Bangkok Rhapsody. Thomas Einsingbach
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Der einzige Gast des Hauses, neben dem wartenden Bertoli, war ein kolossaler Ausländer, eine gut zwanzig Jahre alte Ansammlung von Fett und Muskeln. Er trug einen Bürstenhaarschnitt, ein frisch gebügeltes Poloshirt und karierte Shorts, wie sie von Golfspielern an heißen Tagen bevorzugt werden. Sein Hintern bedeckte zwei nebeneinanderstehende Barhocker, der Oberkörper hing regungslos auf dem Tresen. Vor ihm standen, aufgereiht wie Paradesoldaten, ein halbes Dutzend Flaschen der australischen Biermarke Carlton Cold.
In diesem Augenblick öffneten sich die Flügeltüren des Foyers und Bertoli erkannte die gedrungene Silhouette von Vitikorn, dem Chef der Metropolitan Police of Bangkok. Der Lieutenant General stieg die Stufen zum Thekenbereich hinunter, nickte seiner Geschäftsführerin zu, die ihm ein Zeichen gab. Er umrundete die Theke und streckte seinem Gast die Hand entgegen. „Sorry, Dr. Bertoli, der Verkehr, Sie wissen schon …“
„Keine Ursache, Lieutenant General, ich bin auch erst vor ein paar Minuten angekommen“, gab Bertoli zurück. Natürlich war es dem Polizeidirektor von Bangkok nicht zuzumuten, sich von einem öffentlichen Verkehrsmittel wie der BTS-Schnellbahn zu einem Termin transportieren zu lassen. Sicher wartete draußen vor der Tür eine Dienstlimousine mit Fahrer, laufendem Motor und eingeschalteter Klimaanlage, damit sich der Innenraum des Fahrzeuges nicht aufheizte.
„Doktor, entschuldigen Sie mich bitte noch für einen Moment … etwas Geschäftliches … Sie verstehen …“
Vitikorn drehte seinen Zweizentnerkörper mit erstaunlicher Wendigkeit und hielt auf die Mama-san zu.
„Nit, mein Schätzchen, was gibt’s? Kann das nicht warten? Du siehst doch, ich habe Besuch“, vernahm Bertoli, der nur ein paar Meter entfernt am Tresen saß und über ein ausgezeichnetes Gehör und Kenntnisse in der thailändischen Sprache verfügte.
„Nur ein kleines Problem.“ Nit warf dem hellhäutigen Elefanten am anderen Ende der Bar einen verdrießlichen Blick zu.
„Was ist mit dem Fettwanst los? Hat er randaliert?“, wollte Vitikorn wissen.
„Der Junge hat sich verirrt. Hat wohl gedacht, hier gibt’s das Übliche zur Happy Hour. Hat sich anfangs ganz nett und spendabel mit Ai-Ai beschäftigt.“ Die Mama-san deutete auf eine schmalhüftige Kathoey in einer Schuluniform und Pigtail-Zöpfchen. „Dann wurde ein Separee bestellt. Vor Geilheit blind, hat der Kerl zunächst wohl nicht kapiert, dass zwischen den Beinen seiner Prinzessin etwas existiert, das er dort auf keinen Fall vermutet hatte.“
„Hm“, brummte der Polizeichef, „als er seinen Irrtum entdeckte, wurde er sauer, hat unsere kleine Ai-Ai beschimpft und jetzt will er die Zeche nicht bezahlen?“
„Ja, genau so ist’s gelaufen. Sie sind der Boss. Aber ich bin der Meinung, dass wir in derartigen Fällen keine Kulanz mehr zeigen sollten. Das spricht sich herum und die Konkurrenz macht sich über die zahnlosen Tiger des Horny House lustig. Der Hohlkopf soll die Getränke und die gebuchte Kathoey bezahlen und dann verschwinden. Außerdem sind schlafende Gäste nicht gut fürs Geschäft“, erklärte Nit mit einem Blick auf ihre diamantenbesetzte Armbanduhr.
