Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter

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Gabriele Reuter – Gesammelte Werke - Gabriele Reuter Gesammelte Werke bei Null Papier

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als wäre sie ein Bild, nicht ein le­ben­di­ger Mensch, der ei­tel wer­den konn­te. – – Merk­wür­dig lau war die Luft, ihre Win­ter­ja­cke wur­de Aga­the viel zu warm. Sie knöpf­te sie auf, denn sie hat­te schon so eine Freu­de, dass man sich hier in dem stil­len al­ten Städt­chen und bei Wo­szens­kis mehr ge­hen las­sen konn­te als zu Haus, wo man fort­wäh­rend Rück­sicht auf Pa­pas Stel­lung neh­men muss­te.

      Wäh­rend des Be­su­ches saß sie nach ei­ni­gen von ihr be­ant­wor­te­ten Fra­gen still und hör­te auf Frau von Wo­szens­kas Ge­spräch mit der al­ten Dame. Al­les, was Frau von Wo­szens­ka sag­te, war Aga­the span­nend und merk­wür­dig, wenn sie auch nur, wie eben jetzt, von Dienst­bo­ten sprach.

      »… Ja – ich woll­te mal ’ne So­li­de ha­ben. … Eine So­li­de!! sage ich zu Kas. Da neh­men wir eine, die ’n Kropf hat …«

      Das »R« wur­de mit Lei­den­schaft ge­schnarrt. »Und een’ Bu­ckel! Ei­nen or­dent­li­chen Bu­ckel! – So. – Am ers­ten Sonn­tag kommt das Frau­en­zim­mer: ist zum Mau­rer­ball ein­ge­la­den. Willst Du nicht vor­her es­sen? fra­ge ich. Da stellt sie sich vor mich hin und sagt so ganz von oben – von oben her­ab – über den Kropf weg: Ich dan­ke – die Her­ren trak­tie­ren! – Nun habe ich aber eine Schö­ne! Die kann ich doch zum Mo­dell brau­chen!« Laut und tri­um­phie­rend schlug sie auf den Tisch.

      Die Haupt­mann Gärt­ner mach­te ein Ge­sicht, als tue man ihr weh. Sie be­merk­te mit schwa­chem Lä­cheln, eine be­son­de­re Schön­heit kön­ne sie an Wo­szens­kis jet­zi­ger Kö­chin nicht fin­den – aber Künst­ler wä­ren in al­lem so ori­gi­nell.

      Frau von Wo­szens­ka grins­te mit der lus­ti­gen Moh­ren­frat­ze zu Aga­the hin­über. Sie ver­ab­schie­de­te sich höf­lich und ver­si­cher­te, ihr Mann war­te schon un­ten auf sie.

      Er kam aus der hö­he­ren Eta­ge und traf mit ih­nen auf der Trep­pe zu­sam­men.

      »Da hab’ ich ja nicht ’mal ge­lo­gen!« rief die Ma­le­rin.

      »Kommt doch einen Au­gen­blick her­auf, Lutz möch­te Dir sein Bild zei­gen. Das Ate­lier wird Fräu­lein Aga­the auch in­ter­es­sie­ren«, sag­te Wo­szen­ski.

      »Sie wird sich doch nicht ver­lie­ben?« flüs­ter­te Frau von Wo­szens­ka und mach­te stren­ge Au­gen. »Kind – lass das lie­ber – der da oben ist nichts für Dich.«

      Aga­the lä­chel­te, sie dach­te an Lord By­ron.

      Ein jun­ger Mann hielt den Vor­hang, durch den sie ein­tre­ten soll­ten, zu­rück und nahm den Hut ab. Er war schon zum Fort­ge­hen ge­rüs­tet und trug Über­schu­he, die für sei­ne schma­le, dürf­ti­ge Fi­gur viel zu groß und plump er­schie­nen. Die Be­we­gung, mit der er grüß­te und hin­ter sei­nen drei Gäs­ten den al­ten Go­be­lin fal­len ließ, war von ei­gen­tüm­lich zar­ter, lie­bens­wür­di­ger An­mut.

      X.

      Als Aga­the in ihr Gast­zim­mer­chen bei Wo­szens­kis zu­rück­kehr­te, schloss sie ei­lig die Tür hin­ter sich.

      Sie blieb einen Au­gen­blick ste­hen, sah er­staunt und ver­wirrt um­her. Plötz­lich fiel sie vor dem Bett auf die Knie, drück­te ih­ren Kopf in die Arme und blieb so eine lan­ge Wei­le, das Ge­sicht in den wei­ßen De­cken ver­bor­gen, ohne sich zu re­gen. Sie wein­te nicht. Ein hef­ti­ges, an­hal­ten­des Zit­tern lief durch ih­ren Kör­per. Dann war es, als ob die Luft ihr feh­le. Sie warf den Kopf in den Na­cken und blick­te mit ge­öff­ne­ten, be­ben­den Lip­pen em­por.

