Wut und Wellen. Peter Gerdes
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Ein paar Minuten dauerte der Gang, dann hatte Stahnke die Treppe erreicht, die ihn hoch zur Georgstraße und damit zurück zu seiner Berufsrealität führte. Summend schulterte er sein Zweitrad und trug es die Stufen hoch. Wieder einmal hatte der kleine Umweg zur Verbesserung seiner Morgenlaune gereicht.
Während er das Dienstgebäude betrat und die Treppen erklomm, rekapitulierte er, was sie inzwischen über Wallmann wussten. Er repräsentierte in der Tat die rauere Seite des florierenden Zeitarbeitsbusiness. Hatte polnische Fleischhauertrupps an südoldenburgische Großschlachtereien vermittelt, hart arbeitende Männer, die für Hungerlöhne unter mörderischen Bedingungen ganze Herden zerlegten, während ihre deutschen Berufskollegen untätig auf den Arbeitsämtern, die neudeutsch Agenturen hießen, anstanden. Hatte multikulturelle Maurerkolonnen ohne Arbeitserlaubnis auf Baustellen in ganz Deutschland geschickt, wo sie jeden Ecklohn unterboten, Überstunden klaglos ertrugen und die Wochenenden durchschufteten, immer das drohende Elend daheim vor Augen. Ungelernte aus Osteuropa hatte er an die Bahn vermittelt, wo sie für einsfuffzig die Stunde Gleise überholten, ohne zu wissen, was sie da taten. Von den zahllosen Gebäudereinigern und Pflegekräften ganz zu schweigen, die dafür sorgten, dass Kosten gedämpft werden konnten, ohne dass auch nur ein Manager auf seine Bonuszahlung verzichten musste. Und er hatte hochqualifizierte Facharbeiter unter Vertrag, die nach Bedarf eingesetzt werden konnten, was es zum Beispiel der Leiner-Werft oben an der Ems ermöglichte, ihre Stammbelegschaft zu reduzieren und Arbeitskräfte je nach Auftragslage kurzfristig anzuheuern, ganz wie früher zur Gutsherren- und Tagelöhnerzeit. Diese Zeitarbeit war wirklich eine tolle Sache, dachte Stahnke. Nahezu alle schienen davon zu profitieren, Wallmann ebenso wie seine unterschiedlichen Kunden. Alle, bloß die Arbeitnehmer nicht.
Oben empfingen ihn Kaffeeduft und Kramer. »Interessante Sache«, sagte der Oberkommissar und legte ihm ein paar Kopien vor. Stahnke blätterte. Die Unterlagen stammten offenbar aus Waldemar Wallmanns Ordnern. Kaufverträge über drei Boote, über einen Zeitraum von sieben Jahren bei verschiedenen Händlern erworben. Und die dazugehörigen Versicherungsverträge. Auch die waren mit drei verschiedenen Firmen abgeschlossen worden.
Stahnke blickte hoch. »Ungewöhnlich«, kommentierte er. »Klar, man wechselt hin und wieder, wenn man unzufrieden ist oder ein besseres Angebot bekommt. Aber gleich jedes Mal?«
»Es kommt noch besser«, sagte Kramer schmunzelnd.
Anzeigenprotokolle. Diebstahlsanzeigen, erstattet bei verschiedenen Polizeirevieren. Zweimal erschien Wallmann selbst als Geschädigter, einmal hatte das Boot angeblich einer Frau gehört. Stahnke verglich die Daten: Eindeutig dasselbe Boot, das seinerzeit Wallmann erworben hatte. Offenbar hatte der Halter zwischenzeitlich gewechselt. Stahnke tippte auf eine von Wallmanns früheren Freundinnen. Ein simpler Täuschungsversuch, der aber anscheinend gewirkt hatte.
