Der Reis und das Blut. Harry Thürk

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Der Reis und das Blut - Harry Thürk

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Heute habe ich Erkenntnisse gewonnen, die ich damals nicht besaß. Und ich habe miterlebt, daß das Land nicht nach den seinerzeit als revolutionär gepriesenen Methoden umgestaltet wurde, sondern etwas ganz anderes geschah. Noch während die große Tragödie lief, habe ich mich von dem getrennt, was ich einst für richtig gehalten hatte.

      Aber kehren wir zu den damaligen Realitäten zurück, damit Sie verstehen, weshalb Leute wie ich Khieu Sampan und Saloth Sar zuhörten, ihnen sogar vertrauten.

      Die Industrie in Kambodscha erbrachte zu Zeiten Sihanouks lediglich etwa 10 Prozent des Nationaleinkommens. Die erwirtschaftete sie allerdings mit Exporterzeugnissen – für den Bauern produzierte sie so gut wie nichts, wenn man von Seven-Up-Limonade und Bastos-Zigaretten absieht. So machte die Schicht der Exporteure und Industriemanager ihr Geschäft, während die Bauern in der Rückständigkeit versanken.

      Daran änderte nichts, daß sich der Prinz gelegentlich vor einer Reihe von Traktoren fotografieren ließ und dazu die internationale Presse, das diplomatische Korps und überhaupt jeden ausländischen Pinsel einlud, den er erreichen konnte!

      In den Städten rollten amerikanische Autos, plärrten japanische Fernseher und Recorder, es gab eine wachsende Schicht von Angestellten, die nur noch Dienstleistungen für die Großverdiener versah, vom Kraftfahrer über den Masseur und den Kellner im »Royal« bis zur Hure. Auf dem Lande fehlte hingegen selbst die Pinzette, mit der man eine Zecke hätte aus der Nackenhaut eines Babys entfernen können. In den Städten wuchs die Zahl der sogenannten Verwaltungsangestellten, während in den Dörfern die traditionellen Handwerker ausstarben, etwa der Mann, der eine Karrenachse hätte reparieren können – er wanderte, wie andere auch, in die Stadt ab, um dort Wasserklosetts für Neureiche zu bauen. –

      Man muß berücksichtigen, um diese Zeit bezogen wir noch amerikanische »Hilfe« – außer einigen Lastwagen für das Militär oder ein paar Traktoren vor allem Kognak, Whisky, Waschpulver, Zigaretten, Modekleidung, Radios, TV-Geräte, feines Geschirr, Parfüms, Fahrzeuge, Möbel …

      Diese Dinge wurden von etwa 10 Prozent der Bevölkerung konsumiert, und zwar in den Städten, weil es anderswo niemanden gab, der sie hätte bezahlen können, selbst wenn er sie gebraucht hätte. Auf dem Lande aber lebten 90 Prozent aller Kambodschaner, und die Importe für sie – Lampenbrennstoff, Haushaltsartikel, Werkzeuge und billiger Baumwollstoff – machten genau 4 Prozent aller Einfuhrgüter aus. Das waren die Zahlenverhältnisse, die Herr Khieu Sampan errechnet hatte. Selbst wenn sie nur annähernd stimmten, ließen sie erkennen, was da vor sich ging: Es war eine Deformation des Lebens, die wir Jungen zwar spürten, auf deren tatsächliches Ausmaß uns aber erst Khieu Sampan und Saloth Sar aufmerksam machten. Und sie boten ein Rezept an, um die Sache vom Kopf wieder auf die Beine zu stellen.

      Heute halte ich dieses Rezept für fragwürdig in seiner theoretischen Basis und für barbarisch in der Form, in der es später realisiert wurde, aber man muß verstehen, daß vor allem viele junge Leute nach einem solchen Rezept griffen, nach irgendeinem, begierig, die fatale Wirklichkeit zu verändern, und ohne zunächst zu fragen, worin die Konsequenzen bestehen würden.

      Khieu Sampan bot als Lösung an, zunächst die parasitäre Rolle der Städte abzuschaffen. Der Verkauf der Dorf-Produkte – wie Reis, Kautschuk oder Gemüse – sollte nationalisiert werden, um die Preise, die die Bauern erzielten, erträglicher zu gestalten. Importe sollten auf das beschränkt werden, was die Landbevölkerung brauchte, und die Exporteinnahmen sollten gemeinsam mit den Profiten aus den Landwirtschaftsgütern dazu verwendet werden, die Lage der Bauern zu verbessern. Banken, Energiebetriebe, überhaupt alle Industrieunternehmen seien zu verstaatlichen, die Verwaltungsbürokratie, die geradezu unglaublich korrupt geworden war, und die Angestellten aus dem Sektor der Luxusdienstleistungen sollten in der Landwirtschaft arbeiten, um dort die Produktion zu erhöhen. Pachtzinsen seien abzuschaffen, indem große Arbeitsgemeinschaften auf dem Dorfe gegründet würden.

