Der Bergpfarrer Paket 2 – Heimatroman. Toni Waidacher
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Nachdenklich blickte er zum Fenster. Der Tisch, an dem er arbeitete, stand direkt davor. Draußen war es inzwischen dunkel geworden, lediglich die Laterne über dem Eingang zum Stall beleuchtete einen Teil des Hofes.
Andreas Waldner schloß einen Moment die Augen und erinnerte sich an die Wochen, die er und Daniela zusammen verbracht hatten. Es war das erste Mal, daß er bei einer Frau gespürt hatte, wieviel sie ihm bedeutete. All die anderen vorher – bei ihnen war nie das Gefühl so stark gewesen.
Einige Male waren sie sich begegnet, ehe sie sich auf dem Tanzabend im Löwen näherkamen. An diesem Abend begann die schönste Zeit seines Lebens. Daniela zeigte ihm, wie sehr sie ihn liebte, und Andreas fühlte sich wie ein anderer Mensch.
Ach, könnte man die Wochen doch nur zurückholen!
Wie selbstverständlich hatte die schöne Lehrerin auf dem Hof mit angepackt, und wenn sie zunächst auch nicht viel von Landwirtschaft verstand, so lernte sie schnell und besonders Resl schloß die junge Frau ganz in ihr Herz.
»Die wär’ schon recht als Bäuerin auf dem Hof«, hatte sie zu Andreas gesagt.
Der Bauer nickte nur dazu, denn das wußte er selber. Aber es war ja viel komplizierter, als es auf den ersten Blick aussah. Daniela lebte und arbeitete weit entfernt vom Wachnertal. Die Zeit mußte zeigen, ob ihre Liebe Bestand haben würde. Zunächst schien es so, denn die Briefe, die sie sich schrieben, waren voller Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft. Doch dann schlief ihre Beziehung allmählich ein. Die Briefe wurden weniger, und auch die Telefonate. Andreas konnte nicht einmal sagen, bei wem die Schuld daafür lag. Es waren wohl die Umstände, die verhinderten, daß daraus mehr als nur ein Urlaubsflirt wurde.
Er legte den Briefstapel zurück in die Keksdose und stellte sie wieder in die Schublade. Dann löschte er das Licht und ging müden Schrittes hinauf in seine Kammer.
Über die Arbeit an der Buchführung war es spät geworden, und wenn auch morgen der Wecker recht früh klingelte, fand Andreas Waldner noch lange keine Ruhe. Schlaflos wälzte er sich in seinem Bett und versuchte, die quälenden Gedanken an seine einstige große Liebe abzuschütteln.
*
Mit dem ersten Sonnenstrahl schlug Daniela die Augen auf. Sie war es ohnehin gewohnt früh aufzustehen, und jetzt im Urlaub wollte sie keine Minute länger als nötig im Bett bleiben. Sie sprang auf und lief zum Fenster hinüber. Es ging nach Osten hinaus, und sie konnte sehen, wie die Sonne langsam vollends aufging. Glutrot stand sie am Morgenhimmel und bot einen wunderschönen Ausblick.
›Nutze den Tag‹, dieses Motto hatte die junge Lehrerin sich zu eigen gemacht. Sich an wunderbaren Dingen zu freuen, und das Leben mit all seinen Schönheiten zu genießen.
Nachdem sie eine Weile hinausgeschaut, und ihre Gedanken hatte schweifen lassen, lief sie in das kleine Duschbad und stellte sich unter die Dusche. In ein leichtes Sommerkleid geschlüpft, ging sie wenig später die Treppe hinunter. Ria Stubler kam eben aus der Küche, in der sie das Frühstück für ihre Pensionsgäste vorbereitete.
»Guten Morgen«, begrüßte sie Daniela, mit einem gutgelaunten Lächeln. »Hast’ gut geschlafen?«
»Wunderbar«, nickte sie. »Guten Morgen, Ria.«
Sie schaute in die Küche hinein.
»Kann ich was helfen?«
Die Pensionswirtin schüttelte den Kopf.
