Steirertanz. Claudia Rossbacher
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»Ich hasse Landschaft«, brummte Bergmann, ohne aufzublicken. »Noch dazu, wenn Schnee liegt.«
Sandra verdrehte die Augen. Das konnte ja heiter werden. Landschaft gab es im Salzkammergut reichlich. Vor allem Berge und Seen. Dazu Schnee in Hülle und Fülle. Sie verzichtete darauf zu erwähnen, dass sich die gesamte weitestgehend autofreie Ortschaft in den ersten beiden Adventwochen in einen zauberhaften Weihnachtsmarkt verwandelte. Mangels Interesse ihres Beifahrers behielt sie auch für sich, dass in Pürgg nicht die üblichen Standln, sondern Ställe, Garagen, Tennen und Privathäuser der Bewohner als Ausstellungs- und Verkaufsräume dienten, in denen vor allem traditionelles Kunsthandwerk präsentiert wurde. Dazu gab es musikalische Darbietungen, stimmungsvolle Lesungen und Führungen in der Kirche beziehungsweise Kapelle. Entsprechend gut besucht war der Advent auf der Pürgg alle Jahre wieder. Außer 2020, als er, wie die meisten Veranstaltungen, der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen war.
Nichts von alledem interessierte den Chefinspektor. Weder zählte er zu den Romantikern, noch war er ein Fan von Weihnachten oder anderen Familienfesten, wusste Sandra. Die letzten beiden Punkte trafen allerdings auch auf sie zu.
»Wie lange brauchen wir noch bis zum Einsatzort?« Bergmann steckte sein Handy ein.
»Eine halbe Stunde ungefähr«, schätzte Sandra. Linker Hand würde jeden Moment die Kulm Skiflugschanze auftauchen. Bei Kainisch musste sie dann von der Salzkammergutstraße in Richtung Grundlsee abfahren. Ab Gößl würde sie dem Navi vertrauen müssen, um ohne Umwege ans Ziel zu gelangen, das irgendwo am hintersten Winkel am Grundlsee lag.
Bergmann wollte sich dort zuallererst die Brandruine ansehen, außerdem mit dem Brandexperten und den Ausseer Polizisten sprechen, um sich ein möglichst umfassendes Bild zu machen.
3.
Am Einsatzort wurden die Ermittler bereits erwartet. Ein silberfarbener Minibus mit Grazer Kfz-Kennzeichen und ein Streifenwagen standen vor dem Polizei-Absperrband, das die Brandruine vor gleichwohl unerlaubten wie gefährlichen Zutritten absicherte.
Der Boden war an dieser Stelle spiegelglatt, stellte Sandra fest, als sie den Wagen abbremste. Anscheinend hatte die Feuerwehr mit Streusalz gespart.
Bergmann erstarrte mit schreckgeweiteten Augen, während Sandra den rutschenden Wagen abfing und rechtzeitig vor dem Flatterband zu stehen kam. »Meine Nerven«, beschwerte er sich und blies Luft aus.
»Geh bitte …« Sandra war in den Bergen aufgewachsen, hatte dort ihren Führerschein gemacht und kam entsprechend gut mit winterlichen Straßenverhältnissen zurecht. Im Gegensatz zu Bergmann, der ein hundsmiserabler Autofahrer war und es tunlichst vermied, sich hinters Steuer zu setzen. Lieber ließ er sich von ihr herumkutschieren. Noch dazu war sein Orientierungssinn unterentwickelt. Seine Ortskenntnisse in der Steiermark sowieso.
Im Licht der Autoscheinwerfer erkannte Sandra, dass das gemauerte Erdgeschoß dem Feuer einigermaßen standgehalten hatte. Das Dach und die ortsüblichen Holzelemente des Hauses wie die Fassade, Veranden, Balkone und das Obergeschoß waren ein Raub der Flammen geworden. Ebenso der angrenzende Schuppen. Oder war das eine Garage gewesen? So genau ließ sich das im Dunkeln nicht feststellen.
Unwillkürlich kam Sandra die Brandleiche im Vulkanland in den Sinn. Der Anblick des verkohlten Körpers mit den abgespreizten Armen und den angewinkelten Beinen hatte sich in ihrem Gedächtnis eingebrannt. Fechterstellung nannten die Mediziner diese Haltung, die durch die hitzebedingte Schrumpfung der Muskeln und Sehnen zustande kam. Die Oberhaut platzte auf, was den typischen Eindruck von Schnittverletzungen bei Brandopfern hinterließ. Wurde der Dampfdruck im Schädelinneren zu hoch, barst die Schädeldecke. Sandra spürte Übelkeit aufkommen. Wenngleich ihr ein ähnlich grausiger Anblick diesmal erspart bleiben würde. Die Brandleiche war längst nach Graz überstellt worden, wo sie am Montag, gleich in der Früh, obduziert werden sollte. Der Leichenöffnung in der Gerichtsmedizin wollte Bergmann beiwohnen, wofür sie ihm insgeheim sehr dankbar war. Sie öffnete ihren Sicherheitsgurt, schloss die Augen und atmete einige Male tief durch, während der Chefinspektor im Handschuhfach nach der Taschenlampe kramte. Die leuchtete weiter als die Handy-App.
