besorgniserregend; bei jüngeren Menschen (< 45 Jahre) hingegen ein Erkrankungsrisiko (Behrens et al 2018).
Experten meinen, Übergewicht im jugendlichen Erwachsenenalter wirke sich ungünstig auf die klinische Manifestation von Prostatakrebs im fortgeschrittenen Altem aus (Giovannucci et al 1997, Brown et al 2009). Besonders krebsgefährdet sollen jüngere Männer mit „Bauchfett“ sein (Pischon et al 2008, Giovannucci et al 1997, Brown et al 2009). Je länger das Bauchfett vorhanden ist, umso größer ist die Krebsgefahr.
Umstritten ist die Schutzwirkung von Finasterid. Sicher ist, dass es neben der fraglichen Schutzwirkung bei der Einnahme von Finasterid zu sicheren Nebenwirkungen kommt, so etwa einer sexuellen Dysfunktion. Einige Experten sehen eine höhere Aggressivität der – trotz Einnahme von Finasterid – entstehenden Tumore. Ein „verbessertes Haarwachstum“ gilt als positive Nebenwirkung!
Kommentar zur Relevanz der Krebsvorsorge-Früherkennung (Delbrück 2015): Ab dem 45. Lebensjahr haben Männer Anspruch auf eine jährliche Tastuntersuchung der Prostata. Deren Relevanz ist allerdings höchst umstritten. Selbst Experten können oft nicht unterscheiden, ob es sich bei ertasteten Knoten um gut- oder bösartige Befunde handelt.
Die laborchemische Bestimmung von PSA ist zwar empfindlicher (sensitiver) und genauer (spezifischer) als die Tastuntersuchung, aber ebenfalls unzuverlässig. In verschiedenen Studien ergaben sich hinsichtlich der Sterblichkeit keine Unterschiede zwischen den Studienteilnehmern, die am PSA-Screening teilnahmen, und denjenigen, die keinen PSA-Test vornehmen ließen. Überdiagnosen sind häufig beim PSA-Screening. Viele Männer würden aufgrund eines verdächtigen PSA-Wertes unnötig einer invasiven Diagnostik (Prostatabiopsie) und Therapie (Operation und Bestrahlung) ausgesetzt, meinen Kritiker. „Bislang sei weder durch Screening-Tastuntersuchungen noch regelmäßige PSA-Bestimmungen ein eindeutiger Einfluss auf Lebenszeit und Sterblichkeit nachzuweisen, sagen sie. Nachteile in der Lebensqualität sind hingegen eindeutig. Der Schaden der PSA-basierten Vorsorge-Untersuchungen ist größer als der Nutzen“, fasst IQWIG die Ansicht der Skeptiker zusammen.
Ob das Probase-Programm – d. h. die angebliche Erkennung von Hochrisikopatienten durch Basisbestimmungen des PSA-Wertes in der 5. Lebensdekade – tatsächlich zu einer erhofften Lebensverlängerung und geringeren Lebensqualitätseinbußen führt, wird erst in einigen Jahren erkennbar sein.
Genauer – aber auch nicht spezifischer und vom IQWiG für überflüssig gehalten – sind Kernspin-Untersuchungen (multiparametrische Magnetresonanztomografien (mpMRT). Die Fusion der MRT-Bilder mit den Echtzeit-Ultraschallbildern soll nach Auffassung der urologischen Fachgesellschaft eine gezieltere Biopsie verdächtiger Areale ermöglichen.
Neben den diagnostischen Biomarkern, die die Therapieentscheidung erleichtern, gibt es prognostische Marker. Sie ermöglichen eventuell eine Aussage darüber, welche Patienten einer Behandlung bedürfen und welche „nur“ überwacht werden müssen (surveillance).
Hodenkrebs
Gesicherte und vermutete Risiken, im Vergleich zur Normalbevölkerung (X = wahrscheinlich erhöht, XX = doppelt so hoch, XXX = mehr als doppelt so hoch, XXXX = sehr hohes Risiko)
• | Hodenhochstand (Kryptorchismus): | XXXX |
• | Angeborene Genmutationen, z. B. CHEK2 Mutationen | ? |
• | Häufigere Hodenkrebserkrankungen in der Familie: | XXXX |
• | Angeborene Chromosomen-Anomalien, z. B. Klinefelter-Syndrom: | XXXX |
• | Der Vater hatte Hodenkrebs: | XXX |
• | Der Bruder hatte Hodenkrebs: | XXXX |
• | Europäische Abstammung: | X |
• | Vorläuferzellen in einer Gewebeprobe TIN-Zellen: | XXXX |
• | Verschiebung des Hormongleichgewichts in der Schwangerschaft, z. B. durch Einnahme hormonhaltiger Substanzen, etwa der Pille: | XX |
• | Angeborene Fruchtbarkeitsstörung: wenig Spermien in der Samenflüssigkeit = Azoo- oder Oligospermie: | XXX |
• | Mikroverkalkung: | XXXX |
• | Unterentwicklung des Hodens: Hodenatrophie: | XX |
• | Hodenhochstand, Gleithoden | XXXX |
• | Orchidopexie bei Hodenhochstand: | XXX |
• | Tumor im gegenseitigen Hoden: | XXXX |
• | Hypospadie (vermutet): | X |
• | Starkes Übergewicht der Mutter in der Schwangerschaft: | X |
• | Männer > 1,90 m (wahrscheinlich): | XX |
• | DDT-Exposition in der Embryonalphase (vermutet): | X |
• | Entzündungen (vermutet): | X |
• | Cannabis-Konsum (vermutet): | X |
• | Verletzungen (vermutet): | X |
• | Handystrahlung (vermutet): | X |
Kommentar: Aus noch ungeklärten Ursachen ist in den letzten Jahrzehnten die Anzahl der Neuerkrankungen gestiegen. Ob dies mit der kalorienreicheren Ernährung, der Zunahme von Übergewicht und/oder dem veränderten Lifestyle zusammenhängt, ist noch unklar (Nigam et al 2015).
Kommentar zur Relevanz der Krebsvorsorge-Früherkennung: Für Hodenkrebs gibt es kein gesetzliches Krebs-Früherkennungs-Programm. Es wird von den meisten Experten auch nicht für notwendig erachtet.
Empfohlen werden regelmäßige Eigenuntersuchungen, im Hinblick auf die Entstehung eventueller Knoten und Verhärtungen.
Peniskarzinom
Zusammenhänge mit Übergewicht sind nicht bekannt. Zu den Risikofaktoren für das relativ seltene Krebsleiden zählen HPV-Infektionen,