Verwirrung der Gefühle / Смятение чувств. Книга для чтения на немецком языке. Стефан Цвейг
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Ein sonderbar dioskurisches Zwiegestirn leuchtete nun in den nächsten Monaten über dem staunenden Land, den Sündern sowohl als auch den Frommen zu gleichem Wohlgefallen. Denn war jenen durch Helenas verschwenderische Lust des Leibes allzeit geboten, so vermochten diese ihre Seele an dem tugendhaft leuchtenden Spiegelbilde Sophias zu erbauen, und dank solcher Zwiefalt schien in dieser Stadt zu Aquitanien zum erstenmal seit Weltbeginn das Reich Gottes auf Erden säuberlich und sichtlich von jenem des Widerparts getrennt. Wer die Reinheit liebte, dem war die Schutzpatronin zur Stelle, und wer in Wollust des Fleisches versunken war, dem winkte irdischer Genuss in den Armen der unwürdigen Schwester. Aber in jedem einzelnen irdischen Herzen gehen ja zwischen dem Guten und Bösen, zwischen Fleisch und Geist sonderbar schmugglerische Wege hinüber und herüber, und es dauerte nicht lange, bis es sich erwies, dass gerade diese Zwiefalt unvermuteter Art den Frieden der Seelen bedrohte. Denn da die Zwillingsschwestern trotz höchst ungleichem Lebenswandel körperlich kaum unterscheidbar blieben, gleichen Wuchses, gleicher Augenfarbe, gleichen Lächelns und gleicher Lieblichkeit, wie natürlich, dass alsbald eine leidenschaftliche Verwirrung unter den Männern der Stadt entstand. Hatte etwa ein Jüngling eine heiße Nacht in den Armen Helenas verbracht und trat dann morgens hastig, gleichsam um das Sündige sich von der Seele zu baden, in die Frühe hinaus, so rieb er verwundert und wie von Teufelsspuk erschreckt die Augen. Denn die schöne Novizin im bescheidenen grauen Gewand der Pflegerin, die da eben einen keuchenden Greis im Rollstuhle durch den offenen Garten des Spitals schob und ihm ohne Ekel mit einer milden und zugleich zarten Gebärde den Speichel von dem zahnlosen Mund wischte, schien ihm genau dieselbe, die er eben noch nackt und glühend im buhlerischen Bette verlassen. Er starrte hin: ja, es waren die gleichen Lippen, dieselben runden und zärtlichen Bewegungen, freilich jetzt nicht der irdischen Liebe dienend, sondern einer höheren Liebe zum Menschlichen. Er starrte hin, und die Augen wurden ihm brennend, dass sie allmählich das graue und kahle Gewand durchsichtig machen wollten und hindurch der wohlbekannte Leib der Buhlerin ihm entgegenzuleuchten schien. Und gleiches Affenspiel der Sinne narrte wiederum diejenigen, die eben frommen Besuch der Krankenhelferin ehrfürchtig mitangesehen und, um die Ecke kehrend, die eben noch züchtige Sophia sonderbar verwandelt, entblößten Busens und üppigen Kleides, umringt von Buhlern und Dienern, zu einem Festmahl eilen sahen. Helena war dies, nicht Sophia, sie sagten sich’s wohl, aber doch, sie konnten von nun an die Fromme nicht denken ohne ihre Blöße und wurden unfromm inmitten ihrer Andacht. So schwankte der Sinn ungewiss von einer zur anderen und wurde dermaßen irr, dass die Sinne oft verkehrten Weg des Wunsches gingen, dass die Jünglinge von der Unberührbaren Leib träumten bei der Käuflichen und die fromme Samariterin wiederum anblickten mit dem lästerlichen Blick des Begehrens. Denn irgendwie hat der Weltschöpfer die Sinne der Männer quer gezimmert, dass ihr Wünschen allzeit von Frauen das Gegenteil dessen fordert, was sie gewähren: gibt eine leichtfertig ihren Leib, so wissen sie der Gabe geringen Dank und tun, als könnten sie nur Unschuld rechtschaffen lieben. Wehrt aber eine Frau sich ihrer Unschuld, so reizt es sie wieder siebenfach, ihr die behütete zu entreißen. So füllt und erfüllt kein Verlangen jemals den männlichen Zwiespalt, der ewiges Widerspiel will zwischen Fleisch und Geist: hier aber hatte ein spaßender Teufel die Knoten noch doppelt geschürzt, denn die Buhlerin und die Fromme, Helena und Sophia, erschienen äußerlich dermaßen als ein und derselbe Leib, dass man die eine von der ändern nicht unterscheiden konnte und keiner mehr richtig wusste, welche er eigentlich begehrte. So kam es, dass die Lotterbuben der Stadt mit einmal mehr vor dem Siechenhause als in der Schenke zu sehen waren und die Wüsdinge die Buhlerin durch Gold verlockten, zum Liebesspiel das graue Schwesterngewand umzutun und dermaßen die Täuschung zu vollenden, als hätten sie die Unberührte, als hätten sie Sophia genossen. Die ganze Stadt, ja das ganze Land wurden allmählich mitgerissen in dies unsinnig aufreizende Spiel der Verwechslung, und kein Wort des Bischofs, keine Mahnung des Stadtvogtes hatte mehr Macht über das täglich erneute Ärgernis.
