Bangkok Rhapsody. Thomas Einsingbach

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Bangkok Rhapsody - Thomas Einsingbach

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von König Taksin, der Ende des achtzehnten Jahrhunderts die Hauptstadt des siamesischen Reiches von Ayutthaya in das flussabwärts gelegene Fischerdorf Thonburi, einem heutigen Stadtteil Bangkoks, verlegt hatte …“ Bertoli unterbrach für einen Moment und schmunzelte. „Leider wurde König Taksin größenwahnsinnig. Auch sein Leibarzt wusste kein Rezept gegen diese Krankheit. Der Adel befreite sich von dem Despoten, Taksin wurde hingerichtet und der Thron fiel an den ersten Rama, den Begründer der Chakri-Dynastie, der auch unser jetziger König Bhumibol als mittlerweile neunter Rama angehört.“

      „Was wurde aus dem Leibarzt, wurde er auch getötet?“, wollte Rangrit wissen.

      „Nein. Rama der Erste verlegte den königlichen Palast als Zeichen des Neubeginns auf das gegenüberliegende Ostufer des Chao Phraya in die Nähe der Chinesensiedlung Bang Kok. Der neue Herrscher übernahm den Leibarzt seines Vorgängers, und der im ganzen Reich anerkannte Mediziner ließ seinen ehemaligen Wohnsitz zu einem öffentlichen Hospital umbauen. Er nannte es Baan Jai Dii, das Haus des Guten Herzens.“ Der Reporter der Bangkok Post machte sich konzentriert Notizen.

      „Unsere Arbeit steht in der Tradition dieses historischen Baan Jai Dii. Wir bemühen uns, alleinstehenden, alten Menschen zu helfen und sie mit ganzem Herzen bis in ihre letzte Stunde zu begleiten“, erläuterte Jürg Bertoli und erhielt Rangrits Bestätigung. „Die moderne Lebensweise treibt die jungen Menschen aus den Dörfern in die Städte. Die Großfamilien lösen sich auf und die Alten können nicht mehr so versorgt werden, wie es unserer Tradition und unserem buddhistischen Glauben entspricht.“

      „Die staatlichen Sozialsysteme sind in Asien, wenn überhaupt, auf einem niedrigen Niveau vorhanden. Wenn die Familienverbände nicht mehr funktionieren, stellt das ein ernstes Problem dar. Wir helfen, wo wir können. Unsere Kapazitäten sind allerdings begrenzt, so dass nicht jeder einen Platz in unserer Mitte findet. Aber ist es nicht so, dass auch der engagierteste Helfer den Erfolg seiner Arbeit gefährdet, wenn die Sentimentalität die Sachlichkeit verdrängt?“, gab Bertoli zu bedenken und goss frisch gepressten Ananassaft in die Gläser. Ein dunkelblond gelockter Junge in einem Matrosenanzug näherte sich der Runde.

      „Na, du Lauser!“ Bertoli winkte den vielleicht Fünfjährigen heran, der daraufhin auf den Schoß des Heimleiters kletterte.

      „Das ist Tap, mein Sohn“, stellte Bertoli den kleinen Burschen vor, „Tap, das sind zwei Reporter von einer berühmten Zeitung aus Bangkok, die über unser Haus berichten wollen.“

      „Lung Moo, macht der Mann mit der Kamera auch von mir ein Foto?“

      „Wenn du ihn nett bittest, ganz bestimmt.“

      „Lung Moo? Sie sagten doch, er sei ihr Sohn“, wollte der Fotograf grinsend wissen.

      „Es ist ein Spiel. Nur Tap nennt mich Onkel Doktor. Unsere Gäste sind deutlich älter als ich und würden mich wohl kaum als Onkel bezeichnen wollen. Wo waren wir stehengeblieben?“

      „Bei den eingeschränkten Kapazitäten. Gibt es Kriterien, nach denen Sie entscheiden, wen Sie aufnehmen?“

      „Ich muss zugeben, dass ich mich vor diesen Entscheidungen gerne drücke und meine Mitarbeiter per Los entscheiden lasse, wenn wieder einmal ein Platz frei geworden ist.“

      „Ein reiner Zufall entscheidet?“

      „Nennen Sie mir eine Alternative, die unser Gewissen weniger belastet.“

      In diesem Augenblick rumpelten zwei Männer in blauen Arbeitsanzügen die Treppe ins Erdgeschoss hinunter. Von mehreren Pflegerinnen begleitet, schleppten sie eine silbergraue Blechkiste durch die Eingangshalle zum Hinterhof, in dem ein Lieferwagen wartete.

