Wut und Wellen. Peter Gerdes
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Bloß gut, dass Doktor Fredermann ihn so bald schon hatte gehen lassen. Aber warum auch nicht? Klar, dieser Riesenbumms von heute früh steckte ihm noch in den Knochen, Himmel nochmal. Aber Verletzungen hatte er kaum davongetragen, nur ein paar Schnitte und Schrammen, kaum der Rede wert, und die Pflaster wurden entweder von der Kleidung und seinen angesengten Haaren verdeckt oder fielen kaum auf. Als Koch schnitt man sich schon mal in den Finger oder verbrühte sich den Arm, da waren Pflaster ganz normal. Und das Klingeln in den Ohren hatte auch schon deutlich nachgelassen. Fredermann hatte ihm noch eine Abschlussuntersuchung verpasst, mehr rau als herzlich, und ihn dann hinauskomplimentiert. Ganz schön harter Hund für einen angeblichen Helfer der Menschheit. Aber dem jungen Koch sollte es recht sein, schließlich hatte er heute noch etwas vor.
Die Mittagsfähre war randvoll und spülte eine satte Ladung frischer Touristen auf die bereits gut ausgelastete Insel. Gut fürs Geschäft, dachte Jannik Bartels, und auch gut für die Restauranteröffnung heute Abend. Natürlich waren alle verfügbaren Tische längst reserviert, die Neugierde war schließlich groß, aber es konnte ja nicht schaden, wenn genügend potentielle Kundschaft nachdrängte. Denn die Lobeshymnen, die er mit seinen Menüs auszulösen gedachte, sollten ja auch angemessenen Widerhall finden.
Sein Vater hatte sich durch den dichten Pulk der Passagiere bereits bis ans Ende der Gangway vorgearbeitet, als Jannik Bartels endlich auch seine Mutter erblickte. Nicht nur rein äußerlich war sie das komplette Gegenteil ihres Mannes: klein, zierlich, rothaarig, sommersprossig und herzlich. Klarer Fall, die meisten meiner Gene stammen von ihr, dachte Jannik Bartels, als er sich endlich zu seiner Mutter durchgedrängelt hatte und von ihr in die Arme geschlossen wurde. Bloß die Segelohren habe ich von meinem Vater, und auf die hätte ich auch gut verzichten können.
Er hatte sich fest vorgenommen, auf keinen Fall etwas von der Explosion heute früh zu erzählen. Seine Mutter würde sich nur unnötig aufregen, und sein Vater würde darin sicher einen neuen Grund sehen, ihm Vorwürfe zu machen: »Was hast du denn jetzt wieder angestellt, dass jemand so wütend auf dich ist?« Dabei stand doch ziemlich sicher fest, dass der Anschlag gar nicht ihm persönlich gegolten hatte. Außer seinem Chef hatte doch überhaupt keiner gewusst, dass er heute Morgen der Erste sein würde, der an diesen Kühlschrank ging. Nein, nein, er war nicht gemeint gewesen.
Die Frage war bloß: wer dann?
Die ganze Inselbahnfahrt über schaute sein Erzeuger mürrisch aus dem Fenster, während seine Mutter ihn mit einem Schwall von Neuigkeiten und Fragen überschüttete, die allesamt unbeantwortet blieben, weil der kleine Koch zum Antworten gar keine Chance bekam. So beschränkte er sich darauf, glücklich zu lächeln und hin und wieder zu nicken. So war sie eben, seine Mutter, und so liebte er sie. Nicht zuletzt dafür, dass sie zum Anlass seines großen Tages die Reise von Braunschweig nach Langeoog auf sich genommen und sogar ihren Mann zum Mitkommen bewogen hatte. Denn der wäre bestimmt lieber zu Hause geblieben. Für den Oberstaatsanwalt und überzeugten Konservativen waren Köche untergeordnete Dienstboten, denen man höchstens dann Beachtung schenkte, wenn es etwas an ihrer Arbeit auszusetzen gab. Dass der eigene Sohn einer von denen geworden war, empfand Vater Bartels eher als beschämend denn als Grund zur Freude.
Mit hängenden Mundwinkeln schaute er auf seinen Sohn herab, während der am Bahnhof das Gepäck auf einen Handkarren wuchtete. »Warum haben wir keine Kutsche?«, fragte er vorwurfsvoll und wies auf eine Reisegruppe, die gerade einen Zweispänner bestieg.
»Hätte sich nicht gelohnt«, keuchte Jannik. »Bis zu eurem Ferienhaus sind es nur ein paar Schritte. Aber wenn ihr eine Rundfahrt per Kutsche möchtet, kein Problem, ich kann gleich nachher …«
»Danke«, unterbrach sein Vater ihn. »Mach dir nur keine Mühe.« Wieder blickte er über ihn hinweg.
