Die Höhle des Löwen. Christian Macharski
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Читать онлайн книгу Die Höhle des Löwen - Christian Macharski страница 6
Plötzlich musste sie darüber nachdenken, wie sie wohl selbst in einer ähnlichen Situation reagiert hätte. Doch als sie ihren mit dem Schicksal hadernden Mann in seinem abgetragenen Hemd und der altmodischen Hornbrille musterte, fehlte ihr schlicht die Fantasie, sich diesen Mann in den Armen einer fremden Frau vorzustellen. Aber wie würde Will über so etwas denken? Schließlich war er durchaus bekannt für seine cholerischen Momente, die sich allerdings meist gegen politische Gegner oder Nachbarn richteten. Neugierig fragte sie: „Sag mal: Wenn du mich mit ein anderer Mann im Bett erwischen würdest, was würdest du dann machen?“
Will hob den Kopf und sah seine Frau überrascht an. Nachdem er sich kurz mit der Frage beschäftigt hatte, antwortete er im Brustton der Überzeugung: „Wenn ich dich mit ein anderer Mann im Bett erwischen würde? Ich glaube, ich würde der Mann mit sein eigener Stock verprügeln.“
Marlene strich sich geschmeichelt durchs Haar. Dann hielt sie plötzlich inne und fragte: „Was denn für ein Stock?“
Will grinste schief und antwortete: „Wie, was für ein Stock? Ich geh doch mal davon aus, dass ein Mann, der sich in dein Bett legt, sein weißer Blindenstock dabei hat. Wie würde der sonst hochfinden?“
Will brach in sein typisches schepperndes Gelächter aus. Erst als Marlene mal wieder mit großer Geste und schneidendem Blick ihre Arme vor der Brust verschränkte, erstarb das Lachen und der Landwirt erhob sich mit einer schnellen Bewegung von der Eckbank. „Ähm, wo ist denn die Leine?“, lenkte er im Angesicht des drohenden Gewitters geschickt ab. „Ich geh, glaube ich, mal eine Runde mit der Knuffi.“
5
Will trat vor die Tür und blinzelte in die Sonne, die hinter dem Haus von Jütten Toni aufgegangen war. Knuffi wollte gerade vor dem Rhododendronbusch sein rechtes Hinterbein heben, als Will am Bürgersteig Richard Borowka entdeckte und auf ihn zulief. Der kleine Hund sah sich entsetzt gezwungen, den Uriniervorgang abzubrechen und hetzte seinem Herrchen mit stolpernden Trippelschritten hinterher. Richard Borowka wartete ungeduldig vor der Einfahrt seines Hauses. Es machte ihn halb wahnsinnig, dass er seit dem Verlust seines Ford Capris auf Fredis Chauffeurdienste angewiesen war. Der gehörte nämlich nicht zu den Pünktlichsten, seit er sich ein nicht enden wollendes Verabschiedungsritual mit seiner Verlobten angewöhnt hatte.
Will trat neben Borowka und kondolierte mit gesenkter Stimme: „Es tut mir so leid, Richard. Ich hab’s leider nicht mehr geschafft zur Seebestattung. Aber noch mal danke für die Einladung.“
Borowka nickte mit zusammengepressten Lippen. Da ihm der Gedanke an seine große gelbe Liebe noch zu viele Stiche versetzte, versuchte er schnell das Thema zu wechseln. „Hör mal, was ist das für eine Scheiße mit der Kleinheinz? Meinst du, der hat die arme Bettina …?“
„Nein, natürlich nicht“, schnitt Will ihm ein wenig zu laut das Wort ab, „das muss alles ein großer Irrtum sein.“
„Und was ist mit der tote Mann?“
Will zuckte kraftlos mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich kann mir das alles nicht erklären. Ein Tag vor der Tat habe ich mich noch mit der Peter unterhalten und da machte der ein ganz normaler Eindruck. Ich hoffe, dass ich bald mal mit dem reden kann.“
„Wo ist der denn jetzt?“
Will biss sich auf die Lippe. „Wenn ich das richtig verstanden habe, im Knast in Aachen, in Untersuchungshaft.“
„Und da kannst du dem einfach besuchen?“
„Na ja, so einfach wahrscheinlich nicht. Aber ich will mal mit der Kommissar Dohmen sprechen, ob der da für mich was deichseln kann.“
„Der Dohmen muss wohl gerade hinten am Tatort sein. Ich hab beim Rausgehen mitgekriegt, wie Rita mit Billa Jackels dadrüber telefoniert hat. Da sind die wohl mit Bagger der Garten am umgraben.“
Will starrte Richard mit großen Augen an. „Was ist los? Mit Bagger? Ich muss sofort da hin. Komm, Knuffi.“
Borowka hielt den Landwirt an seinem Parka zurück.
