Mami Staffel 11 – Familienroman. Edna Meare

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Mami Staffel 11 – Familienroman - Edna Meare Mami Staffel

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      »Danke«, hauchte die kaum hörbar, und schon senkten sich ihre Lider über ihre großen Augen.

      Kurt beugte sich über sie. »Und in meiner Kollegin Astrid wirst du eine richtige Freundin finden. Das weiß ich schon jetzt.«

      Er sah zur Uhr. »Ihr beide werdet es schon schaffen«, flüsterte er Astrid zu und verließ den Raum.

      *

      Fabian Ossiander zögerte seine Rückkehr aus Stuttgart um einen Tag hinaus. Unfähig, über seinen ersten Schmerz hinauszudenken und sich an seine Pflichten als Vater zu erinnern, gab er vor, zunächst an seine beruflichen Termine gebunden zu sein. Dabei ereilte ihn eine Krise, die ihn in ein abgrundtiefes schwarzes Loch aus Schuldgefühlen, Lebensangst und Verzweiflung stürzte.

      Ohne seine Ehefrau Annalena fühlte er sich plötzlich um alles, was er zum Leben brauchte, betrogen. Was wurde aus dem Gefühl des Geborgenseins, aus seiner häuslichen Ruhe, kurzum, aus allem, was das Fundament seines Alltags bildete? Womit hatte er dieses schreckliche Los verdient?

      Und weil er sich selbst bemitleidete, ertrug er die Wahrheit schon gar nicht. Er konnte sich nicht eingestehen, daß er Annalena lange nicht mehr geliebt hatte. Nun ja, sie hatte ihn nicht so bewundert wie andere Frauen, aber als treu ergebene Ehegattin war sie ihm immer zur Seite gestanden. Und das hatte er ihr gedankt. War das nicht Liebe genug?

      Und jetzt, so plötzlich aus der Ordnung seines Lebens gerissen, fürchtete er um seine geniale Musikalität und seine einmalige Schaffenskraft. Wankte nicht alles, was seinen Ruhm untermauerte?

      Aber da war ja noch Claudia, seine Tochter. Ihr zuliebe mußte er zurück, um ihren Schmerz zu teilen, um ihr beizustehen und ihr Mut zu machen.

      Als er in die Klinik eilte, warteten einige Reporter vor dem Eingang. Im ersten Schreck wollte er umkehren und die Flucht ergreifen. Schon der Gedanke, in der Presse könnte ein Foto von ihm erscheinen, das sein Gesicht älter und grauer als sonst zeigte, ließ ihn fast in Panik geraten.

      Zufällig beobachteten zwei Assistenzärzte die peinliche Szene. Sie eilten hinaus, jagten die Presseleute davon, nahmen Fabian in ihre Mitte und halfen ihm, sein Gesicht zu verhüllen.

      Minuten später blieb Fabian Ossiander nichts anderes übrig, als endlich vor Claudias Bett zu treten. Ihr Anblick und das Lächeln, mit dem sie ihn begrüßte, verlieh ihm tatsächlich etwas Kraft.

      Sein Töchterchen lebte, auch wenn sie für Wochen in der Obhut der Ärzte bleiben mußte. Und sie schenkte ihm ein glückliches Lächeln als Willkommen, weil sie ihn sehnlichst erwartet hatte. Noch wußte sie ja nicht, welch furchtbare Nachricht er ihr überbringen mußte.

      Man hatte Fabian den Mantel abgenommen und ihn in einen grünen Kittel gesteckt. Er mochte die Farbe nicht. Grün stand ihm einfach nicht. Darum nahm er sich den Kittel wieder ab. Damit gewann er kostbare Zeit, um sich Worte zurechtzulegen, die Claudias Schmerz mildern konnten.

      Dann kauerte er sich neben sie, umschloß ihren Kopf und ihre Schultern mit seinen Armen und flüsterte ihr Satz für Satz zu, bis sie die ganze, bittere Wahrheit erfahren hatte.

      Claudia konnte sich kaum bewegen. Trotz der Mittel, die sie bekam, spürte sie bei jeder noch so geringen Regung einen dumpfen oder ziehenden Schmerz, der sich von der Hüfte bis zum Fuß ihres linken Beines zog. Wie alle sehr jungen Menschen hatte sie schnell gelernt, mit ihrem jämmerlichen Zustand umzugehen. Aber jetzt, als sie wußte, daß ihre Mutter gestorben war, bäumte sich ihr Inneres auf. Ihr Atem ging schneller und wollte sich beim Stöhnen Erleichterung verschaffen. Und das Stöhnen verursachte eine schneidende Qual.

