Verwirrung der Gefühle / Смятение чувств. Книга для чтения на немецком языке. Стефан Цвейг
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Читать онлайн книгу Verwirrung der Gefühle / Смятение чувств. Книга для чтения на немецком языке - Стефан Цвейг страница 16
„Wie kannst du derlei sagen“, fauchte Sophia in ihrem unbändigen Hochmut herausgefordert. „Bin ich nicht selbst Beispiel dafür, dass ein entschlossener Wille sich wohl des hündischen Zudranges der Männer zu erwehren vermag? Von morgens bis abends umlagert mich die Rotte, bis ins Siechenhaus schleichen sie mir nach, und abends finde ich Briefe mit den abscheulichsten Lockungen auf meinem Lager. Und doch hat niemand gesehen, dass ich je nur einen Blick einem gewährt hätte, denn mich schirmt mein Wille gegen jede Versuchung. Unwahr ist also, was du sagst: sofern eine Frau wahrhaften Willens bleibt, vermag sie sich zu wehren, dessen bin ich selber ein Beispiel.“
„Ach, ich weiß es wohl, dass du allerdings bisher jeder Versuchung dich erwehren konntest“, heuchelte Helena, voll falscher Demut zur Schwester aufschielend, „aber dies vermagst du nur, weil du Glückliche geschützt bist durch dein Kleid und den strengen Dienst, den du auf dich genommen. Du bist umhütet von frommen Schwestern und in die schirmende Mauer der Gemeinschaft gebannt – du bist nicht allein, nicht wehrlos wie ich! Meine aber nicht darum, dass du deiner eigenen Kraft deine Lauterkeit dankst, denn ich bin sogar gewiss, Sophia, dass auch du, sofern du einmal einem Jüngling gegenüberstündest, ihm nicht Trotz bieten könntest und wolltest. Auch du würdest ihm so erliegen, wie wir alle ihm erlegen sind.“
„Niemals! Ich niemals!“ fuhr die Ehrgeizige ihr entgegen. „Ich mache mich anheischig, auch ohne den Schutz meines Kleides, jede Probe einzig kraft meines Willens zu bestehen.“
Genau dies aber war es, was Helena von Sophia hatte hören wollen. Schritt für Schritt die Hoffärtige näher heranlockend an die aufgerichtete Falle, ließ sie nicht ab, die Möglichkeit solchen Widerstandes zu bezweifeln, bis schließlich Sophia selber ungebärdig auf einer entscheidenden Prüfung bestand. Sie begehre diese Probe, ja sie fordere sie, damit die Schwachmütige endlich einmal erkennen möge, dass sie nicht fremdem Schütze, sondern innerer Kraft ihre Unberührtheit verdanke. Da schien Helena langwierig nachzudenken – und das Herz klopfte ihr vor böser Ungeduld im Leibe – , dann sagte sie endlich: „Höre, Sophia, vielleicht wäre dies die rechte Probe. Morgen abend erwarte ich Sylvander, den schönsten Jüngling des Landes, dem noch keine Frau widerstand und der doch mich vor allen begehrt. Achtundzwanzig Meilen kommt er geritten um meinetwegen und bringt sieben Pfund reinen Goldes sowie andere Geschenke einzig darum, mein Nachtgefährte zu sein. Doch käme er auch mit leeren Händen, ich würde ihn nicht von mir weisen, ja mit gleichem Gewicht von Gold sein Beilager erkaufen, denn schöner ist keiner als er und feinerer Art. Nun hat uns Gott so leibesähnlich geschaffen an Antlitz, Rede und Gestalt, dass, trügest du mein Kleid, dann keiner eine Täuschung mutmaßen würde. So erwarte du morgen Sylvander an meiner Statt in meinem Haus und teile mit ihm die Tafel. Begehrt er aber dann, mich vermeinend, deines Leibes, so verwehre dich mit allerlei Ausflüchten. Ich aber will im Nachbargemach warten und horchen, ob du vermagst, bis Mitternacht deine Sinne wider ihn zu verschließen. Aber nochmals, Schwester, ich warne dich; groß ist die Versuchung seiner Gegenwart und noch gefährlicher die Schwachheit unseres eigenen Herzens. Ich fürchte, Schwester, leicht könntest du, verwirrt von deiner Abgeschiedenheit, in unvermutete Versuchung fallen, darum beschwöre ich dich, lieber abzulassen von so verwegenem Spiel.“
Indem die Tückische dermaßen ihre Schwester gleichzeitig lockte und abmahnte, träufte derart glatte Rede nur öl in die brennende Flamme ihres Hochmuts. Wenn es nichts sei als solch eine kleine Probe, rühmte Sophia sich stolz, so wolle sie leichdich bestehen, und nicht nur bis Mitternacht, sondern bis zum Morgengrauen vermesse sie sich, seines Zudranges Herrin zu bleiben – nur dies eine verlange sie, einen Dolch mit sich fuhren zu dürfen, falls der Freche wagen sollte, Gewalt zu versuchen.