Jannik Bartels riss am Handgriff der Wippe, dass die Koffer gegeneinander taumelten, und legte sich mit vollem Gewicht ins Zeug, um die Fuhre in Schwung zu bringen. Was seine Wangen dabei erröten ließ, war nicht die Anstrengung, sondern die Wut. Von wegen ›keine Mühe‹! Hatte dieser Stiesel überhaupt eine Ahnung, wie viel Mühe es machte, zu dieser Jahreszeit auf Langeoog ein vernünftiges Ferienhaus zu bekommen? Natürlich nicht. Der Alte hatte ja von überhaupt nichts Ahnung, das mit dem wirklichen Leben zu tun hatte! Lebte nur in seiner verstaubten Paragraphenwelt. Aber mal eben fordern: »Bitte ein Haus, keine Wohnung, wer weiß, mit wem man sonst Wand an Wand wohnen müsste« – ja, das konnte er! Und natürlich war ihm die prompte Erfüllung dieses Wunsches kein Wort des Dankes wert. Dabei hatte Jannik alle seine Beziehungen spielen lassen müssen, um das zu schaffen, vor allem natürlich die zu seinem Chef. Zum Glück war das noch vor der blöden Sache mit dem geklauten Boot gewesen.
Bis zum Ferienhaus im Polderweg war es kaum mehr als 500 Meter weit, aber das reichte schon, um Bartels senior unzufrieden die Stirn runzeln zu lassen. Jannik war heilfroh, als sie endlich vor dem frisch renovierten Backsteinhaus angelangt waren, das teilweise mit Holz verkleidet war. »Na, was meint ihr?«, fragte er erwartungsvoll, während er das Gepäckwägelchen aufs Grundstück manövrierte.
»Hübsch!« Seine Mutter strahlte ihn an. »Das hast du wirklich gut ausgesucht.«
Bartels senior grunzte. »Na, ein Haus scheint es ja zu sein«, sagte er abfällig. »Ziemlich alt, was? Außen aufgehübscht, aber wer weiß, was uns drinnen erwartet. Kennt man ja, was diese Vermieter so treiben, um an unser Geld zu kommen. Mit den Touristen kann man’s ja machen.«
»Wieso euer Geld?«, rief Jannik Bartels entrüstet. Immerhin hatte er die Miete bezahlt, und zwar im Voraus.
Sein Vater aber beachtete ihn gar nicht, sondern marschierte stracks auf die Haustür zu und drückte die Klinke herunter. »Nicht einmal abgeschlossen«, bellte er über seine Schulter, als sei das ein weiterer Beweis für die Verkommenheit der vermietenden Insulaner, und trat ein. »Hier drin ist es ja total finster«, hörte Jannik ihn murren.
»Kein Wunder, die Jalousien sind ja auch noch zu«, erwiderte er. In ihm brodelte es schon wieder, wie jedes Mal, wenn er mehr als zehn Minuten am Stück mit seinem Vater verbrachte. Ob das anderen Söhnen auch so ging?
»Mach dir nichts draus.« Seine Mutter strich ihm über den Rücken. »Du weißt ja, wie er ist. Er meint es nicht so.«
»Dadurch wird es auch nicht angenehmer«, sagte er. Aber er tat es halblaut, um seine Mutter nicht zu brüskieren. Ihr zuliebe ertrug er immer wieder einmal das Zusammensein mit seinem verhassten Vater, auch wenn er sich als Teenager geschworen hatte, ihn nach 18. Geburtstag nie mehr wiederzusehen. Ihr zuliebe würde er fast alles tun. Er wusste, dass sie beinahe ebenso sehr unter den Allüren ihres Gatten litt wie er. Der Himmel mochte wissen, wie sie ihn all die Jahre hatte ertragen können.
»Du musst ihn verstehen.« Sie fuhr fort, seinen Rücken zu massieren, und er genoss es, als sei er wieder ein kleines Kind. Kein Problem, solange er nicht dabei war. »Vorhin, auf der Fähre, hat er eine Zeitung liegen sehen, eine von hier, und da standen wirklich schlimme Dinge drin. Darüber, wie die Leute hier in Wahrheit über ihre Gäste denken. Total abfällig und respektlos. Dein Vater wäre am liebsten sofort umgekehrt. Aber das ging ja nicht, so mitten auf dem Wasser.« Sie lachte gekünstelt. Dieser Text musste auch ihr an die Nieren gegangen sein.
»Abfällig? Also, das kann ich mir …« Dann fiel es ihm wieder ein. Marian Godehaus Text im Inselboten über die Viererbande, diese alten Säcke,