Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gabriele Reuter – Gesammelte Werke - Gabriele Reuter страница 25
Frau von Woszenska hatte ihr Atelier in der Wohnung, um neben der Kunst den Haushalt überwachen zu können. Sie malte lustige Schulmädchen und blonde Kinder, die einen schwarzen Pudel abrichten. Damit verdiente sie das tägliche Brot und für ihren Gatten die Muße, die er zu seinen großen, unverkäuflichen Werken brauchte.
Nachdem die robuste Dienstmagd Agathes Koffer heraufgetragen und noch einmal Kohlen in den Ofen geschaufelt hatte, legte sie ihr Kleid ab und schälte aus dem berußten Baumwollenstoff ein Paar prachtvolle Schultern und Arme. Sie setzte sich auf ein erhöhtes Podium, Frau von Woszenska zeichnete ernst und eifrig. Agathe stickte eine Decke für Mama und wunderte sich dabei über die Situation im Allgemeinen und im Besonderen über die seltsamen Grimassen, die Frau von Woszenska bei der Arbeit ein unbewusstes Bedürfnis zu sein schienen.
Sie nannte Agathe sofort mit dem Vornamen und »Du«. Auf diese Weise gab sie ihr gleich ein Heimatsgefühl.
Der kleine Sohn Michel kam aus der Schule. Er sah blass und müde aus. Frau von Woszenska schimpfte auf die verrückten Schuleinrichtungen. Sie schnarrte das doppelte »R« so eindrucksvoll, dass der Laut förmlich eine pathetische Bedeutung von Zorn und Leidenschaft erhielt.
Die Köchin hatte ihre Götter-Schultern schon vorher wieder in blauen Gingan gehüllt und brachte dem Kleinen die Suppe. Michael reckte seine dünnen Glieder auf dem Stuhl vor dem Teller und ließ die Winkel seines eingeknifften Mündchens hängen. Er hatte keinen Appetit.
»Das Kind isst wieder nicht … Einem sein Kind in solchem Zustand nach Haus zu schicken!« murmelte Frau von Woszenska. Sie versprach Michel, wenn er essen wolle, zur Belohnung »die traurige Ziegenfratze« oder »die lustige Mohrenfratze«. Die Orang-Utangfratze, erzählte sie Agathe, dürfe sie nur machen, wenn es Kas nicht sehe – die wäre ihm zu unästhetisch.
»Mutter – jetzt hab’ ich ’ne närrische«, sagte Michel, »– – weißt Du, wie unser Klassenlehrer macht, wenn er Fliegen aus den Tintenfässern fischt?«
Der Junge nahm ein Stückchen Brot, holte Reisbröckchen aus seiner Bouillon, schleuderte sie fort und murmelte ingrimmig:
»So ’ne Schweinerei – nee, so ’ne Schweinerei!« Er brachte den Eifer und den Ekel eines vertrockneten Gymnasiallehrer-Gesichtes in erstaunlicherweise zur Darstellung.
Seine Mutter und Agathe lachten laut auf. Frau von Woszenska schüttelte sich vor Vergnügen, in ihren Augen funkelte eine wilde Rachebefriedigung.
»Famos, Michel! Noch mal! Das muss ich auch lernen!«
Michels erschlaffte kleine Züge röteten sich, während er und seine Mutter die neue Fratze probierten. »Du kannst’s, Du kannst’s!« schrie er begeistert. »Jetzt esse ich auch meine Suppe!«
Sich an der Dummheit, der Trivialität, der Hässlichkeit wie an einem seltsamen Genusse zu ergötzen – das war die Weise, in der die drei verfeinerten Menschen sich gegen diese Gewalten wehrten, wodurch sie sich Freiheit und geistreichen Frohsinn bewahrten.
Nannte Woszenski seine Frau bei ihrem Vornamen, so fand er es entzückend, dass die ungewöhnliche Person, deren Bewegungen an ein japanisches Götzenbild erinnerten, welches kurzes, krauses, nach allen Seiten davonstarrendes Negerhaar besaß und grelle aufgeregte Augen – dass sie gerade »Mariechen« heißen musste. Der Gegensatz, den ihr scharfes Organ und ihr Leipziger Dialekt zu seinem gewählten, leicht von ausländischem Akzent berührten Deutsch bildete, hatte vielleicht auf den Entschluss, sie zu heiraten, eingewirkt, als ein subtiler und närrischer Reiz. Ihm waren die gesellschaftlichen und künstlerischen Verhältnisse der Gegenwart so zuwider gewesen, dass er verwundet und ermattet allem den Rücken gekehrt und sich bei einem Einsiedler auf Capri in Kost und Wohnung gegeben hatte, als dem einzigen Menschen, der seinen Nerven nicht unerträglich wurde. Bis Mariechen kam und ihn sich durch ihren sieghaften Humor in die Welt zurück holte.
Am Abend, während das Ehepaar mit dem jungen Gast in ihrem Wohnzimmer saß, von dessen Decke eine Messing-Lampe aus einer Synagoge niederhing, wo lebensgroße buntbemalte Kirchenheilige an den Wänden lehnten und über den gefalteten Händen Fetzen von japanischer Seide trugen, begann Herr von Woszenski aus jener Zeit zu erzählen. Er war in einem alten Pelzrock gewickelt, auf dessen Schultern sein langes, schon ergrauendes Haar Spuren gelassen hatte. Seine ausdrucksvolle Künstlerhand liebkoste den wirren Bart, und er rauchte unzählige Zigaretten, während er mit leiser bedeckter Stimme sprach.
Bei Pagano war ein junger Maler gestorben. Er und ein paar andere hatten seine Leiche zum Festland hinübergerudert … »Das Meer glänzte still im frühen Morgenlicht wie so eine kostbare Perlmutterschale – und auf der grauen Flur trieb ein großer Strauß blassroter Rosen an uns vorüber – wir sahen sie immer auf- und niederschwanken, mit der Bewegung der Wellen. Und der schwarze Sarg im Boot war ganz bedeckt mit Rosen …«
*
Agathe lag lange wach auf dem ungewohnten Lager, in dem ihr noch fremden Raum.
Sie hörte das Murren der Wogen zwischen Capri und Neapel – sie sah die Rosen auf der silbernen Flut … Blutroter Sammet strömte über den Hochaltar, Engelsköpfe umgaukelten sie … Und ein Sturmwind vom Himmel schauerte durch ihre Seele.
*
»Das Kind soll die alte Hauptmann Gärtner besuchen, ihre Mutter kennt sie von früher. Ich will Mittag mit ihr hingehen. Du könntest ’mal bei Lutz vorsprechen, Kas. Wir treffen uns dann.« So bestimmte Frau von Woszenska das Programm des Tages.
Agathe verspürte Lust, sich zu putzen. Sie nahm ihren neuen Rembrandtut aus dem Koffer. Der Hut stand ihr reizend. Papa hatte ihn zu auffallend gefunden, aber Mama hat gemeint, für die Künstlerstadt wäre so etwas gerade das Richtige. Doch Frau von Woszenska trug sich sehr einfach – beinahe schäbig sah sie aus in ihrer schwarzen Trikotbluse.
Nein – Agathe genierte sich … Frau von Woszenska würde sie für eine oberflächliche, eitle Fliege halten. Und