Harter Ort. Tim Herden
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„Nicht so wichtig … Aber warum ist denn dann seine Frau nicht zu uns gekommen und hat sein Verschwinden angezeigt?“, wunderte sich Nelly.
„Sie wollte ihre beiden Kinder nicht allein lassen …“
„Kinder auch noch?“, warf Damp erstaunt ein. Warum hatte ihm das Malte Fittkau nicht erzählt? Offenbar konnte man sich auf ihn als Informationsquelle auch nicht mehr verlassen.
„Ich glaube, es sind ihre Kinder, nicht seine … äh, ich meine, er ist nicht der Vater“, erklärte Laura. „Auf mich kann man da oben momentan am besten verzichten. Die Gäste hocken meistens in ihren Zimmern. Da muss ich nicht saubermachen. Neue Gäste kommen auch nicht auf die Insel, um deren Ankunft ich mich kümmern muss.“
„Sie sind also die Putzfrau“, meinte Damp.
„Nein“, widersprach Laura Ihlow heftig. „Ich bin die Hausdame im Hotel ‚Dornbusch‘.“ Aus ihrer Stimme klang ein gewisser Stolz. „So eine Art Mädchen für alles. Eigentlich soll ich die Gäste betreuen. Aber bis das Hotel richtig läuft und Geld einspielt, muss ich auch putzen. Ist aber kein Problem für mich. Hauptsache, ich habe eine Stelle.“
Nelly Blohm lehnte sich wieder an das Regal. „Trotzdem bleibt die Frage, warum Sie oder auch seine Frau vier Tage warten, bis sie Herrn Dehne hier als vermisst melden.“
Laura schaute sie an. „Wissen Sie nicht, was los ist?“, fragte sie verärgert. „Wir sind da oben total abgeschnitten. Es liegt über einen Meter Schnee. Wir kommen nicht aus dem Haus. Das Telefon geht nicht mehr, auch nicht die Funktelefone. Das Internet ist tot. Niemand kommt vorbei. Ich habe fast zwei Stunden gebraucht, um hierher nach Vitte zu kommen. Und als ich dann ins Rathaus kam“, ihre Stimme wurde hysterisch, „sagte mir irgendjemand, ich solle mal zum Hafen gehen, da hätten sie einen Toten entdeckt … Und dann …“ Sie konnte nicht weiterreden, ein erneuter Weinkrampf schüttelte sie.
IX
Wut war kein guter Beifahrer. Das musste Damp gleich zur Kenntnis nehmen, als er das Auto vom Hof des Rathauses in Vitte auf die Straße nach Kloster steuerte. Als er heftig das Lenkrad nach links einschlug, brach das Heck des Streifenwagens aus. Nur Gegensteuern konnte verhindern, dass der Wagen in den nahen Graben rutschte. Laura Ihlow auf der Rückbank hatte Augen und Mund vor Schreck aufgerissen und hielt sich krampfhaft an der Rückenlehne des Beifahrersitzes fest. Nelly Blohm fiel das Handy aus der linken Hand, mit der rechten griff sie nach der Seitenlehne.
„Geht es vielleicht auch etwas vorsichtiger?“, fragte sie empört ihren Kollegen. Aber Damp brummte nur etwas Unverständliches. Innerlich kochte er. Der Pilot des Hubschraubers war nicht bereit gewesen, noch einen Abstecher ins Hiddenseer Hochland zu machen, um die Polizisten und Laura Ihlow zum Hotel „Dornbusch“ zu fliegen, damit sie dort Frau Dehne über den Tod ihres Mannes informieren und gleich vernehmen könnten. Bei der Schneehöhe sei es unmöglich, den Hubschrauber zu landen. Bökemüller hatte ihn bei seiner Bitte auch nicht unterstützt, sondern durch einen deutlichen Blick auf die Uhr klargemacht, dass er zum Aufbruch nach Stralsund drängte. Nun stand den Polizisten und ihrer Zeugin eine Tiefschneewanderung bevor. Außerdem war Damp sauer auf den Pathologen. Auch Doktor Krüger wollte sich bei der Todesursache nicht festlegen. Sicher würden alle Anzeichen, auch an der aufgetauten Leiche, auf Erfrieren hindeuten, aber er könne, wie der Inselarzt, nicht ausschließen, dass der Mann nicht doch eines anderen Todes gestorben sei. Das könne nur die Obduktion ergeben. Bökemüller wies daraufhin an, bis zu einem endgültigen Bericht des Pathologen weiter zu ermitteln, was mit Dehne passiert sein könne. Also blieb auch Nelly Blohm auf der Insel. Sie würde damit einen Fuß in die Tür seines Polizeireviers bekommen und sicher bald auf Rieders Stuhl sitzen. Dann wäre es mit der Ruhe dahin. Ständig klapperte sie auf der Tastatur ihres Laptops herum, suchte nach irgendwelchen Ermittlungsansätzen, recherchierte über das Mordopfer und dessen Hotel im Internet und anderswo. Ganz zu schweigen von ihrer Telefon-SMS-Aktion für die Urlauber, die der Bürgermeister und Bökemüller noch mal ausdrücklich als hervorragenden Einfall gelobt hatten. Irgendwann würde schon ein Hubschrauber kommen oder wieder eine Fähre fahren. Wer im Winter auf eine Insel fuhr, musste damit rechnen, nicht wieder zurückzukommen. Pech gehabt! Da musste man nicht gleich bei dem bisschen Protest einknicken. Bei der Kälte wären die Leute irgendwann abgezogen. Alles Weicheier, diese Chefs.