„Vollkommen richtig, meine Süße“, lobte Vitikorn und verbarg seine dunklen Augen mit der teuren amerikanischen Sonnenbrille, die bisher im Ausschnitt seiner Uniformjacke gesteckt hatte. Dann trat er zu dem schnarchenden Ausländer und rüttelte an dessen Oberarm. Als daraufhin nur ein Grunzen ertönte, öffnete der Polizeigeneral den Reißverschluss der Gürteltasche, die sich vom Bauch des Mannes in den Bereich seiner Taillen-Speckringe verschoben hatte. Er entnahm einen neuseeländischen Reisepass mit einem gültigen Touristenvisum und dem Einreisestempel vom Vortag. Laut Ausweis war der Bursche dreiundzwanzig Jahre alt und hatte als Beruf Krankenpfleger angegeben. Vitikorn steckte den Pass in seine Brusttasche und verschloss den Beutel wieder. Dann zog er seinen Dienstausweis heraus. „Sir, darf ich Ihren Pass sehen“, brüllte er in das Ohr des schlafenden Riesen, der die Augen aufriss und fauchte: „Fick dich. Meinen Pass? Was geht dich mein Pass an?“
„Sir. Ich bitte vielmals um Verzeihung, dass ich Sie bei Ihrer Meditation unterbrochen habe. Ich bin Polizist. Wären Sie so freundlich und würden sich ausweisen?“
„Du Arschloch. Meditation? Verpiss dich.“
„Sir, möglicherweise haben Sie überhört, dass ich Polizeibeamter bin. Darf ich Ihren Pass sehen?“
Vitikorn hob seinen Dienstausweis in die Höhe. Mit glasigem Blick starrte der Neuseeländer auf die Schulterklappen der Polizeiuniform, wo etliche goldene Sterne in den Lichtreflexen einer kreisenden Glasmosaikkugel aufblitzten. Endlich hatte er begriffen und nestelte an seiner Gürteltasche herum.
„Mein Pass. Scheiße! War da drin. Ehrlich! Fuck, jetzt isser weg“, stammelte der Betrunkene. Vitikorn erkundigte sich bei Nit, wie viel Geld der verirrte Freier dem Horny House schuldete. Alles in allem seien es wohl um die fünftausend Baht, lautete die Schätzung der Geschäftsführerin. Wenn die Rechnung lieber in US-Dollar bezahlt werden wolle, gebe sie sich mit zweihundert Dollar zufrieden und man könne sich in Freundschaft trennen. Vitikorn nickte zustimmend, nachdem er den vorgeschlagenen Wechselkurs überschlagen hatte.
„Wo ist mein Pass?“, jammerte der Dickleibige.
„Sie können sich nicht ausweisen? Das ist eine ernste Sache. Mein Freund, kann es sein, dass Sie Ihre Rechnung nicht bezahlen wollen?“
Bertoli verfolgte aufmerksam das Geschehen und sah, wie Vitikorn beeindruckende Sorgenfalten auf seine Stirn zauberte.
„Das Bier zahl ich schon. Aber die Lady … also, wenn das ’ne verdammte Lady war … Fuck, dann bin ich ’n verdammtes Meerschweinchen.“
„Bangkok bietet seinen ausländischen Gästen unendlich viele Überraschungen. Ein Rat unter echten Männern: Bezahlen Sie Ihre Rechnung. Irrtümer sind bekanntermaßen die besten Lehrmeister des Lebens. Möglich, dass sich dann auch Ihr Pass wiederfindet, zum Beispiel auf der Toilette.“ Vitikorn deutete zu den kichernden Kathoeys an dem Ecktisch.
„Ich war nich’ auf der Toilette“, brachte der Tourist stockend vor.
„Was soll ich jetzt mit Ihnen machen?“ Vitikorn schüttelte sein Haupt. „Sie beleidigen einen Polizeibeamten. Sie wollen die gebuchte Lady nicht bezahlen. Sie sind ohne Pass unterwegs. Woher soll ich wissen, ob Sie sich überhaupt rechtmäßig im Königreich Thailand aufhalten? Womöglich sind Sie ein nordkoreanischer Spion, ein islamistischer Selbstmordattentäter oder ein kolumbianischer Drogenhändler. Alles ziemlich kompliziert, finden Sie nicht auch? Möchten Sie mit ins Polizeipräsidium kommen? Dort können wir dann alles in Ruhe klären. Ich habe heute allerdings schon Feierabend und morgen ist mein freier Tag. Sie werden dort übernachten müssen. Ich stehe Ihnen dann übermorgen ab zehn zur Klärung der Unstimmigkeiten zur Verfügung.“
Der Neuseeländer zuckte immer wieder nervös mit den Mundwinkeln. Er hatte sein komplettes jährliches Urlaubsbudget in den Fünftagetrip nach Bangkok investiert. Und nun drohte dieses Sechssternepolizeischlitzauge ihm mit einem Zwangsaufenthalt von zwei Nächten in einem thailändischen Gefängnis.
„Gibt’s da keine andere Lösung?“
„In Bangkok gibt es für alles eine Lösung.“ Vitikorns Blick streifte Nit, die sich bemühte, der auf Englisch geführten Verhandlung zu folgen.
„Die Beamten der Metropolitan Police haben großes Verständnis für die gelegentlichen Schwierigkeiten anständiger Touristen. Ich schlage vor, Sie bezahlen das Bier und die Lady, on top ein nettes Trinkgeld für die ehrliche Finderin Ihres Passes. Dann vergessen wir die