Die Stunde der Wahrheit. Christian Macharski
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Fredi nickte.
Das Heinsberger Krankenhaus war gute 20 Kilometer entfernt. Während Borowka mit einem Affenzahn über die Landstraße raste, hatte Fredi sich den Beifahrersitz ganz heruntergedreht und presste beide Hände in der Hose fest auf seine Hoden. „Wenn uns jetzt einer anhält“, dachte Borowka und gab noch ein bisschen mehr Gas.
Das Ortsschild von Heinsberg war schon in Sichtweite, als Fredi fürchterlich aufstöhnte. Eine Bodenwelle hatte ihn voll erwischt und erneut blieb ihm die Luft weg. „Wie weit ist es noch? Ich halt es nicht mehr aus ohne Eis“, rief er.
Borowkas Augen irrlichterten wild herum und erspähten plötzlich auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen schicken Landgasthof, den er bislang noch nie besucht hatte. Wozu auch, sie hatten ja schließlich in Saffelen den Grill-Container. Nun aber konnte das Restaurant ihre Rettung sein. Borowka stieg voll in die Eisen, der Wagen brach hinten aus und schleuderte quer über die Straße auf den Parkplatz des Gasthofs, wo er mit einer Vollbremsung direkt vor dem Eingang zum Stehen kam. Kies spritzte gegen die anderen Autos, die dort geparkt waren.
Borowka sprang aus dem Auto und rief Fredi zu: „Halt durch, ich hol dir was Eis.“ Dann spurtete er ins Restaurant und sah sich im Eingangsbereich hektisch um. Von innen sah das Lokal sogar noch besser aus als von außen. Die Einrichtung war stilvoll und modern. Aus den versteckten Lautsprechern an der Decke rieselte angenehme Klaviermusik und leises Gemurmel erfüllte den erstaunlich gut gefüllten, großen Raum, der durch seine verschachtelten Sitzecken und die dezente Dekoration ausgesprochen gemütlich wirkte. Borowka zuckte zusammen, als er von hinten angesprochen wurde:
„Guten Abend, haben Sie reserviert?“
Er drehte sich um und erblickte einen gepflegten, jungen Mann in einer Art Smoking. Sein Haar war mit viel Gel nach hinten gestrichen und der Rücken durchgedrückt. Über seinen Arm hatte er eine weiße Serviette gelegt.
„Öhm, nee“, stotterte Borowka leicht eingeschüchtert, „ich bräuchte aber ganz dringend für ein Notfall ganz viele Eiswürfel. Kann ich die bei Sie kaufen?“
Der Kellner verzog keine Miene und antwortete freundlich: „Nein, die müssen Sie nicht kaufen. Ich gebe Ihnen gerne welche mit. Warten Sie bitte hier, dann pack ich Ihnen etwas in eine Tüte.“
„Danke“, sagte Borowka, während der Mann im Smoking in der Küche verschwand.
„Ich wusste gar nicht, was es hier für schicke Läden gibt“, dachte Borowka, während er sich umsah. Plötzlich blieb sein Blick an einem Tisch hängen. Er rieb sich kurz seine Augen, weil er ihnen nicht traute. Aber es stimmte. Fredis Freundin Sabrina saß zwischen drei Anzugträgern und hielt lachend ein Glas Champagner in die Höhe. Die Männer taten es ihr nach und stießen gemeinsam in der Luft an. Sabrina trug ein elegantes Abendkleid und ein diesmal recht auffälliges Make-up. Vor allem die vollen roten Lippen stachen ins Auge. Sie war eingerahmt von zwei attraktiven Männern, ungefähr Mitte dreißig, von denen einer ständig ihren Arm tätschelte und sie mit einem besonders breiten und weißen Lächeln anhimmelte. Der Mann, der ihr gegenüber saß, war nicht zu erkennen, es schien sich aber um einen etwas älteren Herrn zu handeln, denn er hatte einen grauen Haarkranz.
Verstohlen blickte Borowka sich um und zog dann sein Handy aus der Tasche. Heimlich machte er ein paar Fotos von der Szene, als der Kellner plötzlich wieder wie aus dem Nichts auftauchte.
„Hier bitte, Ihr Eis.“ Borowka zuckte erneut heftig zusammen. Das lautlose Anschleichen von hinten gehörte hier offensichtlich zur Grundausbildung. Immerhin hatte der Mann bestimmt ein halbes Kilo zerstoßenes Eis in eine durchsichtige Tüte gepackt und fein säuberlich mit einem Clip verschlossen. Borowka bedankte sich und ging zurück zum Auto, wo sich Fredi voller Dankbarkeit sofort den ganzen Beutel vorn in die Sporthose stopfte und erleichtert aufatmete. „Das sollte jetzt bis zum Krankenhaus reichen“, sagte Borowka und ließ den Motor wieder aufheulen.