      „Sehen Sie“, Bertoli deutete auf die Gruppe, „es ist wieder ein Platz frei geworden. Die alte Wannapum hat uns gestern Nacht verlassen. Sie ist mit einem Lächeln auf den Lippen gestorben und hat die Reise in ihr nächstes Leben mit Zuversicht angetreten.“

      Die beiden Reporter wirkten sichtlich berührt. Der eine sortierte verlegen seine Unterlagen, der andere schraubte am Verschluss seiner Kamera herum.

      „Dr. Bertoli, seit geraumer Zeit kursieren Gerüchte, dass es in Ihrer Einrichtung einen deutlichen Anstieg der Todesfälle gegeben hat.“

      Bertoli lächelte. „Nun, Sie sind jung und haben hoffentlich noch ein langes, glückliches Leben vor sich. Im Baan Jai Dii ist dagegen der Tod unser ständiger Begleiter. Aber ist das bei einhundertfünfzig Gästen mit einem Durchschnittsalter von fünfundsiebzig Jahren nicht ein ganz natürlicher, biologischer Vorgang?“

      „Da haben Sie vermutlich recht. Bitte verzeihen Sie auch die nächste Frage. Sie nehmen in erster Linie mittellose, alleinstehende Menschen in Ihrem Altenheim auf. Verraten Sie unseren Lesern, wie sich ein derartiges Projekt finanziert?“

      Bertoli hob die Hände und seufzte: „Ja, das liebe Geld. Bei uns ist es immer knapp. Wir leben hauptsächlich von Spenden. Es gibt in Bangkok einige wohlhabende Gönner, die uns unterstützen. Dazu kommen gelegentlich Zuwendungen aus Quellen, zu denen ich noch aus meiner früheren Zeit Kontakte habe.“

      „Stimmen meine Informationen, dass Sie, bevor Sie nach Thailand kamen, ein leitender Manager in einem Schweizer Pharmakonzern gewesen sind?“

      „Schön wär’s.“ Bertoli schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Wie kommen Sie denn darauf? Richtig ist, dass ich vor vielen Jahren in der Schweiz, in Basel, in einer Aids-Beratungsstelle mitgearbeitet habe. Das Projekt wurde von einem dort ansässigen Pharmakonzern unterstützt.“

      Rangrit schlug die nächste Seite seines Spiralblocks auf. Bertoli konnte nicht entziffern, was dort notiert war, erkannte aber ein großes Fragezeichen auf dem unteren Teil des Blattes.

      „Dr. Bertoli, wenn meine Recherchen korrekt sind, wurden Sie in Italien geboren, haben in Südafrika und England studiert und in Deutschland und Südamerika gearbeitet. Sie besitzen die Schweizer Staatsangehörigkeit. Weshalb hat sich ein Weltbürger wie Sie für ein Leben in Bangkok entschieden?“

      „Alles korrekt. Sie sind ein bemerkenswerter Journalist“, lobte Bertoli. „Ich bin als Tourist gekommen und war von der reinigenden Kraft tropischer Regengüsse überwältigt.“

      Rangrit schaute ein wenig irritiert. „Sie sind wegen der Regenfälle geblieben?“

      „Zunächst einmal ja“, bestätigte Bertoli, „aber schon bald hatte ich mich in Thailand verliebt, in seine Menschen, in deren Zuversicht und Gelassenheit. Ich war beeindruckt von ihrer kindlichen Freude an den kleinen Dingen des Lebens und ihrem Vertrauen auf eine Wiedergeburt nach dem Tod. Mit einem solchen Glauben lassen sich die Wirren des Lebens entspannter ertragen. Und ich staune immer wieder über die ungeheure Kreativität der thailändischen Küche, hinter der selbst die Kunst der Köche meiner Heimat Italien verblasst.“

      „Ja, das Essen ist bei uns Thais tatsächlich eine sehr wichtige Angelegenheit.“ Rangrit blickte amüsiert zu seinem Kollegen. „Entschuldigen Sie meine direkte Frage. Sind Sie Buddhist oder Christ?“

      Bertoli wiegte sein Haupt mit der ergrauten Haarpracht, die eine Spur heller erschien als sein gemütlicher Vollbart. In passender farblicher Ergänzung dazu standen die graublauen Augen, mit denen er nun den Journalisten ernst anblickte. „Sagen wir es einmal so: Ich bin ein Mensch, der liebt, der hasst, der vergisst und sich erinnert, der Gutes tut, der Unrecht begeht. Und ich hoffe, dass ich mein Leben, mit wessen Hilfe auch immer, einigermaßen im Gleichgewicht dieser Gegensätze führe.“

      Rangrit

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