Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter
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Und weil die Rätin Heidling Dortes Hoffnungen teilte, ja, weil im Grunde diese öffentliche Anerkennung der Herrin ebensoviel Ehre brachte, als der Dienerin, darum behielt sie sie geduldig im Haus, obwohl Dorte sich durchaus nicht geneigt erwies, Agathe Einblicke in ihre Kunst zu gestatten.
Konnte Agathe von Dorte nichts lernen, so nahm sie sich desto eifriger der Erziehung des kleinen Hausmädchens an, welches mit ihr zusammen konfirmiert worden war. Pastor Kandler hatte ihr die Verantwortung für das unverdorbene Landkind warm ans Herz gelegt. Sie gab also Wiesing Groterjahn am Sonntag Nachmittag Geschichten von Frommel und Marie Nathusius zu lesen, und hielt ihr kleine moralische Vorträge über die Schädlichkeit und die Gefahren der Tanzböden. Während Frau Regierungsrat es passender fand, das Mädchen Luise zu rufen, obwohl dem heimwehkranken Kinde anfangs jedes Mal die Tränen in die Augen schossen, nannte Agathe sie nach wie vor mit der traulichen Abkürzung »Wiesing«. Nahmen sie zusammen eine Arbeit vor, so unterhielt sie sich freundlich mit Wiesing und suchte ihr begreiflich zu machen, wie gut es für sie sei, in einem Hause zu dienen, wo keine Sorge und nichts von dem Elend, welches die Arbeiterinnen in Fabriken erwarte, an sie herantreten könne. Es bekümmerte Agathe zuweilen, dass trotz ihrer liebreichen Bemühungen Wiesing ihr kein rechtes Vertrauen zu schenken schien.
»Die Mädchen betrachten Euch als ihre natürlichen Feinde, und im Grunde haben sie recht darin«, hatte Martin einmal gesagt. Das konnte Agathe doch nicht verstehen.
Indessen interessierte sie sich nach und nach weit mehr für ihren imaginären Geliebten, als für die Seelenbildung des Hausmädchens, und bekümmerte sich nur noch um sie, wenn diese ihre Dienste brauchte.
»Fräulein«, sagte Wiesing eines Morgens, als sie Agathe warmes Wasser in ihr Schlafzimmer brachte, und dabei stand sie mit gesenkten Augen, »an meiner Tür is kein Riegel, könnte da nicht einer angemacht werden?«
»Ja – hast Du denn keinen Schlüssel?«
»Den hat der junge Herr abgezogen«, stotterte Wiesing.
»Der junge Herr? Was ist denn das für dummes Zeug! Du hast ihn sicher verloren!«
»Ne, Frölen!«
»Lüge nicht, Wiesing. Als ob Du jemals sagen würdest, wenn Du etwas zerbrochen oder verloren hast!«
»Ne, Frölen – ach mien leiwer Gott – ick wet mie jo gor nich mehr tau helpen!«
»Ich verstehe Dich gar nicht. Was willst Du denn – so rede doch hochdeutsch«, sagte Agathe ungeduldig und goss das warme Wasser in ihre Waschschüssel.
»De junge Herr – seggen Se man nix tau de Fru Regierungsräten – ik hew jo da ok nix von seggt, un Dorte die seggt, ik redte mir das man bloß ein!«
Das runde, kindische Gesicht des Mädchens verschwand in ihrer weißen Schürze, sie schluchzte erbärmlich.
Agathe sah sie erstaunt an. Plötzlich wurde sie dunkelrot.
»Walter hat Dich wohl nur erschrecken wollen«, sagte sie leise. »Ich will ihm sagen, dass Du solche Späße nicht magst!«
Wiesing hob das nasse Gesicht und sah Agathe mit verstörten blauen Augen hilflos an. »Fräulein – das war ja wull kein Spaß!«
»Ach, was denn sonst. Du dummes Ding. Denkst Du denn … mein Bruder ist ja verlobt!«
»Det hew ik den jungen Herrn ok seggt, he sullt sich de Sünd’ schämen, hew ik seggt. He wull un wull nich hören … Frölen, wenn he wieder kimmt – ik wet mie nich tau helpen!«
»Wieder kommt?« fragte Agathe, wie in einem beängstigenden Traum erstarrend. »Wo hat er Dir das gesagt?«
»In mien lütt’ Kammer.«
»Luise, Du lügst«, schrie Agathe zornig.
Das Mädchen schluchzte nur noch heftiger.
Agathe ging von ihr fort, an das andere Ende des Zimmers.
»Mein Gott – mein Gott!« stammelte sie nach einer Weile und wand die Hände in einander.
»Wiesing, wir wollen Mama nichts sagen«, flüsterte sie, ihre Tränen strömten dabei. »Mama könnte das nicht ertragen, sie ist ohnehin so kränklich – und sie hat Walter so lieb!«
»Jo Frölen!«
»Du musst aus dem Haus, Wiesing.«
»Jo Frölen!«
»Wie fangen wir das nur an?«
Wiesing antwortete nicht.
»Ich muss mit Walter reden. Mein Gott – das kann ich ja nicht – das kann ich ja nicht – Was ist denn nur über ihn gekommen!«
»So’n fiener jung’ Herr«, sagte Wiesing nachdenklich und trocknete sich die Augen.
»Zum Donnerwetter! wo sind nur meine Stiefel wieder! Luise!« rief Walter im Flur.
Die beiden Mädchen schraken zusammen und blickten sich erschrocken an.
»Er hat doch seinen Burschen zur Bedienung«, murmelte Agathe.
»Luise!« scholl des Lieutenants grollende Stimme aufs Neue über den Flur. Das kleine Hausmädchen lief in der Gewohnheit des Gehorsams hinaus.
Agathe horchte, mit einem Gefühl, als seien ihr die Glieder abgestorben, was draußen zwischen den beiden vor sich ging.
Walter sagte jedoch nur kurz und scharf: »Luise, rufen Sie mir den Burschen.« Wiesing antwortete mit ihrem mühsamen Hochdeutsch: »Ja, Herr Lieutenant.« Da war es Agathe plötzlich, als habe sie das eben Gehörte alles nur geträumt.
So leicht ging es doch nicht, sich darüber hinwegzusetzen.
Jetzt musste sie überlegen, ohne mit Rat unterstützt