Der Plan
6
Mittwoch, 26. Juli, 8.06 Uhr
Peter Kleinheinz fuhr hoch. Er wirbelte herum und griff blitzschnell zu seiner Dienstwaffe, einer SIG Sauer P225, die neben ihm im Schulterholster an einem Stuhl hing. Während er sie im Anschlag hielt, suchte sein Blick den Raum ab. Der Kommissar schüttelte sich kurz und realisierte nach und nach, dass er einfach nur aus einem tiefen Schlaf hochgeschreckt war. Er saß senkrecht im Bett seines Gästezimmers auf dem Hof der Hastenraths. Von unten aus dem Flur drang höllischer Lärm nach oben. Jetzt, da er wieder bei Sinnen war, konnte er die Quelle des Getöses schnell zuordnen. Jemand hatte die schrille Haustürklingel etwas länger als nötig gedrückt, anschließend war Knuffi mit seinem nervigen Gekläffe dazugekommen und kurz danach hatte sich aus der Ferne auch noch Hofhund Attilas tiefes Bellen unter die Klangcollage gemischt. Alles zusammen erinnerte akustisch an einen unkoordinierten Indianerüberfall.
Kleinheinz streckte sich und gähnte laut. Ein leichter Kopfschmerz pochte hinter seiner Stirn. Er war gestern entgegen seiner Planung erst sehr spät auf dem Hof eingetroffen, da er, nachdem er die letzten Formalitäten in Roermond erledigt hatte, noch seinen ehemaligen Kollegen bei der Heinsberger Polizei einen Besuch abgestattet hatte. Sein früherer Chef, Direktionsleiter Kriminalität August Pimpertz, hatte anschließend darauf bestanden, ihn zum Essen einzuladen. Und so war die Sonne schon untergegangen, als er in Saffelen eingetroffen war. Walter hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon auf sein Zimmer zurückgezogen, aber Will, der normalerweise kein Freund übertriebener Gastfreundlichkeit war, hatte noch auf einen Absacker bestanden. Natürlich war damit der gute alte „Saffelener Höllentropfen“ gemeint, jener berüchtigte, selbst aufgesetzte Rhabarberschnaps, den Schlömer Karl-Heinz illegal in seinem Gartenhäuschen brannte. Und natürlich war das nicht ohne Folgen geblieben. Sternhagelvoll waren beide gegen ein Uhr nachts auf ihre Zimmer gewankt. Immerhin hatte der Höllentropfen für einen sehr tiefen, traumlosen Schlaf gesorgt – jedenfalls so lange, bis Knuffi ins Spiel kam.
Kleinheinz machte sich kurz frisch in dem kleinen Bad, das sich im Nebenraum befand. Er schlüpfte in seine Jeans, streifte sein T-Shirt über und ging beschwingt die Treppe hinunter. Im Flur lief ihm Will über den Weg, der gerade vier übereinandergestapelte Schuhkartons ins Wohnzimmer trug. Kleinheinz folgte ihm.
Auf dem Dreiersofa in der Mitte des Raums saß ein gepflegter Mann mit akkuratem Kurzhaarschnitt und einem weißen Poloshirt von Lacoste. Vor sich auf dem Tisch hatte er jede Menge Ordner und Unterlagen ausgebreitet. Daneben stand ein aufgeklappter Laptop.
Will stellte die Schuhkartons auf dem Boden ab und sagte zu dem Mann: „Das ist alles, was ich an Unterlagen hab.“
Der Mann zog eine Augenbraue hoch. Dann wanderte sein Blick von den Kartons hinüber zu Kleinheinz. „Hmm. Ist das einer Ihrer Mitarbeiter? Dann hätte ich an den auch noch ein paar Fragen.“
Will sah sich irritiert um und schien den Kommissar erst jetzt wahrzunehmen. „Was? Nein, das ist kein Mitarbeiter, das ist ein Hausgast.“
Der Mann mit dem Poloshirt musterte Kleinheinz mit stechendem Blick und setzte nach. „Aha, ein Gast? Interessant. Das heißt, Sie vermieten hier Zimmer und erzielen Vermietungseinkünfte? Haben Sie nicht gestern noch behauptet, Ihre Pension sei nie eröffnet worden?“
„Ich, äh, natürlich, also …“, stammelte Will.
Kleinheinz sprang ihm zur Seite und reichte dem Mann auf der Couch die Hand. „Hauptkommissar Kleinheinz vom Landeskriminalamt. Guten Morgen. Ich bin weder ein Mitarbeiter noch ein Gast, sondern nur ein guter