      Auf dem Lande, unter den einfachen Leuten, den Ärmsten, sollte der Weg entschieden werden, den Kambodscha zu nehmen hatte – nicht mehr im Königshaus oder in der von den Unternehmern bestochenen Bürokratie.

      Unser Herz schlug für diese Ideen. Wir fühlten mit den Armen; das ist wohl das Vorrecht jeder Jugend. Wir waren mit dem, was Herr Khieu Sampan theoretisch ausgearbeitet hatte und was Herr Saloth Sar uns zugänglich machte, total einverstanden. Es traf unseren sozialen Nerv.

      Es traf natürlich auch den Nerv des Königshauses; Khieu Sampan ebenso wie Saloth Sar galten als Kommunisten. Obgleich – genaugenommen stimmte das nicht. Sie waren, wie ich sehr viel später erfuhr, erst seit 1960 eingeschriebene Mitglieder der damaligen KP, die sich im Untergrund befand und von den Polizeiorganen erbittert verfolgt wurde. Sihanouk allerdings schmückte sich mit, wie er es nannte, »legalen Kommunisten« als Parlamentsmitgliedern, um seine Toleranz zu beweisen. Er wollte einige Vorzeigekommunisten haben, sogar als Minister, um Kritik von links abzubauen.

      Nun bezeichnete sich Herr Khieu Sampan beispielsweise selbst stets als Kommunist. Er ließ durchblicken, er gehöre sogar zum Zentralkomitee der Partei. Ich habe nie, auch später nicht, herausfinden können, ob das eigentlich stimmte. Eine illegale Partei wie die damalige KPK läßt gewiß keine Mitgliederlisten herumliegen; es wären Todesurteile, wenn die Polizei sie aufspürte. Wie dem auch gewesen sein mag, wir Jungen hatten das Gefühl, es tatsächlich mit Kommunisten zu tun zu haben, selbst wenn Sihanouk es vorzog, sie zeitweilig nicht anzutasten. Für uns hatten die Kommunisten aus der Zeit der Kämpfe gegen die Franzosen einen guten Namen. Sie verkörperten soziale Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Unbestechlichkeit.

      Khieu Sampan gab damals, neben seiner Lehrtätigkeit, in Phnom Penh eine Wochenzeitung in französischer Sprache heraus, die im wesentlichen der Propagierung seiner Ideen diente, wenngleich er dabei recht vorsichtig vorging und jeden direkten Konflikt vermied. Trotzdem wollte Sihanouk ihn wohl in der Öffentlichkeit als politischen Gegner abwerten. Im Herbst 1960 erschien eine Gruppe Schläger vor Khieu Sampans Haus. Dieser hielt gerade Mittagsruhe. Die Kerle zerrten den nur mit einer Unterhose Bekleideten auf die Straße und ließen ihn von einem Zeitungsreporter fotografieren. Ein Bild der Lächerlichkeit sollte er abgeben. Es hatte nicht den erwarteten Erfolg.

      Zwei Jahre später änderte Sihanouk seine Taktik. Neuwahlen standen an. Die KPK war offiziell verboten. Sihanouk nahm Khieu Sampan und zwei seiner Gesinnungsfreunde, Hu Nim und Hou Yon, die beide an der juristischen Fakultät der Universität Phnom Penh lehrten, einfach in seine Sangkum-Partei und deren Wahlliste auf, mit der Begründung, er wolle Linken wie ihnen großmütig eine Chance sichern, weil sie selbst ja keiner Partei angehörten, die Listen aufstellen durfte. Sie wurden prompt gewählt, und so kam es dazu, daß sie alle drei für ein knappes Jahr Ministerposten in Sihanouks Regierung bekleideten, bis er sie wieder hinauswarf.

      Herr Khieu Sampan wurde dann, 1966, nochmals auf die gleiche Weise zum Abgeordneten gewählt. Sihanouk wollte ihn wohl neutralisieren. Aber um diese Zeit hatte sich die revolutionäre Stimmung im Lande bereits so stark entwickelt, daß es in Battambang zu Aufständen kam. Da wurde auch Khieu Sampan endgültig von Sihanouk abgesetzt und zum Aufrührer und Staatsfeind erklärt.

      Bevor ich über die Aufstände spreche, will ich versuchen, Ihnen ein wenig Aufschluß über das eigenartige Verhältnis Sihanouks zu den Amerikanern zu geben, weil das in unserer ganzen neueren Geschichte eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt hat. Einzelheiten darüber erfuhr ich von Saloth Sar in unserem Zirkel.

      Zunächst muß man wissen, daß unser Monseigneur Papa, der Prinz aus der Norodom-Dynastie, ein Mann mit hochentwickeltem Geltungsbedürfnis war. Er rieb sich an Beleidigungen, die von den Amerikanern ausgingen und die ihn zu höchst eigenwilligen Reaktionen trieben.

      Die Angelegenheit reicht weit zurück. Ich kenne sie aus den Gesprächen der Älteren, die ich später hörte. 1952, als die Franzosen Kambodscha noch ziemlich umfassend beherrschten, hatte der junge Prinz, zweifellos

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