„Komm, wir nehmen dich mit. Wir müssen sowieso durch das Neubaugebiet. Da vorne kommt schon unser Taxi.“
Im selben Moment schleuderte ein dunkler Citroen mit quietschenden Reifen um die Kurve. Am Steuer saß ein gestresster Fredi Jaspers, dem sein braunes Haar, das er hinten lang trug, wirr ins Gesicht flog. Satte vier Minuten Verspätung hatte er auf der Uhr. Borowka winkte seinen Kumpel mit ausgestrecktem Mittelfinger am Bürgersteig ein. Der kurbelte das Fenster runter und keuchte: „Tut mir leid, Borowka. Ich musste Sabrina noch …“
„Ja, komm, erspar mir die Details“, ätzte Borowka, „geb lieber Gas. Wir müssen Will und Knuffi noch am Neubaugebiet absetzen.“
Nachdem Will und Knuffi zwei Minuten später in der Goethegasse gegenüber dem Mordhaus aus Fredis Auto gestiegen waren, entschuldigte sich Will wortreich für den großen Urinfleck, den Knuffi auf dem Sitzbezug hinterlassen hatte, und versprach, den Schaden umgehend seiner Versicherung zu melden. Fredi winkte resigniert ab und setzte seine Fahrt fort. Da der lautstarke Anschiss seines Chefs Heribert Oellers ohnehin nicht mehr zu verhindern war, fiel die feuchte Hinterlassenschaft von Knuffi auch nicht mehr groß ins Gewicht – abgesehen vielleicht vom beißenden Geruch. Will streckte sich kurz und näherte sich dann dem diesmal unbewachten Absperrband, das den kompletten Vorgarten vor Schaulustigen schützte. Er passierte die mittlerweile geleerte Mülltonne des Nachbarhauses, die immer noch auf dem Bürgersteig stand, und band Knuffi am Laternenmast an. Verstohlen sah er sich um. Da er keinen Uniformierten entdeckte, hob er das Absperrband an und betrat das Grundstück von Bettina Hebbel und Kleinheinz. Fast lautlos glitt er mit seinen Gummistiefeln durch das morgentaubenetzte Gras und öffnete vorsichtig das kleine, schmiedeeiserne Gartentörchen, das rechts neben dem Haus auf die Terrasse führte.
Hinter dem Haus ging es weitaus geschäftiger zu. Ein kleiner Bagger kurvte wild umher. Der rauchende Bauarbeiter darin hatte bereits mehrere Löcher ausgehoben, in denen Polizeibeamte mit langen Stangen herumstocherten. Ein Polizist mit vier silbernen Sternen auf der Schulterklappe stand mitten auf dem Rasen und brüllte Anweisungen in alle Richtungen. Die Vorstellung, dass gleich jemand „Hier ist was“ rufen könnte, gruselte Will so sehr, dass er gar nicht bemerkte, wie plötzlich jemand hinter ihn trat. Als sich eine Hand auf seine Schulter legte, zuckte er heftig zusammen. Schwer atmend drehte er sich um und sah in die blutunterlaufenen Augen von Kommissar Dohmen. Viel Schlaf schien der Mann nicht gehabt zu haben in der letzten Nacht. Entsprechend matt klang seine Stimme: „Herr Hastenrath, ich muss Sie wohl nicht belehren,