      Claudia reagierte darauf. Sie machte sich steif wie ein Brett. Nur ihre Augen füllten sich mit Tränen und ihre Lippen bebten. Sie sah ihren Vater an und wollte schreien. Aber der Atem, den sie dazu brauchte, weitete ihre Lunge und die Dehnung ihres Brustkorbs war bis zur Hüfte zu spüren. So glich der körperliche Schmerz dem Leiden ihres kleinen Herzens. Sie hielt den Atem an, hob ihre Arme und bedeckte damit ihre Augen.

      Sie wollte nichts mehr sehen und nichts mehr fühlen. Die Trauer im Gesicht ihres Vaters stieß sie ab. Sie kannte ihn doch nur strahlend vor Selbstbewußtsein. Ganz instinktiv fürchtete sie, ihn nie mehr lächeln sehen zu können. Wie sollte sie weiterleben, wenn nicht mal ihre geliebte Mama da war, um ihr über die schockierende Veränderung ihres Vaters hinwegzuhelfen?

      So vergingen für beide qualvolle Minuten. Fabian fehlte die Kraft zum Trösten. Er hatte ja nur immer Bewunderung und Liebe, nie selbst Trost gebraucht. Woher sollte er wissen, was ein Mensch in der schwersten Stunde seines Lebens brauchte? Er sah immer nur sich selbst. Wäre Annalena in der Nähe gewesen, hätte er ihr sogar Vorwürfe gemacht. Warum hatte sie ihn in diese Situation gebracht, die ihn doch völlig überforderte?

      Claudias Atem bebte. Sie konnte ihn nicht länger anhalten. Und dann nahm sie die Arme vom Gesicht und sah ihn mit einem leeren Blick an.

      Fabian erschrak. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß dieser Blick nie wieder von kindlicher Unbekümmertheit und schalkhafter Lebensfreude erfüllt sein würde. Das brachte ihn zur Besinnung.

      »Papa«, flüsterte Claudia in diesem Moment mit tränenerstickter Stimme. »Ist Mama jetzt im Himmel?«

      Er zuckte zusammen. Was war denn das für eine Frage? Wie konnte Claudia daran zweifeln?

      »Ja, selbstverständlich ist sie im Himmel. Ganz gewiß.«

      »Und wenn nicht, wo ist sie dann?«

      Er räusperte sich. Eine schluchzende Claudia hätte er an sich ziehen könne, bist sie sich beruhigte. Aber wie sollte er ihre Fragen beantworten? Was ging nur in ihr vor?

      »Unsere Mama war die beste Frau und Mutter der Welt. Der liebe Gott wird sie mit offenen Armen in sein Reich aufgenommen haben.«

      Es vergingen einige Sekunden, in denen Claudia seine Worte auf sich wirken ließ. Sie erkannte, daß ihr Vater nichts wußte und nichts begriff. Unwillkürlich atmete sie auf, was ihr wieder Schmerzen bereitete, so daß sie ihr Gesicht verzog. Das deutete Fabian falsch.

      »Deine Mama war ja nicht nur bildschön, mein Liebling. Sie hatte ein großes Herz und eine Seele voller Liebe. Ihre ganze Liebe galt dir und mir. Durch ihre Zärtlichkeit und ihr Mitgefühl brachte sie Sonne in unser Leben. Ja, mehr noch. Sie war unser Leben. Ohne sie hätte ich nicht die Kraft für meine Arbeit gefunden, und du wärst nicht ein so glückliches Kind.«

      Claudia war kein glückliches Kind. In diesen Minuten konnte sie sich nicht mal daran erinnern, jemals glücklich gewesen zu sein. Das Wissen um Annalenas Pläne bedrückte sie viel zu sehr. Sie schloß die Augen und sah Wolfgang Bosch vor sich. Und damit holte sie die jüngere Vergangenheit mit überwältigender Macht ein.

      »Papa, Mama hat…«

      Sie keuchte, so strengte sie jedes Wort an.

      »Sprich nicht, mein Liebling. Ich weiß doch, Mama hat uns ihre ganze Liebe gegeben. Sie hat sich so auf die Zeit im Haus an der Adria gefreut. Uns beide um sich zu haben, war ihr größtes Glück. Seit Wochen malte sie uns doch aus, wie wunderbar es sein würde, wenn ich euch besuche.«

      Claudias Rechte zitterte, als sie sie erhob, um das Gesicht ihres Vaters zu berühren. Seine Wange kratzte, er hatte sich seit Tagen nicht mehr rasiert. Und doch fühlte sie die Wärme seiner Haut. Aber seltsam – er saß hier an ihrem Bett wie ein kleiner Junge, der die Welt noch gar nicht verstehen wollte.

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