Folgen einer Landpartie. Bernhard Spring

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Folgen einer Landpartie - Bernhard Spring

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wurde sichtlich angespannt. »Sag, was passiert ist, heraus damit!«, forderte er, worauf der Diener, eine abgezehrte, früh gealterte Person, unter nervösen Blicken nach dem sie umgebenden Treiben, berichtete, was sich zugetragen hatte.

      »Der Thiel, mein Herr, der Thiel hat sich auf seiner Kammer das Leben genommen.«

      Eichendorff war nur zu bewusst, was das Unheilvolle an diesem Vorgang war. Nicht etwa der Tod eines Bediensteten hatte die Bewohner in Aufruhr versetzt, sondern der Hergang desselben. Auch den Protestanten war der Freitod eine unverzeihliche Versündigung.

      »Es wurde nach dem Pfarrer Kerl geschickt«, fuhr der Diener fort, »aber er hat sich geweigert, dem Thiel den letzten Segen zu geben. Stattdessen hat er die Leichenwäscherin aufgefordert, den Toten herzurichten, sodass er ihn erst im Sarg zu Gesicht bekommt. Nach dem Tischler ist auch schon gerufen.«

      Botfeld hörte zu, als sei er weggetreten. Erst langsam, dann abrupt gewann sein Blick an Schärfe und Eichendorff spürte, wie er die Lage zu überschauen versuchte.

      »Ist Thiel … ist der Tote noch auf seiner Kammer?«, fragte er und bekam zur Antwort, dass man ihn zwar abgenommen, aber sonst nichts weiter unternommen hätte, da man auf die Heimkehr Botfelds hätte warten wollen. Selbst die Leichenwäscherin wäre zurückgewiesen worden, sodass sie noch unverrichteter Dinge bei den Mägden vor dem Hause warten würde. Der Tischler hingegen sei nach Blösien aufgebrochen, um eine der Barmherzigen Schwestern zu bewegen, über der Leiche den Segen zu sprechen.

      Kaum hatte der Diener geendet, ging Botfeld schnellen Schrittes an ihm vorüber und eilte über den Hof, wo er unter den vor den Gesindehäusern Wartenden die Leichenwäscherin ausmachte und ihr flüchtig die Hand reichte, die diese knicksend ergriff. Eichendorff folgte ihm gemeinsam mit dem Diener, den er, sowie Botfeld weit genug voran war, am Arm packte und zu sich zog.

      »Wer war dieser Thiel?«, fragte er den Mann so diskret wie möglich.

      Dieser erwiderte: »Thiels Michael lebte seit seiner frühesten Kindheit auf dem Gut. Sein Vater kam vor ein paar Jahren um, als ihm ein Ochse vor die Brust rannte. Thiel war der Kammerdiener des jungen Herrn Botfeld. Welch ein Verlust!«

      Eichendorff war nur zu gut bewusst, wie schwer Botfeld dieser Schlag treffen musste. Er dachte an Jakob, der ihm wie ein zweiter Bruder war, und eilig versuchte er, zu dem Freund aufzuschließen. Dieser hatte die offene Kate Thiels erreicht, wo sich auf sein Wort hin die vor der Tür versammelte Menge teilte und ihm dem Eintritt ermöglichte. In diesem Augenblick gelangte auch Eichendorff hinter Botfeld in die Kammer Thiels.

      Der Raum war nur schwach beleuchtet, da er nach Norden hin lag und die späte Nachmittagssonne das winzige Fenster nicht erreichte, was dem Ganzen eine düstere, verhängnisvolle Atmosphäre verlieh. Die Kammer war niedrig, verrußt und schon von den wenigen Menschen, die sich in ihr befanden, überfüllt und eng. Zwischen diesen Wänden also, auf diesen wenigen Metern hatte sich das Leben Michael Thiels zugetragen und war es gewaltsam beendet worden. Die spärlichen Möbelstücke in der Kammer waren aus grobem Holz beschaffen; ja, die Wäschetruhe war lediglich aus Reisig und Ried hergestellt worden und weder Schrank noch Anrichte waren vorhanden. Eichendorff sah ein gewöhnliches, ärmliches Bedienstetenzimmer mit Bett, Truhe und einem Schemel, der zur Seite gefallen war, wahrscheinlich, weil sich Thiel auf ihn gestellt hatte, als er sich den Strick um den Hals legte.

