Swallow, mein wackerer Mustang. Erich Loest

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Swallow, mein wackerer Mustang - Erich Loest

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müßte May sich gedruckt sehen.«

      Der Direktor lacht, daß die Schnurrbartspitzen zittern. Das ist nun wieder sein Katechet, wie er leibt und lebt. Vielleicht wird er noch das Geschreibsel an einen Verleger vermitteln? Dies hier ist ein Zuchthaus, 402 ist ein Hochstapler, seine Arbeitsleistung läßt zu wünschen übrig, die Reden, die er führt, könnten sich ungünstig auf das Anstaltsklima auswirken. »Ein Hochstapler, Herr Kochta!«

      »May schreibt das Schlechte aus sich heraus.«

      Der Direktor entsinnt sich, daß er zu May gesagt hat: Dumm sind Sie nicht, aus Ihnen könnte noch etwas werden, Platz ist für jeden im Reich. An einen, der billige Geschichten schreibt, hat er dabei allerdings nicht gedacht. »Auf Ihre Verantwortung, Kochta! Bekommt er Besuch?«

      »Seinen Vater.«

      »Der Kerl kann ihm meinethalben sein Gestümper mitgeben.«

      Ein Druckmittel gegen 402, sinnt der Direktor. Es ist immer gut, wenn ein Züchtling etwas besitzt, das man ihm wegnehmen kann.

      3

      May schreibt. »Vor allem Güte«, bittet Kochta. »Eine Geschichte muß Hoffnung geben, Trost. Sie muß den Leser fromm machen. Das Gute muß siegen.«

      Das Gute – in den Märchen, die die Großmutter erzählte, wurde das Böse bestraft nach dem Grad seiner Bosheit. Eine Tracht Prügel für den Lügner, ein Monat Karzer für den Dieb, dem Mörder hackten am Galgen die Raben die Augen aus. Aber die schöne Unschuld wurde vom Königssohn auf den Thron gehoben.

      Einmal wird May aus dem Arbeitsraum herausgerufen, ein Wärter ordnet an, daß der Züchtling 402 einen sauberen Kittel anzieht, der ohne Taschen ist. »Sie haben Besuch«, sagte der Wärter, »Sie wissen, daß Sie über nichts reden dürfen, was mit dem Zuchthaus zusammenhängt, nicht, mit wem Sie zusammen sind. Nur Persönliches!«

      Die Haut über der Stirn brennt. Er wird einen Gang entlanggeführt, in einer Zelle sitzen Kochta und ein magerer, ergrauter Mann. May erschrickt, das ist sein Vater, der im letzten halben Jahr gealtert ist, als wären zehn Winter vergangen. Dieser Vater erschrickt über das Aussehen seines Sohnes; bleich, gedunsen ist Karl, sein Lächeln steht im Widerspruch zu der Furcht in den Augen. Der Katechet sagt: »Sie wissen, worüber Sie sprechen dürfen und worüber nicht. Bitte, machen Sie mir keine Ungelegenheiten.« Er läßt einen Satz folgen, der ihm Unbehagen bereitet, weil er eine Heuchelei enthält, die ihm sein Amt leichter macht: »Sie beide sind doch gebildete Männer.«

      »Ich habe geschrieben, Vater!«

      »Geschrieben?«

      »Eine Erzählung, Vater!«

      Freude zuckt im Weber May auf – Karl durfte schreiben, also hat er sich mit der Obrigkeit gut gestellt? Wird er amnestiert?

      Vorsichtig schaltet sich Kochta ein und dämpft überschwengliche Hoffnung. Vielleicht gelingt es Herrn May, Fäden zu knüpfen? Kochta hat herumgehorcht, der Verleger Münchmeyer in Dresden ist ihm genannt worden, er gibt Journale und Kalender heraus. Der Vater merkt sich den Namen, Flecke treten auf seine Wangen, denn da breiten sich vor dem Sohn gewaltige Möglichkeiten aus, eröffnet sich ein Weg nach oben und für ihn selbst vielleicht auch: er, der Vater eines Schriftstellers, der mit Druckern verhandelt. Da werden die Leute in Ernstthals Wirtshäusern aufhorchen, an seinen Tisch werden sie rücken und ihm Branntwein spendieren, auf daß er wieder und wieder berichte, was ihm in Dresden im Hause eines Verlegers widerfahren sei. Was ist gezahlt worden, drei, zehn, hundert Taler?

