Wut und Wellen. Peter Gerdes

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Wut und Wellen - Peter Gerdes

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erschlich. Lüppo Buss war wieder einmal froh, Beamter geworden zu sein.

      »Na, müsst ihr hier niedere Dienste verrichten? Solltet ihr nicht lieber die Ermittlungen vorantreiben?«, grollte es von oben herab. Der Inselpolizist legte den Kopf in den Nacken. Doktor Fredermann hatte leicht reden. Für einen Menschen seiner Körperlänge war jede Tätigkeit, die er nicht gerade selbst verrichtete, eine niedere. Außerdem hatte der Mediziner einen wunden Punkt getroffen. Nun ja, was sollte man anderes erwarten?

      »Was gibt’s da zu grinsen?«, knurrte Fredermann weiter. »Immerhin wurde ein Mensch verletzt! Und ihr steht hier herum. Meint ihr, der Bombenleger macht so lange Pause, bis ihr mal Zeit für ihn habt?«

      »Ich nicht.« Lüppo Buss verhakte seine Finger auf dem Rücken und wippte auf den Fußballen. »Der, der das meint, heißt Dedo de Beer.«

      Insa Ukena schickte ihm einen warnenden Blick herüber. Sie nahm es mit der dienstlichen Verschwiegenheit noch ziemlich genau. Kramer hatte wohl ein bisschen auf sie abgefärbt, dachte Lüppo Buss. Dabei wusste doch jeder, wie der Leitende Ermittler des zuständigen Fachkommissariats in Wittmund hieß.

      »Ach«, sagte Fredermann, »kommt er rüber?« Sein Gesicht nahm einen mitleidsvollen Ausdruck an.

      »Soll wohl«, murmelte der Inselpolizist und drehte sich weg. Mitleid konnte er überhaupt nicht vertragen. »Der dürfte mittlerweile schon auf der Fähre sitzen. Oder in der Inselbahn.«

      Insa knuffte ihn heftig in die Rippen, aber der Oberkommissar zuckte nur die Achseln. Ein paar Minuten noch, dann wusste es ohnehin jeder. Dass Lüppo Buss nur ein Platzhalter war, gerade gut genug, um Betrunkene zur Ordnung zu rufen, geklaute Fahrräder zu suchen oder schwachsinnige Anzeigen wegen dünnschissverursachender Marmelade entgegenzunehmen. Aber wenn mal etwas Richtiges passierte, so ein Ding wie dieses hier, dann war der Inselpolizist natürlich eine Nummer zu klein. Dann musste jemand anderes her, einer mit mehr Ahnung und Kompetenz. Ein richtiger Polizist eben. Wütend trat Lüppo Buss gegen die Zarge der demolierten Schwingtür.

      »He, spinnst du?«, zischte Insa. »Hast du vergessen, weshalb wir hier herumstehen?«

      Nein, hatte er nicht. ›Tatort sichern, alles absperren, sonst nichts‹, hatte de Beer am Telefon geschnauzt. ›Wir machen das. Ihr fasst nichts an, verstanden?‹ Am liebsten hätte Lüppo Buss gefragt, ob man denn den Verletzten vielleicht wieder an Ort und Stelle hinlegen solle, am besten blutend, wie er vorgefunden worden war. Aber dann hatte er sich doch auf die Zunge gebissen. De Beer hatte bei den letzten beiden größeren Fällen auf Langeoog, die Lüppo Buss zusammen mit Stahnke und zuletzt auch mit Insa Ukena erledigt hatte, schlecht ausgesehen – offenbar war er nachtragend. Ihn zu reizen, würde nur noch mehr Ärger bringen.

      »Wie geht es denn eigentlich dem kleinen Jannik Bartels?«, fragte Insa Ukena, als hätte sie die sarkastischen Gedanken ihres Kollegen gelesen. »Ist er schon wieder bei Bewusstsein?«

      Fredermann nickte. »Gut geht es ihm, wenn man’s bedenkt. Hat wirklich unverschämtes Glück gehabt. Ich meine, wenn so eine Sprengladung explodiert – da können Splitter wirklich üble Löcher reißen, auch wenn es nur Porzellansplitter sind. Zerfetzte Schlagadern, perforierte innere Organe und so. Aber nee, nichts davon. Nur ein paar Lackschäden, ich meine, leichte Verbrennungen und Schnittwunden. Genau genommen bessere Kratzer. Damit muss er nicht einmal lange krankfeiern.«

      »Na, da wird sich sein Chef ja freuen, dass der Jannik das geklaute Boot weiter abarbeiten kann«, höhnte der Oberkommissar lautstark. Aus den Augenwinkeln aber erkannte er, dass seine Provokation ins Leere fiel, da sich die Traube der hungrigen Hotelgäste inzwischen verlaufen hatte, und mit ihnen war auch Hotelbesitzer Thormählen verschwunden.