      Dieser war noch immer an der Decke befestigt und hing von dort wie ein Damoklesschwert herab, das Ende abgeschnitten von einem der Gutsbewohner, die den grausigen Fund gemacht hatten. Thiel selbst war auf dem Bett aufgebahrt worden, lag dort mit geschlossenen Augen, denn zumindest diese Ehre hatte man dem Toten erwiesen. Auch die Schlinge war entfernt worden und so konnte Eichendorff den bläulich-violetten Striemen über dem kräftigen Hals sehen. Das Gesicht jedoch wagte er nicht zu betrachten und so ließ er seinen Blick durch das Zimmer schweifen, das ihm plötzlich widerlich vorkam und gleichzeitig so interessant, dass er am liebsten alles genau untersucht, die Truhe durchwühlt und in jeder Ecke nach Privatem gestöbert hätte. Eichendorff kam sich aufgrund dieses Gedankens schuldig vor, besonders als er Botfeld erblickte, der vor dem Toten niederkniete, sich bekreuzigte und seine Hand ergriff. Dies rührte Eichendorff so sehr, dass er nicht mehr umhinkam, dem Toten ins Gesicht zu sehen, und trotz des dämmerigen Halbdunkels erkannte er schon auf den ersten Blick die derben Umrisse der Wangen und des Kinnes wieder. Es war derselbe Mann, den er am frühen Nachmittag, vor wenigen Stunden erst, von seinem Zimmer aus beobachtet hatte, der so ungeduldig auf die Magd gewartet und sie dann im Zorn verlassen hatte. Eichendorff überkam ein Schauer. Dieser Mann war nun tot. Und Botfeld, dieser gepflegte, bedachte Botfeld, trauerte um den groben Mann, diesen jähzornigen plumpen Bauernsohn, der sich selbst erhängt und somit jeder Möglichkeit beraubt hatte, in den Himmel aufzusteigen.

      Hinter sich hörte Eichendorff das Gemurmel von lateinischen Gebeten lauter werden und zwei hutzlige Nonnen betraten unbeirrt den Raum, als seien die anderen Anwesenden nicht vorhanden. Selbst den knienden Botfeld übergingen sie grußlos, und ohne ihre Gebete zu unterbrechen, die nun in einen frommen Singsang übergegangen waren, knieten auch sie nieder, Botfeld gegenüber, und hielten die Köpfe gesenkt, wodurch ihr Gesang zu einem baritonalen Murmeln wurde, das wie ein bedrohliches Summen die Luft zum Vibrieren zu bringen schien. Im Halbdunkel glaubte Eichendorff, anhand ihrer Tracht in ihnen Elisabethinen zu erkennen.

      Nun betrat auch die Leichenwäscherin wieder den Raum, und da sich Botfeld inzwischen erhoben hatte, wagte sie sich an den Leichnam heran, gab einem der Umstehenden das Zeichen, frisches Wasser zu holen, und nahm ihre Arbeit auf. Botfeld sah dem beginnenden Treiben zu, wobei sein Blick auf dem Gesicht Thiels haftete und nur dann umherzuckte, wenn etwa die säubernde Hand der Wäscherin über die Stirn des Toten fuhr und so in das Blickfeld Botfelds geriet.

      Eichendorff legte die Hand auf Botfelds Schulter, erst leicht, dann bestimmt, und zog ihn fort von dem Bett. Botfeld wendete sich von dem Anblick des Toten ab und ging wie betäubt an Eichendorff vorüber, wobei er ihm etwas zusteckte. In der Tür stieß er mit Undine zusammen, die ihm in blinder Eile geradezu in die Arme fiel. Eichendorff, der ihr Gesicht nur kurz zu sehen bekam, bevor sie sich schluchzend an die Brust ihres Bruders presste, stellte fest, dass auch ihr der Tod Thiels zu Herzen ging. Ihr temperamentvolles Wesen, das ihm schon bei ihrem ersten Treffen im Theater eine tief gefühlte Sensibilität offenbart hatte, war durch das Ereignis aufgewühlt und entlud sich in überspannten Tränen, die der sonst so zurückgenommenen Frau nun ungehemmt über die Wangen liefen. Eine Frau, scheinbar ihre Zofe, war ihr gefolgt und wollte sie an sich nehmen, doch Botfeld wies sie bestimmt zurück und führte seine Schwester selbst aus dem Raum, über den Wirtschaftshof und schließlich in das Herrenhaus.

      Eichendorff blieb vor der Kammer zurück, aus der monoton das Gemurmel der Nonnen drang. Erst jetzt besah er sich den Gegenstand genauer, den ihm Botfeld wie nebenbei zugesteckt und den er für einen Moment völlig vergessen hatte. Es handelte sich um einen Brief, leicht lädiert an den Rändern, der von einem dünnen Lederband zusammengehalten wurde. Eichendorff öffnete es sorgsam und las den kurzen Satz, der auf dem einfachen Papier vermerkt worden war: »Aus Liebe geh’ ich hin.« Der Schriftzug verlief über die Mitte des Blattes, eine gewöhnliche, unscheinbare Handschrift, die jedoch trotzdem die schrulligen Eigenarten pedantischer Dorfschullehrer erkennen ließ, denn der Konsonant »s« war seltsam schräg verzogen und zusammen mit den durch ungeübten Gebrauch von Gänsefederkielen leicht verwischten Wörtern ergab sich das schludrige Geschreibsel der unbeholfenen Hand Thiels.

      Eichendorff zog seine Pfeife in Gedanken versunken aus der Tasche, steckt sie jedoch gleich wieder ein, als ihm die Umstehenden bewusst wurden, die sich aus Anteilnahme, Trauer, aber auch einfacher Neugier in und vor der Kammer geschart hatten. Zwischen den Gaffenden schoben sich einzelne Frauen hindurch, die verschiedenste Gegenstände in den Raum trugen, ohne dass Eichendorff erkennen konnte, ob ihr Eifer einer strebsamen Ordnungsliebe

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