Ethnobombe. Michael Exner

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Ethnobombe - Michael Exner

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dass ich mich noch einmal einmische“, meldete sich Kampa „ich möchte Sie bitten, das Ganze in eher populärwissenschaftlichen Begriffen darzustellen, da zur Zeit auch Regierungsvertreter und andere Nicht-Experten anwesend sind.“

      „Natürlich, das heißt also, dass wahrscheinlich jeder, der infiziert wird, auch stirbt. Wenn das so wäre, sprechen wir von einem Novum. Dann wäre diese Epidemie, Pandemie -nennen Sie es, wie Sie wollen - die erste Krankheit, die nicht wenigstens zehn Prozent der Erkrankten die Chance gibt, zu überleben. Es ist sinnlos für einen Krankheitserreger, alle seine befallenen Wirte zu töten – das würde bedeuten, dass er seine eigene Überlebenschance auf ‚Null‘ setzt, wenn er alle Infizierten tötet.

      Wir wissen noch nicht, ob es Personen gibt, die immun sind. Die Inkubationszeit konnten wir auch noch nicht bestimmen, sie scheint aber so extrem kurz zu sein, wie es noch nie beobachtet wurde. Wir schließen das aus der Tatsache, dass die Seuche praktisch an mehreren Orten der Welt gleichzeitig ausgebrochen zu sein scheint. Verstehen Sie, wenn die Pandemie, also die Krankheit an einer Stelle ausbricht, dann muss sie an die anderen Stellen übertragen…“ Li verhaspelte sich. In die Stille platzte ein Bass: „Was war denn das? An mehreren Stellen gleichzeitig? Warum hat davon noch niemand gesprochen?“

      Li fand ihre Sicherheit wieder. „Weil wir erst vor Kurzem darauf gestoßen sind. Fakt ist, dass der gegenwärtige Ausbruch an drei Stellen innerhalb weniger Stunden stattfand. Das lässt sich nicht mit herkömmlichem schulmedizinischen Wissen allein erklären. Es gibt allerdings doch zwei Erklärungsansätze. Der eine wäre dieser: Es gab schon vor Wochen oder Monaten einen Ausbruch der Seuche, der sich dann wieder 'tot lief'. Das ist schon öfter beobachtet worden, zum Beispiel bei Ebola. Es gab Ausbrüche, die einige Dörfer entvölkert haben. Dann breitete sich die Seuche nicht weiter aus. Das lag aber wahrscheinlich daran, dass es keine Überträger mehr gab, die die Krankheit in die nächsten Dörfer tragen konnten.

      Es könnte sein, dass wir hier einen ähnlichen Fall haben, allerdings mit anderen Hintergründen. Wenn wir irgendwo einen früheren Krankheitsausbruch finden, könnte es erklären, wie die gleichzeitigen Ausbrüche an drei Stellen entstanden sind. Das Virus ist zunächst in einer schwächeren Form entstanden, dann mutiert und weiter getragen worden.“ Man sah ihr an, dass sie kein Freund von Spekulationen war.

      „Moment!“ Anna Kampa unterbrach. „Nur für mein Verständnis – wenn wir schon bei Ebola sind – wie erklären Sie dann den großen Ausbruch in Westafrika? Wann war das, 2015? Damals lief sich nichts ‚tot‘, im Gegenteil, hier musste man monatelang mit Hilfe aus aller Welt die Epidemie bekämpfen.“

      Doktor Li schüttelte den Kopf. „Anfangs, im Frühjahr 2014, waren wir tatsächlich der Meinung, es mit einem neuen, deutlich virulenteren Stamm von Ebola zu tun zu haben. Das hat sich aber schnell als Irrtum herausgestellt. Der Stamm war bekannt, die Erklärung für die schnelle Ausbreitung der Epidemie war ein Bündel von Ursachen. Die neue Qualität in der Krankheitsausbreitung war in erster Linie dem religiösen Totenkult in dieser Ecke der Welt zuzuschreiben. Bei diesem Kult kommen die Lebenden mit den Toten in engen Körperkontakt – der ideale Weg zur Ansteckung. Dazu kam, dass der Ausbruch erstmals in einer dicht bewohnten Gegend mit größeren Städten stattfand und nicht, wie früher irgendwo im Busch, wo höchstens ein paar Hundert Menschen in wenigen Dörfern wohnten.“

      „Aber man konnte doch die Leute aufklären; ihnen beibringen, Erkrankte und Tote zu isolieren oder in Auffangstationen zu bringen.“

      „Sie glauben nicht, wie schwer es ist, gegen jahrhundertealte Traditionen anzukämpfen. Dazu kam, dass die Menschen dort von den Priestern aufgehetzt wurden. Man machte ihnen weis, die Kranken und Toten würden nur von ihren Familien getrennt, weil man ihnen Organe entnehmen wollte.“