»Das kommt überhaupt net in Frage«, entgegnete sie. »Du hast Urlaub und bist net zum Arbeiten hier. Setz’ dich schon mal drüben, an den Tisch. Der Kaffee läuft gerad’ durch.«
Daniela tat, wie ihr geheißen und ging in Ria Stublers Wohnung. In der Privatküche war bereits der Tisch für zwei Personen gedeckt, und in der Luft lag der betörende Duft frisch gebrühten Kaffees.
Die Lehrerin nahm sich die Zeitung, die auf dem Tisch lag und setzte sich. Während sie darin blätterte, kam Ria zurück.
»So«, sagte sie, »draußen ist soweit alles vorbereitet, wir können in aller Ruhe frühstücken. Die Gäste kommen meist net vor sieben herunter. Es sei denn, sie wollen eine Tour unternehmen.«
Auf dem Herd stand ein kleiner Topf, in dem Wasser brodelte.
»Du ißt doch bestimmt ein Ei?«
Daniela nickte.
»Ja, dank’ schön.«
Ria nahm zwei schöne, große Eier und stach sie an. Dann legte sie sie, mit Hilfe eines Löffels, vorsichtig in das kochende Wasser und drehte die Sanduhr um.
»Hast’ dir schon was für heut’ vorgenommen?« erkundigte sie sich.
Daniela reckte sich.
»Nur faulenzen«, antwortete sie mit einem Lächeln. »Der erste Tag in Sankt Johann ist zum Eingewöhnen. Ich will mich ein bissel umschau’n, schon mal ein paar Ansichtskarten kaufen. Es gibt ein paar Leute, die warten darauf, einen Urlaubsgruß zu bekommen.«
Nachdem die Sanduhr abgelaufen war, schreckte Ria Stubler die Eier ab und trocknete sie mit einem Tuch. Auf dem Tisch standen wieder die köstliche Marmelade, frische Semmeln und Hefezopf. Natürlich fehlten die Almbutter und der Bergkäse nicht. Die Pensionswirtin wußte, daß ihr Gast morgens gerne auf Wurst und Schinken verzichtete.
»Die bekomm’ ich morgen früh, wenn ich mit Pfarrer Trenker unterwegs bin«, sagte Daniela, als Ria vorsichtshalber doch nachfragte. »Frau Tappert hat ja immer große Angst, daß Hochwürden verhungern könnt’, wenn er auf Bergtour ist. Die Brote, die sie ihm einpackt, reichen für drei Leute.«
Die beiden Frauen frühstückten in aller Gemütlichkeit und plauderten dabei. Zwar hatten sie sich am Abend zuvor noch ausgiebig unterhalten, aber es gab immer noch vieles, worüber man sprechen konnte.
Zwei Stunden später machte Daniela einen ersten, ausgiebigen Spaziergang durch das Alpendorf. Die Geschäfte öffneten gerade, und noch waren kaum andere Touristen unterwegs.
Die Lehrerin betrat einen kleinen Zeitungsladen, in dem man auch Zigaretten, Souvenirs und Ansichtskarten kaufen konnte. Sie suchte ein paar aus, die Motive aus St. Johann und Umgebung zeigten. Der freundliche Besitzer des Ladens, ein älterer Herr, verkaufte ihr gleich die notwendigen Marken dazu.
Auf der Straße vor der Kirche, stand eine Bank. Daniela setzte sich darauf und begann, die Karten zu schreiben. Eine war an Elke gerichtet, eine zweite natürlich an Tante Josefine. Die dritte Karte adressierte sie an ihre Vermieter. Sie teilte ihnen mit, daß sie gut angekommen sei und jetzt ihren Urlaub in vollen Zügen genießen wolle.
Eine Viertelstunde genoß sie noch den herrlichen Sonnenschein, dann ging sie langsam zur Pension zurück. Unterwegs warf sie die Ansichtskarten in einen Postkasten. Wieder achtete sie nicht auf den Wagen, der in einer Seitenstraße stand. Der Mann hinter dem Lenkrad schaute ihr hinterher. Genauso, wie am Abend zuvor, als die junge Lehrerin vom Pfarrhaus kam.
Auf ihrem Zimmer lag ein Buch, das sie von zu Hause mitgebracht hatte. Schon lange wollte sie es lesen, war aber bisher nicht dazu gekommen. Jetzt holte sie es herunter und ging damit in den Garten.