»Schau an«, sagte der Hauptkommissar. »Das stinkt doch nach Versicherungsbetrug. Wallmann hat doppelt abgesahnt.«
Kramer nickte bestätigend. »Bei der Versicherung und beim Abnehmer seiner Boote. Davon können wir ausgehen. Beweise gibt es natürlich keine. Aber für diese Häufung gibt es kaum eine andere Erklärung. Außerdem, wer weiß, vielleicht ist das ja noch nicht einmal alles.«
»Gut möglich«, sagte Stahnke. »Respekt, dass du dies hier so schnell herausgefiltert hast. Ist ja eigentlich gar nicht unser Gebiet. Bringt uns aber auf jeden Fall ein neues Tatmotiv ein.«
»Wallmanns Abnehmer«, nahm Kramer den Ball an. »Oder der Zwischenhändler. Auf jeden Fall muss es einen oder mehrere Komplizen gegeben haben. Leute, die die angeblich geklauten Boote irgendwo aus dem Wasser ziehen, auf Trailer verladen und außer Landes schaffen. So läuft das doch meistens. Jeder von denen will seinen Profit machen. Und Wallmann war bestimmt keiner, der anderen mehr abgibt als unbedingt nötig.«
»Du meinst, er konnte den Hals nicht voll kriegen? Durchaus vorstellbar.« Stahnke lehnte sich zurück. »Wallmann könnte seine Partner derart verärgert haben, dass diese ihm aufgelauert und ihn erledigt haben. Und zwar gründlich. Sein Boot könnten sie mitgenommen haben, um sich nachträglich für unterschlagene Anteile zu entschädigen. Vielleicht wollten sie auch gleich das Nachbarboot mitnehmen, daher die lose Leine. Dabei aber wurden sie gestört und machten sich davon.«
»Ohne Wallmann die 6.000 Euro abzunehmen?« Kramer wiegte zweifelnd den Kopf.
»Wie auch immer.« Stahnke zuckte die Schultern. »Auf jeden Fall war Wallmann offenkundig über Jahre als Versicherungsbetrüger aktiv. Also wird man ihn in den einschlägigen Kreisen auch kennen. Eine Meinung über ihn haben. Bloß, wie kommen wir in diese Kreise hinein? Kontakte habe ich jedenfalls keine. Da werden wir wohl die Kollegen vom Fachkommissariat zwo um Unterstützung bitten müssen.« Er streckte schon seine Hand nach dem Telefon aus, da kam ihm eine andere Idee. »Wir wollten uns doch zunächst einmal mit Wallmanns Ex-Freundinnen befassen«, sagte er, zu Kramer gewandt.
Kramer antwortete nicht. Wenn man von ihm eine Antwort wollte, musste man ihm schon eine richtige Frage stellen.
»Da könnten wir doch gleich zwei Fliegen mit einen Klappe schlagen«, fuhr Stahnke also selbst fort. »Wie heißt doch gleich die Dame, die im letzten Bootsdiebstahlsfall als Geschädigte aufgetreten ist? Das dürfte ja wohl eine seiner Exen sein.« Er blätterte in den Kopien. »Aha, hier. Alina Thormählen. Mit der werden wir uns als erstes einmal unterhalten.«
Dann grinste er breit. »Schau an«, sagte er, »was für ein Zufall. Die Dame wohnt auf Langeoog.«
9.
»Zurücktreten«, psalmodierte Lüppo Buss monoton. »Bitte weitergehen. Hier gibt es nichts zu sehen.«
Das war natürlich glatt gelogen. Die Küche des Hotels Insulaner sah spektakulär furchterregend aus. Natürlich nicht zuletzt wegen der Zerstörungen, die die Explosion angerichtet hatte, vor allem aber wegen des Inhalts des betroffenen Kühlschranks. Das servierfertige Obst war zerfetzt und durch den ganzen Raum geschleudert worden. Gelbe Ananasfetzen, roter und weißer Melonenbrei, zermatschte Erdbeeren und grünliche Kiwifragmente klebten überall, tropften von der Decke, glibberten die Wände hinab und wabbelten auf Herd und Arbeitsplatten. Die Gesamtwirkung war von geradezu künstlerischer Grausigkeit, wie sie auch ein Joseph Beuys mit viel Mühe nicht überzeugender hätte hinbekommen können. Zudem hatten die Schwingtüren, die die Küche zum Speisesaal hin begrenzten, etwas abbekommen und schlossen nicht mehr, so dass die Neugierigen freies Blickfeld hatten. Vielmehr: gehabt hätten, wären da nicht Lüppo Buss und seine Kollegin Insa Ukena gewesen.
»Bleiben Sie zurück. Bitte gehen Sie weiter. Hier gibt es nichts … hallo? Hören Sie mich?« Insa Ukena tat sich mit der Dickfelligkeit einiger Hotelgäste sichtlich schwer. Lüppo Buss kam ihr zu Hilfe, breitete seine kräftigen Arme aus und gab seiner Kollegin Deckung. »Schauen Sie mal, da vorne gibt es Gutscheine für die umliegenden Cafés, dort können Sie heute umsonst Frühstück bekommen. Ich weiß allerdings nicht, ob auch genügend für alle da sind.«
Das half. Endlich begann die drängelnde Menge abzudriften, ließ sich dorthin dirigieren, wo zwei schwitzende Küchenhilfen improvisierte Gutscheine gegen Nennung der Zimmernummer austeilten.