Statt aber geschwisterlich sich zu bescheiden und ein Genügen daran zu haben, dass die eine die Reichste sei und die andere die Reinste der Stadt, beide umschwärmt von Bewunderung und Ehre, pochten den beiden Ehrgeizigen grimmig die Herzen, welcher Art sie einander Abbruch tun könnten. Sophia zerbiss die Lippen im Zorn, wenn sie vernahm, wie jene ihren aufopfernden Wandel in sündhaftem Maskenspiel schändete. Helena wiederum schlug mit Peitschen ihre Wut unter die Knechte[41], berichteten ihr jene, dass fremde Pilger[42] sich ehrfürchtig vor ihrer Schwester beugten und Frauen den Staub küssten, den sie mit ihren Schuhen berührt. Je mehr die beiden Ungestümen aber einander übelwollten, je grimmiger sie einander Hassten, desto mehr heuchelten sie Mitgefühl eine für die andere. Helena beklagte bei der Tafel mit ergriffener Stimme die Schwester, dass sie Lust und Jugend so sinnlos mit der Pflege verhutzelter Greise verhärme, die das Leben ohnehin doch sichtbarlich für den Tod bestimmt habe. Sophia wieder endete alltäglich ihr Abendgebet mit einem besonderen Spruch für arme Sünderinnen, die törichterweise um flüchtiger und vergänglicher Genüsse willen die höhere Genugtuung versäumten, ihr Leben in frommes und hilfreiches Werk zu verwandeln. Als sie aber beide merkten, dass sie weder durch Boten noch durch Zuträger einander von dem betretenen Weg ablenken könnten, begannen sie allmählich sich wieder eine der ändern zu nähern, wie zwei Ringer, die, indes sie absichtslos scheinen, mit Blick und Hand schon den Griff vorbereiten, mit dem sie den Gegner zu Boden zu schleudern gedenken. Immer häufiger hüben sie an, eine die andere zu besuchen und zärtliche Sorge zu heucheln, indes jede ihre eigene Seele dafür gegeben hätte, der Schwester das Schlimmste zu tun.
Nun war Sophie, die aus Hoffart Demütige, wieder einmal nach dem Vesperläuten zu ihrer Schwester gekommen, um sie neuerdings von dem ärgerlichen Lebenswandel abzumahnen. Abermals hatte sie in umschweifiger Rede der schon Ungeduldigen vorgehalten, wie unrecht sie tue, ihren gottergebenen Leib zu einem Dickicht der Sünde zu erniedrigen. Helena, die diesen ihren gottergebenen Leib eben salben ließ von den Mägden[43], damit er rüstig sei zu ihrem frevlerischen Gewerbe, hörte halb zornig und halb lachend zu und überlegte, ob sie die langweilige Mahnerin mit blasphemischen Scherzen tollwütig machen oder besser noch ein paar Knaben zur Verwirrung ihrer Blicke ins Gemach rufen solle. Da war ihr, als ob, leise schwirrend wie eine Fliege, ein sonderbarer Gedanke ihr die Schläfe gestreift hätte, ein recht teuflischer Gedanke, schalkig und gefährlich, so dass sie kaum ein innerliches Lachen verhalten konnte. Und plötzlich änderte die eben noch Freche ihr Gehaben, jagte Mägde und Badeknechte aus dem Zimmer, um, kaum mit der Schwester allein, sich eine Maske von Zerknirschung über die innen funkelnden Augen zu schatten. Ach, die Schwester möge nicht meinen – so begann die in allen Künsten der Verstellung Geübte – , sie habe nicht selber oft Scham darüber empfunden, ein wie sündhafter und törichter Wandel sie umstricke. Oft und oft schon habe sie ein Ekel vor der hündischen Wollust der Männer überkommen, oft schon habe sie beschlossen, sich jener für immer zu erwehren und ein schlichtes, ehrliches Leben zu beginnen. Aber sie fühle es schon, vergeblich sei da jede Gegenwehr, denn Sophia, die Stärke der Seele besitze und nicht wie sie der Schwäche des Fleisches anheimfalle, sie ahne ja nichts von der verführerischen Macht der Männer, der keine wissende Frau widerstehen könne. Ach, sie ahne nicht, sie, Sophia, die Glückliche, wie gewaltig der Andrang des Mannes sei, aber eben in dieser Gewalt wirke auch eine sonderbare Süße, der man sich wider das eigene Wollen willig ergeben müsse.
Sophia, höchlichst erstaunt von derart unverhofftem Bekenntnis, wie sie es niemals aus dem
41
Knecht
42
Pilger
43
Magd