Damp spürte, wie das Auto mehr schlitterte als fuhr. Die Reifen griffen kaum auf der glatten geräumten Schneefläche. Blohm war im Fußraum abgetaucht und suchte nach ihrem Telefon. Sie wollte bei der Telekom in Bergen anrufen, um zu erfahren, was mit den Telefonleitungen und Mobilfunkverbindungen im Norden Hiddensees los war. Als sie wiederauftauchte, starrte sie Damp an. „Haben Sie noch Sommerreifen drauf?“
Damp sah sie kurz an. „Und wenn?“
„Sind Sie verrückt?“
„Ich nicht“, gab er zurück, „aber die Polizeidirektion. Sparmaßnahme. Da es hier oben so selten schneit, fahren wir mit Ganzjahresreifen. Nur dass sie nicht für das ganze Jahr taugen. Wie wir gerade sehen. Hat Ihnen das Ihr Revierleiter in Bergen nicht mitgeteilt?“
„Das kann doch nicht wahr sein.“
„Ist es aber.“
Nelly Blohm schüttelte ungläubig den Kopf. Damp fuhr langsamer.
In Kloster schaffte das Auto nicht den kleinen Anstieg vor dem Gerhart-Hauptmann-Haus. Das Auto glitt zurück auf den Platz vor dem Inselmuseum. Damp nahm einen neuen Anlauf, ließ den Motor jaulen. Ein kleines Stück fuhren sie bergauf, doch dann drehten die Reifen durch. Wieder rutschte der Wagen zurück.
„Endstation“, verkündete Damp. Er legte den Rückwärtsgang ein und fuhr auf den Platz vor dem Inselmuseum. „Hier geht’s nur zu Fuß weiter.“
Damp stieß die Fahrertür auf, stieg aus, griff auf dem Rücksitz nach seiner Schapka, stülpte sie auf den Kopf und knallte die Tür zu.
Auch die beiden Frauen stiegen aus. Laura Ihlow starrte auf ihre feuchten Stiefel. Nelly Blohm war mit richtigen Schneeboots gut gerüstet. Damp hoffte, dass er mit seinen Filzstiefeln keine kalten Füße bekäme. Er ließ die Zentralverriegelung zuschnappen. Dann stapften sie schweigend los. Der Kirchweg in Kloster war ganz gut geräumt, aber doch sehr glatt. Sie liefen bis zur Bäckerei „Kasten“ und bogen dann nach links in den Hügelweg ein. Im tiefen Schnee gab es ein paar Fußspuren. Hier wohnten noch Hiddenseer, die immer mal vor die Tür mussten. So kamen sie ganz gut voran. Doch nachdem sie das Stromhäuschen passiert hatten, versanken sie auf dem Weg „Zum Hochland“ bis zu den Oberschenkeln im Schnee. Hier gab es zwar auch links und rechts des Weges Häuser, versteckt hinter Hecken und den tief hängenden Zweigen der Bäume, ihre Besitzer kamen aber nur im Sommer auf die Insel. Durch die hohe Schneedecke waren die Ferienhäuser im gräulichen Tageslicht kaum zu erkennen. Damp überlegte, ob die Dächer die schwere Last aus Eis und Schnee auf Dauer aushalten würden.
Der Weg war nicht zu erkennen, aber es gab eine Spur. „Das sind noch meine Abdrücke“, bemerkte Laura Ihlow. „Weiter oben wird es noch schlimmer.“
Damp verzog das Gesicht. Nelly Blohm stöhnte.
„Wir hatten gehofft, Herr Böhnke würde vielleicht mit seinem Schlitten mal vorbeikommen und so wenigstens mit den Pferden eine begehbare Spur in den Schnee ziehen“, erklärte die Hotelangestellte. „Herr Dehne hatte es mit ihm verabredet, damit sich die Urlauber auch bei diesem Wetter auf der Insel bewegen könnten. Aber er hat sich nicht gemeldet.“
Das