Als Sandra wieder aufblickte, sah sie zwei uniformierte Kollegen, eine Frau und einen Mann, die geschickt auf die Brandruine zuschlitterten. Das andere Paar in Zivilkleidung, das sie vom LKA in Graz kannte, folgte ihnen weitaus vorsichtiger.
Dem Wagen entstiegen, setzte Sandra ihre Haube auf und zog den Reißverschluss ihres Anoraks bis zum Kinn hoch. In der Nähe des »Steirischen Meers«, wie der Grundlsee als größter See der Steiermark auch genannt wurde, fühlten sich die minus neun Grad Celsius, die das Außenthermometer zuletzt angezeigt hatte, noch kälter an. Sie ließ ihre Hände in die Handschuhe gleiten und wickelte den Wollschal mehrfach um ihren Hals.
Bergmann rutschte aus, konnte sich aber wieder fangen. Der Kraftausdruck, der seinem Mund entwich, bildete eine Atemwolke vor seinem Gesicht, die sich rasch auflöste.
Selbst schuld, dachte Sandra. Warum zog er keine Winterschuhe an? Kein vernünftiger Mensch trug zu dieser Jahreszeit Sneakers. Schon gar nicht in den Bergen. Dafür Haube und Handschuhe. Sein dünner Baumwollschal eignete sich bestenfalls für den Herbst oder fürs Frühjahr. Seine Jacke zählte bestimmt auch nicht zu den allerwärmsten.
»Aufpassen!«, rief ihnen die Landpolizistin zu. »Haltet’s euch weiter links, damit’s net herfallt’s!«
»Ich falle nicht her, sondern höchstens hin«, schnauzte Bergmann zurück. Als ob die abweichenden Ausdrücke der Wiener und Steirer einen Unterschied gemacht hätten. Lag er erst einmal auf dem Boden, war das Ergebnis dasselbe.
Sandra konzentrierte sich wieder auf sich selbst. Wie damals in Oberlamm stieg ihr beißender Brandgeruch in die Nase, der sich auf ihre Zunge legte. Erneut kamen die Bilder der verkohlten Brandleiche hoch. Prompt drehte sich ihr der Magen um. Gleichzeitig versuchte sie, nicht auszurutschen und den brandigen Geschmack hinunterzuwürgen.
Bergmann, der ihr folgte, schafft es ebenfalls, nicht her- beziehungsweise hinzufallen.
»Griaß enk!« Die Inspektionskommandantin aus Bad Aussee stellte ihren rangniedrigeren Kollegen und sich selbst vor.
Sandra nannte im Gegenzug ihren und Bergmanns Namen.
Der Chefinspektor wandte sich direkt an den Experten des LKA. »Wir haben es also mit Brandstiftung zu tun?« Sein Blick folgte dem Lichtkegel seiner Taschenlampe, der über Schutt und Asche tanzte.
»Das Feuer wurde zweifelsfrei vorsätzlich gelegt«, bestätigte der Kriminaltechniker und zauberte einen Plan des Hauses hervor, den er aufgefaltet der Kollegin in die Hände drückte, um ihn hernach mit seiner Taschenlampe zu beleuchten. »Der Spürhund hat an mehreren Stellen angeschlagen. Im Erdgeschoß, hier und da.« Sein Finger zeigte auf die Punkte, an denen Brandbeschleuniger eingesetzt worden war. »Auch im Obergeschoß konnten wir zwei Brandherde ausmachen.« Die Taschenlampe senkte sich wieder. »Jedenfalls wusste der Brandstifter, wie man es anstellt, dass die Flammen möglichst rasch das gesamte Haus erfassen.«
»Und mit dem Haus auch die Frau«, sagte Bergmann. »Hat der Hund auch bei der Leiche angeschlagen?«
»Er war erst heute Nachmittag am Tatort, nachdem die Leiche bereits in die Gerichtsmedizin überstellt wurde.«
»Dann werden wir dort klären müssen, ob die Leiche mit dem Brandbeschleuniger in Kontakt gekommen ist. Die Vermutung, dass hier jemand versucht hat, die Spuren einer Gewalttat durch Brandzehrung zu beseitigen, liegt jedenfalls nahe.«
Der