      »Ach Gott! Ach Gott – ach mein lie­ber Gott!«

      Un­ge­dul­dig zerr­te sie die Hand­schu­he ab, sprang auf, schleu­der­te ihre Müt­ze, ihre Ja­cke von sich und lief plan­los, die Au­gen mit Trä­nen ge­füllt, in dem en­gen Raum um­her.

      Sie blieb ste­hen …

      … Wie eine Er­schei­nung sah sie das Pro­fil – die Li­ni­en sei­nes Kop­fes vor sich in der Luft.

      All­mäh­lich er­blüh­te aus der Qual in ih­rem Ant­litz ein Lä­cheln, ein trun­ke­nes Leuch­ten der Au­gen. Tief aus der Brust rang sich seuf­zend der Atem, die Trä­nen quol­len und ran­nen klar über die glut­hei­ßen Wan­gen. Das Mäd­chen fal­te­te die Hän­de und sprach lei­se, fei­er­lich:

      »Ich lie­be ihn.«

      Er­schöpft saß sie auf dem Rand ih­res La­gers, press­te die ge­fal­te­ten Hän­de ge­gen die Brust und wie­der­hol­te ent­zückt:

      »Ich hab’ ihn lieb – ich hab’ ihn lieb …«

      So ver­sank sie in Träu­me. Wie war nur al­les ge­we­sen? – sie er­in­ner­te sich nicht mehr, was er mit ihr ge­spro­chen … Wie er den klei­nen schwar­zen Hut von dem hel­len Kopf ge­nom­men und ihr sei­nen Blick zu­ge­wandt – das wuss­te sie noch. Ja – hell und zart – mit sei­nen schlan­ken For­men, ein we­nig blass und müde um die Au­gen – so trat sei­ne Er­schei­nung wie hin­ter einen leich­ten Ne­bel, der al­les nur un­deut­lich er­ken­nen ließ, vor ihre Fan­ta­sie.

      Sie hat­ten we­ni­ge Wor­te ge­wech­selt – er re­de­te mit Frau von Wo­szens­ka über sei­ne be­gon­ne­ne Ar­beit. Da ge­brauch­ten sie Aus­drücke, die Aga­the fremd wa­ren, die auch ihr Va­ter nie­mals be­nutz­te, wenn er über die Kunst sprach. Und sie mach­ten mit Hän­den und Fin­gern an­deu­ten­de, zeich­nen­de und fort­wi­schen­de Be­we­gun­gen in der Luft. Frau von Wo­szens­ka rühr­te an bun­te Stof­fe, die auf ei­nem weiß­la­ckier­ten Tisch­chen la­gen, und ent­schul­dig­te sich ernst­haft, als habe sie eine große Rück­sichts­lo­sig­keit be­gan­gen. Er lä­chel­te und be­merk­te, das habe nichts auf sich. Er hob einen der Stof­fe in die Höhe und lieb­kos­te ihn gleich­sam mit sei­nen un­ru­hi­gen Hän­den – eine wei­che, wei­ße, tür­ki­sche Sei­de von küh­len, blau­grü­nen Strei­fen durch­zo­gen. Sie war auf dem Bil­de wie­der­ge­ge­ben, ein bron­ze­ner Amor sprang aus ih­ren Fal­ten.

      Aga­the wag­te zu sa­gen, sie möge Still­le­ben nicht lei­den – aber die­se Idee wäre lus­tig.

      Da sah er sie noch ein­mal schnell und flüch­tig an. »Ja? – Mei­nen Sie? Ich den­ke auch.«

      Sie hör­te, dass er Herrn von Wo­szen­ski »mein Freund Ham­let« nann­te und ihm riet, nach Mün­chen zu zie­hen. Hier wür­de er kein Mo­dell zu der Non­ne fin­den. »Das Nai­ve ist hier im­mer gleich roh!«

      Schüch­tern hat­te Aga­the sich in dem Ate­lier um­ge­se­hen. Eine klei­ne Chai­se­longue mit blau­em Sei­den­plüsch be­zo­gen – Kis­sen von ver­blass­tem, blu­men­durch­wirk­tem Da­mast auf gra­zi­ös ge­schweif­ten Stüh­len – al­les an­de­re war ein Ge­wirr von wei­chen, ein­schmei­cheln­den Far­ben – For­men – Stof­fen – Dun­kel­hei­ten, die durch alte Ra­die­run­gen und Bron­zen in die lich­te Ele­ganz ge­bracht wur­den. Die Ein­rich­tung un­ter­schied sich stark von dem her­ben Künstl­er­ge­schmack, der bei Wo­szen­ski

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