Bangkok Rhapsody. Thomas Einsingbach

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Bangkok Rhapsody - Thomas Einsingbach

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zur Soi Charoen Nakorn zeigten. Aus kleinen Rinnsalen wurden auf dem löchrigen Asphalt der belebten Gasse rasende Bäche, die zuerst die Kanalisation überfluteten, um sich dann in teichgroßen Sammelbecken zu vereinen. Ladenbesitzer rafften ihre Auslagen zusammen und brachten sich und die Ware vor dem Regensturm in Sicherheit. Passanten hasteten durchnässt zum nächstgelegenen Unterstand. Andere flüchteten in die einfachen Restaurants des Viertels und gönnten sich eine scharfe Suppe oder etwas Kurzgebratenes.

      Durch die zum überdachten Innenhof geöffneten Fenster und Türen drückte der feuchtwarme Dunst ins Gebäudeinnere des Altenheims.

      Auf dem Bildschirm des Fernsehgerätes flackerte eine Reklame für Eistee. Surang beobachtete gebannt, wie eine giftgrüne Flüssigkeit perlend in ein Glas strömte, und versuchte dabei vergeblich, den Duft des Getränks zu erhaschen. Endlich setzte sie sich mit überkreuzten Beinen auf den Dielenboden und wandte sich dem Hausaltar zu, in dem eine goldglänzende Buddha-Figur, umgeben von Räucherstäbchen, Blumengirlanden und allerlei Opfergaben, über die Halle wachte. Surang schloss die Augen und begann, ihren Oberkörper im Einklang mit ihrem Herzschlag rhythmisch zu wiegen. Dabei presste sie bei der Vorwärtsbewegung ihre Lippen fest aufeinander, um sie auf dem Rückweg wieder einen schmalen Spalt zu öffnen, so als ob sie zum Sprechen ansetzen wollte. Man ließ die kleingewachsene Frau mit dem gescheitelten, schulterlangen Haar ihre eigenwillige Meditation unbehelligt zelebrieren. Jeder im Heim kannte dieses Ritual, dem sich Surang regelmäßig hingab.

      Zwei Helferinnen ließen sich, nicht weit entfernt, ebenfalls auf dem Fußboden nieder. Sie griffen nach den noch nicht ganz fertiggestellten Schiffchen aus den Strünken der Bananenstaude, die sie mit den Heimbewohnern für das Loy-Krathong-Fest bastelten. Geschmückt mit Blumen und brennenden Kerzen wollte man die schwimmenden Gestecke in der Vollmondnacht des zwölften Monats des Lunisolarkalenders, die stets auf das Novemberende fiel, gemeinsam auf dem Chao Phraya zu Wasser lassen und das Ende der Regenzeit feiern. Die Opfergaben würden Mae Khongkhe, die göttliche Mutter des Wassers, gewiss versöhnlich stimmen und die Seelen der Spender von den Verunreinigungen des ausgehenden Jahres befreien.

      Ein paar Interessierte gesellten sich zu der kleinen Runde und boten ihre Hilfe an, während die Regenflut unvermindert auf das Gebäude herabstürzte. Wieder zuckte eine elektrische Himmelsentladung grell durch die im Halbdunklen liegende Halle. Unmittelbar darauf folgte ein Donnerschlag, der die Grundmauern des Anwesens zu erschüttern schien. Flehende Blicke wandten sich gen Firmament, in der Hoffnung auf ein Erbarmen der Gewitterdämonen.

      Einzig Surang schaukelte unbeirrt im gleichen Takt hin und her, unbeeindruckt vom Tosen der Naturgewalten. Keine der jungen Pflegerinnen kannte die Vergangenheit dieser verschlossenen Frau. Ihre äußere Erscheinung ließ keine verlässliche Schätzung ihres Alters zu. Surangs mädchenhafte, biegsame Figur täuschte eine Art unbekümmerte Jugend vor. Sie schien in einer eigenen Welt zu leben, unnahbar und stumm. Nur der Heimleiter Dr. Bertoli kannte Surangs Geschichte und wusste, dass sie durchaus in der Lage war zu sprechen.

      Nur mit Mühe gelang es William LaRouche, die Augenlider zu heben. Er hatte wieder einmal miserabel geträumt, war immer wieder aufgeschreckt, hatte Polizeisirenen gehört und dabei Schweißausbrüche bekommen, obwohl sein Apartment zugig und unzureichend beheizt war. Sein müder Blick fiel auf den kahlen Kirschbaum an der Hinterhofmauer, der im nebligen Dunst des frühen Novembertages verschwamm. Ein Schwarm Wildenten strich im Formationsflug über die Dächer der Backsteingebäude Hobokens in Richtung Osten, dem Hudson River entgegen. Williams Blick kehrte in die Ödnis seiner Unterkunft zurück, wo ihn die Unbeflecktheit der weißgekalkten Zimmerdecke fesselte. Seine Hand berührte das durchgeschwitzte Laken, dessen klamme Kälte ihn erschaudern ließ. So musste sich der Tod anfühlen, nachdem sich die lebende Materie zum Abschied ein letztes Mal fiebrig aufgebäumt hatte. Warum blieb er nicht einfach liegen, in stoischer Erduldung des Schlussakkordes des irdischen Daseins und in Erwartung des Unvorstellbaren, was danach kommen würde? Hatte er irgendeinen Grund aufzustehen oder würde ihn nur ein weiterer sinnloser Tag quälen, der sich endlos in die Länge zog und seiner Seele keinerlei Impulse gab?