      »Wie kann es denn sein, dass der Jannik so glimpflich davongekommen ist?«, fragte Insa Ukena. »Ich meine, er stand im Moment der Detonation doch genau vor dem offenen Kühlschrank. Da müsste er doch mehr abbekommen haben.«

      Fredermann wiegte den Kopf. »Wenn – dann. Das sehe ich auch so«, antwortete er kryptisch. »Aber wenn nicht, dann nicht.«

      Lüppo Buss und Insa Ukena stemmten beide die Fäuste in die Hüften, vorwurfsvoll und synchron wie ein altes Ehepaar. Fredermann hob abwehrend die Hände. »Schon gut, schon gut! Ich erkläre mich ja schon. Obwohl – für unbewiesene Hypothesen bin ich genau genommen ja nicht zuständig.« Er grinste spitzbübisch: »Dafür habt ihr doch Spezialisten.«

      »Aber Stahnke ist nun einmal nicht hier«, erwiderte der Oberkommissar, ohne eine Miene zu verziehen, »und einer muss es ja machen. Also los.«

      »Wenn’s unter uns bleibt.« Fredermann zwinkerte ihm zu. »Ich habe ja den kleinen Koch verarztet, ich meine, die Erstversorgung vorgenommen. Da war er schon wieder bei sich. Und der Schock war auch nicht allzu groß, er konnte sich also ziemlich genau an den Ablauf erinnern. Also, der Kleine sagt, als er den Kühlschrank heute früh aufgemacht hat, hätte es zuerst so etwas wie eine Feuerwolke gegeben. Die eigentliche Detonation erfolgte erst ein bisschen später. Jannik Bartels hatte also gerade genug Zeit, sich in Sicherheit zu bringen.«

      »Klingt nach einer ausgefuchsten Sprengfalle«, sagte Lüppo Buss. »Wie sowas wohl funktioniert?«

      »Nun ja.« Fredermann verschränkte seine langen Finger und ließ die Gelenke knacken, dass die beiden Polizeibeamten zusammenzuckten. »Eine Idee hätte ich schon. Wisst ihr, als ich jung war, war ich ein ziemlicher Pyromane. Habe alles Mögliche in die Luft gejagt, draußen in den Dünen, ohne dass jemand dahintergekommen wäre. Unkraut-Ex in Wasser aufgelöst, Zeitungspapier damit getränkt, getrocknet, aufgerollt und in Rohrstücke gesteckt – Krawumm! Ich kann euch sagen, das waren echte Granaten, die ich damals gebastelt habe, im wahrsten Wortsinne. Danach würden sich heute die Islamisten alle Finger lecken.« Er hob seine Hände hoch: »Ein Wunder, dass ich meine Finger alle noch habe.«

      »Eine Bombe aus Unkrautvertilgungsmittel?«, fragte Insa Ukena. »Klingt nicht gerade nach einer Präzisionswaffe.«

      »Wie man’s nimmt«, erwiderte Fredermann. »Wenn ihr nichts dagegen habt, kann ich ja mal gucken. Ich ziehe auch die hier an.« Er zupfte ein Paar Latexhandschuhe aus der Jackentasche und begann, sie über seine Finger zu streifen.

      Insa Ukena hob abwehrend die Hand und öffnete den Mund, aber Lüppo Buss kam ihr zuvor. »Nur gucken, nicht anfassen«, mahnte er. »Und nirgendwo drauftreten. Hier liegt überall Obstmatsch herum.«

      Fredermann tat, wie ihm geheißen, und stelzte wie ein Storch auf den deformierten Kühlschrank zu, den Inselpolizisten auf seinen Fersen, während Insa Ukena den Eingang im Auge behielt. Die Kühlschranktür war halb aus den Scharnieren gerissen. Der Arzt musterte sie ausgiebig, ehe er sich dem Kühlschrankkorpus zuwandte. »Dachte ich’s mir doch«, murmelte er vor sich hin. Dann beugte er sich vor und streckte seinen Kopf ins Innere des verwüsteten Behältnisses, so weit es ging, ohne irgendetwas zu berühren. »Nicht zu fassen«, erklang es dumpf zwischen Früchtemus und Porzellanscherben.

      »Na los, Bericht!«, verlangte Lüppo Buss ungeduldig.

      Fredermanns Kopf tauchte wieder auf. »Pass auf«, sagte er und wies mit langem Latexfinger auf eine Stelle der Kühlschrankdichtung, ohne sie zu berühren. »Siehst du das? Hier hat jemand etwas hindurchgebohrt. Eine Hohlnadel, eine feine Düse, irgendwas in der Art. An der Tür ist eine ähnliche Marke, genau auf gleicher Höhe. Der Täter hat darauf geachtet, die Dichtung nicht so stark zu beschädigen, dass sie etwa undicht geworden wäre. Das konnte er nämlich nicht gebrauchen.«

      »Warum?«

      »Wart’s doch ab!« Als nächstes zeigte Fredermann

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