Bei dieser stolzen Rede fiel Helena in die Knie vor ihrer Schwester, scheinbar bemeistert von Bewunderung, in Wirklichkeit aber, um die böse Freude zu bergen, die in ihren Augen glänzte, und sie kamen überein, dass am folgenden Abend Sophia, die Fromme, Sylvander empfangensolle; Helena hinwieder schwor, für immer von ihrem schlimmen Wandel zu lassen, falls ihrer Schwester die Abwehr gelänge. Eilends begab sich Sophia zu ihren Gefährtinnen, um die eigene Kraft an der jahrelang erprobten dieser herrlich weitabgewandten Frauen zu stärken, die nur fremdem Elend und Siechtum lebten. Sie pflegte mit doppelter Hingebung die Schwersten und Schwierigsten unter den Kranken, um an ihren gebrechlichen und zerstörten Leibern die Vergänglichkeit alles Irdischen zu empfinden; denn waren diese eingefallenen, morschen Gestalten nicht auch einmal Liebende gewesen und der Leidenschaft verschworen: was war geblieben – ein lebender Moder, eine mühsam nur atmende Hinfälligkeit.
Doch auch Helena blieb indes nicht müssig. Wohlbelehrt in den Künsten, die Eros, den launischen Gott, herbeirufen und den gerufenen zurückhalten, ließ sie zunächst von ihrem kalabrischen Küchenmeister Gerichte sonderlichster Art bereiten, gefährlich durchwürzt mit allen Inzitantien der Wollust. In die Pastete ließ sie Biberbrunst mischen, Geilkraut und kantharidisches Pfefferwerk, den Wein aber durchdunkelte sie mit Bilse und schweren Krautern, die blaue Müdigkeit vorzeit auf die Sinne legen. Zudem bestellte sie Musik, damit auch dieser Erzkuppler nicht fehle, der sich einschleicht wie lauer Wind in die sehnsüchtig geöffnete Seele. Schmeichlerische Flötenspieler und hitzige Zimbelschläger hieß sie im Nebenzimmer sich bergen, unsichtbar dem Blick und darum noch gefährlicher für das ahnungslos schwärmende Gefühl. Nachdem sie derart vorsorglich den Ofen des Teufels geheizt, wartete sie voll Ungeduld des Wettkampfes, und als dann abends Sophia, die Hoffärtig-Fromme, erschien, blass vom Wachen und erregt von der Nähe selbstbeschworener Gefahr, umfing sie an der Hausschwelle schon eine drängende Schar junger Dienerinnen, die sogleich die Erstaunte hingeleiteten zu einem mit duftenden Krautern durchwürzten Bade. Dort nahmen sie der Errötenden die grau alltägliche Kutte von dem jungen Leib und rieben ihr Arme, Schenkel und Rücken mit zerknitterten Blüten und scharfduftenden Salben so zärtlich und hart, dass sie ihr Blut durch die Poren sprickelnd vorfahren fühlte. Bald strömte kühlrieselndes Wasser, bald warmglühende Welle über ihre schauernde Haut; dann glätteten fliegende Hände mit weichem Narzissenöl den gehitzten Leib, kneteten ihn sanft und rieben den erstrahlenden derart feurig mit knisternden Katzenfellen, dass die Funken blau von den Spitzen der Haare sprangen: kurz, sie rüsteten die Fromme, ohne dass sie Widerstand zu leisten wagte, genau wie sie Helena allabendlich rüsteten zum Liebesspiele. Dazwischen atmeten zag und drängend die Flöten, und von den Wänden duftete mit tropfigem Wachs die brennende Sandel der Fackeln. Als endlich Sophia, sehr verwirrt von diesem fremden Gehaben, auf dem Ruhebett sich hinlöste und die metallenen Spiegel ihr Antlitz zurückwarfen, schien sie sich selber fremd und doch schön wie nie. Sie spürte ihren Körper leicht und als eine lebendige Lust und schämte sich wiederum sehr, dies Wohlige so wohlig zu fühlen. Doch nicht lange ließ ihre Schwester ihr Zeit zu solchem Zwiespalt des Gefühls.
Zart wie eine Katze kam sie heran und umschmeichelte der Schwester Schönheit mit glitzernden Worten, bis jene ihr verwirrt und barsch dies verwies. Noch einmal umarmten einander heuchlerisch die Schwestern, zitternd die eine vor Unruhe und Angst, zitternd die andere vor Ungeduld und böser Begier. Dann ließ Helena die Lichter entzünden und verschwand wie ein Schatten in den Nebenraum, das kühn ersonnene Schauspiel zu belauschen.
Nun hatte die Buhlerin längst Sylvander Botschaft zugesandt, welch sonderbares Abenteuer seiner warte, und ihn mit vieler Dringlichkeit