      William drehte sich zur Seite, schob die Beine aus dem Bett und brachte seinen Körper in die Senkrechte. Wenig später saß er ungewaschen, ungekämmt und unschlüssig an seinem den Raum dominierenden Schreibtisch, rührte in einer Tasse mit aufgebrühtem Instantkaffee und erinnerte sich, wie er diese protzige Karikatur der Bürokratie aus einer Firmeninsolvenz für zwanzig Dollar ersteigert hatte. Seit einer halben Minute läutete das Telefon. Er bemühte sich, das lästige Geräusch zu ignorieren. Aber der Anrufer war ausdauernder als er. Nach einer weiteren halben Minute griff William mürrisch zum Hörer.

      „LaRouche, Agentur für …“

      „Billy, mein Junge! Ich dachte schon, du wärst bereits unterwegs. Du hast bestimmt immer mächtig viel zu tun! Good morning, New York City!“

      Es war Doris. Die Stimme seiner Mutter kam ihm aufgekratzt und fremd vor. „Mom?“

      Ganz sicher war sie wieder einmal, mit der Bibel in der Hand, in der Nacht durch ihr Puppenhäuschen in Lake View gegeistert und hatte sich den Kopf über ihr einziges Kind zerbrochen, von dessen Leben sie keinen blassen Schimmer hatte.

      „Hoboken, Mom. Ich lebe in Hoboken, New Jersey. Nicht in New York“, korrigierte William, obwohl er wusste, dass es keinen Zweck hatte. Doris würde unbeirrt weiterhin in ihrer Nachbarschaft damit prahlen, dass ihr Sohn Direktor einer Agentur in New York City sei.

      In den ersten Jahren nach dem Verschwinden von Williams Vater hatte sich Doris mit ihrer täglichen Flasche Wodka getröstet. Wenn sie betrunken war, schien sie weniger verzweifelt zu sein und fühlte sich irgendwie gemütlich an. Ihre Haut war weich und roch nach einer Melange aus Lavendel, Kuchenduft und Alkoholausdünstungen. Als Williams Vater auch nach drei Jahren nicht wiederaufgetaucht war, klammerte sich Doris an die Bibel, flüchtete sich in das Universum des süßen Backvergnügens und stellte beeindruckende Mengen unterschiedlichster Kuchen und Torten für die römisch-katholische Gemeinde von Lake View, einem Stadtteil von New Orleans, her.

      „Billy, ist der Apfelkuchen angekommen? Ich habe ihn in eine Spezialfolie eingeschweißt. Er ist doch nicht etwa zerdrückt worden?“

      „Nein, Mom, alles bestens. Kam an und hat vorzüglich geschmeckt“, log William und streifte mit seinem Blick den ungeöffneten Karton, den ein Paketbote vor ein paar Tagen gebracht hatte.

      „Bei uns in New Orleans ist es noch keine halb sechs, mein Junge. Ich weiß doch, wie gerne du früh aufstehst, einen starken Kaffee trinkst und dich dann in deine Arbeit stürzt. Ich wollte ja nur hören, ob du den Apfelkuchen bekommen hast.“ Doris hatte mittlerweile ihre weinerlich-fordernde Tonart angeschlagen. „Aber du kommst doch Thanksgiving nach Hause?“

      Mit Missmut erinnerte sich William an das letzte gemeinsame Thanksgiving in Lake View. Wie gewöhnlich hatte seine Mutter den Tisch festlich für drei Personen eingedeckt. Neben dem dritten, niemals benutzten Gedeck war wie jedes Jahr der Silberrahmen mit dem ewig gleichen, ikonenhaften Foto aufgebaut: Williams Vater im Alter von siebenundzwanzig Jahren auf seinem Segelboot. Der Fotograf hatte einen Moment eingefangen, in dem eine kräftige Meeresbrise die blonden Haarsträhnen mit dem Sternenbanner am Bootsheck um die Wette flattern ließ. William war damals kaum vier Jahre alt gewesen und hatte nur noch eine verschwommene Erinnerung an die kurzen Besuche seines Vaters zu Hause in Lake View.

      Es war einfach verdammtes Pech, dass der Mann nicht bei einem Motorradunfall oder an Krebs gestorben war. Ein Leichnam und ein Begräbnis hätten vieles leichter gemacht. William war sich sicher, dass es die Ungewissheit war, die seine Mutter erst zur Flasche und dann, was zweifellos eine gewisse Verbesserung darstellte, zur Bibel hatte greifen lassen. Möglicherweise waren andere Frauen von verschollenen Ehemännern stärker als Doris

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