      »Nimm alles mit, Vater!«

      Von den Geschwistern reden sie noch, vom Haus daheim, das ein neues Dach braucht, über den Preis für Schiefer. Der Katechet wirft ein, die Besuchszeit sei in fünf Minuten verstrichen. Da will Karl noch rasch erläutern, wie das Schreiben die Dämonen verdrängt, aber er findet die Worte nicht, von denen er sicher ist, daß Vater sie versteht. Beim Händedruck glühen wieder Flecke auf den Wangen des Vaters. »Bleib gesund, Karl! Und mach dem Herrn Katecheten keinen Verdruß!«

      Am Abend sitzt May wieder in der Zelle. Einen Bogen hat er zweimal geschrieben, die Kopie behalten, den ersten Satz liest er abermals: Swallow, mein wackerer Mustang, spitzte die kleinen Ohren. Das stimmt ihn ein. Helligkeit über der Prärie, ein Punkt taucht am Horizont auf. Das Ich liegt im Gras, Swallow hat den schönen Kopf an seinen Schenkel gedrückt, sanft blähen sich die Nüstern. An den Vater denkt May und versucht, sich den Verleger Münchmeyer vorzustellen als einen Mann, der wie der Direktor gekleidet ist, eine goldene Uhrkette spannt über dem Bauch, die Manschettenknöpfe schimmern, eine Perle ziert die Krawattennadel. Mit sonorer Stimme spricht Münchmeyer. May sinkt ins Halbdämmern, Halbwachen zurück, Münchmeyer verwandelt sich in den Direktor, der Direktor fragt: »Und was dachten Sie, als Sie sich als Doktor ausgaben und sich Anzug und Mantel und Schuhe ergaunerten, in Penig war das wohl?« Da lacht May, Doktor Heilig ist besiegt wie der Polizeileutnant von Wolframsdorf, der Notenstecher Hermin. Denn Swallow, sein wackerer Mustang, spitzte die kleinen Ohren.

      Zwei Monate später tritt Kochta in die Zelle, ein Kalfaktor hinter ihm trägt einen Topf mit Quark, ein Stück Rauchfleisch und ein Säckchen Zwiebeln. »Herr Münchmeyer hat Ihnen zwei Taler geschickt. Als Vorschuß.«

      May steht starr, er fürchtet, zusammenzubrechen wie damals im Arbeitsraum.

      »Ich habe für Sie eingekauft. Das restliche Geld ist beim Herrn Direktor für Sie deponiert.«

      »Also wird gedruckt?«

      »Eine Option. Sie dürfen Ihre Erzählung niemand anderem anbieten, solange sich Herr Münchmeyer nicht entschieden hat.«

      May hat das Wort Option nie gehört, er wendet es hin und her. »Also ist Hoffnung.«

      »Immer ist Hoffnung.«

      »Und ich soll weiterschreiben!«

      »Nicht zuviel. Regen Sie sich nicht auf dabei. Nicht mehr als fünf Seiten am Abend.«

      An diesem Abend fabuliert May wieder: Das Ich reitet an der Seite des schönen Häuptlingssohns in ein kahles Gebirge hinein, eine Schlucht verengt sich von Süd nach Nord, steil ragen Felswände himmelwärts. Im Bach reiten die beiden weiter, dringen mühselig vor, warmer Wind weht ihnen entgegen. Unversehens breitet sich die Schlucht zu einem Kessel, ein Weiher blinkt in der Mitte, links davon ragt eine Zypresse, Gras wächst in den Spalten. Da reiten die Freunde Hand in Hand, am Weiher steigen sie von den Pferden und lächeln sich an. »Wir sind im Paradies, Bruder«, verkündet das Ich. May sucht einen Namen für den Talkessel und wählt diesen: das Loch Kulbub.

      Neun Seiten schreibt er an diesem Abend, am Ende ist er schweißgebadet. Nachts stellt er sich quälend deutlich den Kessel Kulbub vor, die steilen Wände, die Zypresse. Da springt er auf, steht zitternd neben der Pritsche.

      Einmal in jeder Woche besucht Kochta den Züchtling 402, teilt ihm seine Papierration zu und holt immer enger beschriebene Bogen ab. Manchmal überfliegt er die eine oder andere Passage. Konfus erscheint ihm vieles, weitschweifig, die Schrift ist schwach geneigt und pedantisch wie bei einem Kanzlisten. Nach Monaten trifft ein Brief aus Dresden ein, er ist an May gerichtet; der Direktor entscheidet, ihn nicht auszuhändigen, aber der Katechet darf ihn vorlesen: Der Verlag Heinrich Gotthold Münchmeyer stellt den Abdruck der Geschichte »Rache oder Das erwachte Gewissen« in dem Journal »Das Schwarze Buch« in Aussicht. Natürlich werde ein Redakteur ausbessern, Schwächen eines Anfängers seien nicht zu übersehen,

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