      „Tja,“ da Sibo hatte wieder diesen Gesichtsausdruck, den nur Sara verstand. „Religiosität korreliert mit dem Alter, fehlender Intelligenz und, wie vor allem hier, mit mangelnder Bildung.“

      „Ja, aber stellen Sie sich die Situation vor, als die Zahl der Infizierten Ende 2014 regelrecht explodierte. Es kam zu kaum vorstellbare Szenen. In den Dörfern und Städten wurden Kranke und Tote stunden- manchmal tagelang von einem Krankenhaus zum anderen gekarrt, praktisch ohne die Möglichkeit, Hilfe zu finden, weil alle medizinischen Einrichtungen, die Ebola-Patienten aufnehmen konnten, hoffnungslos überfüllt waren.“

      „Doktor Li?“ Sara fragte ganz leise. „Sie waren damals dabei?“

      Die Chinesin hatte sich im Griff. „Mit den ‚Ärzten ohne Grenzen‘. Ab Mitte 2014 bis zum Ende. Das heißt - zwölftausend Tote später.“

      Der Bass meldete sich wieder: „Wir sind ziemlich weit vom Thema abgekommen. Was ist jetzt mit der zweiten Möglichkeit, die Sie uns versprochen haben? Ich hoffe nicht, dass Sie uns erzählen wollen, dass jemand so ein Monstrum absichtlich und an drei Orten gleichzeitig unter die Leute gebracht hat!“

      Wieder mischte sich Mauters ein: „Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass Krankheitserreger bewusst freigesetzt werden.“

      „Aber das wäre vielleicht das letzte Mal, weil die Menschheit dann ausgerottet ist.“ Diesmal sah da Sibo den Sprecher, denn er war aufgesprungen: Ein hagerer Hüne von über zwei Metern, mindestens siebzig Jahre alt, mit einem Raubvogelgesicht. In dem Moment wusste er auch, woher er diese Stimme kannte. Sie gehörte Dr. Søren Ringstrøm, Professor der Paläomikrobiologie an der Smithsonian Institution. Alva hatte ihn als Student erlebt und wusste, dass ihm der Ruf vorausging, keinem Streit aus dem Weg zu gehen.

      Li hatte offensichtlich nicht vor, mit dem Professor in den verbalen Clinch zu gehen. Sie schwieg einfach. Ringstrøm sah wohl ein, dass im Moment die Situation entschärft war und setzte sich.

      Anna Kampa war wieder zu sehen. „Da hierzu noch keine Fakten vorliegen, bitte jetzt Sie, Dr. Graber!“

      Das nichtssagende Gesicht eines Mittfünfzigers erschien. Graber räusperte sich mehrmals und begann: „Wir sind seit vier Tagen dabei, die Todesursachen zu ermitteln. Das gelingt uns zwar in praktisch jedem Fall, ist aber genauso vielfältig wie verwirrend. Vorwiegend ist es eine Art multiples Organversagen, manchmal auch Infarkte, innere Blutungen - besonders Hirnblutungen. Wir haben aber auch regelrechte Organverflüssigungen gefunden, die tatsächlich an Ebola erinnern, allerdings nur in einem kleinen Teil der Fälle. Hier kann man noch am ehesten erkennen, was passiert ist – nämlich die Zerstörung der Zellstruktur, d.h. der Zellwände. Es gibt jedoch keinen gemeinsamen Faktor, ja, wir haben es noch nicht einmal geschafft, einen Virus oder ein Bakterium nachzuweisen. Die Krankheit beginnt meist mit schwerem, wässrigem Durchfall, Bauchschmerzen, Erbrechen, heftigen Brust- und Lungenschmerzen, Halsschmerzen und Husten. Das erinnert an die anfänglichen Krankheitsbilder von Malaria, Typhus oder Gelbfieber.“

      „Ein hämorrhagisches Fieber?“ Das war wieder Ringstrøm.

      „Ja, schon möglich, aber wie gesagt, wir konnten bisher noch keinen Erreger nachweisen.“

      „Und wenn es weder ein Virus noch ein Bakterium ist?“ hörte sich da Sibo erstaunt selbst fragen. Ihm war die Frage des Kapitäns nicht aus dem Kopf gegangen.

      „Ah, Professor da Sibo“ Graber grinste „wenn die Frage nicht von Ihnen gekommen wäre, hätte ich sie wohl ignoriert.

      Also, woran denken Sie?“

      „An nichts Konkretes“, versuchte da Sibo zurück zu rudern „ich möchte nur, dass wir uns alle Optionen offen halten und nicht in irgendetwas verrennen.“

      Aber zu spät, Ringstrøm stand schon wieder: „Soso, Professor, jetzt wird nicht gekniffen, Sie haben doch eine Idee – raus damit!“

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