Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter

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Gabriele Reuter – Gesammelte Werke - Gabriele Reuter Gesammelte Werke bei Null Papier

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des Herrn tre­ten las­sen. So stand denn Aga­the um­ge­ben von all de­nen, die ihr die nächs­ten wa­ren auf die­ser Welt.

      Gleich­gül­tig sa­hen die mür­ri­schen al­ten Bau­ern, die schläf­ri­gen Knech­te, voll Neu­gier aber die Päch­ter- und Taglöh­ner­frau­en dem Ge­ba­ren der Frem­den zu. Der statt­li­che Herr mit dem Or­den, der den ho­hen Hut im Arm trug, konn­te eine Be­we­gung in sei­nen Zü­gen trotz der wür­de­vol­len Hal­tung nicht ver­ber­gen. Er wand­te sei­nen Kopf zur Sei­te, um mit der Fin­ger­spit­ze eine leich­te Feuch­tig­keit von den Wim­pern zu ent­fer­nen. Das ver­merk­ten die Frau­en mit Ge­nug­tu­ung. Und dann weck­te das schwar­ze At­las­kleid und der Spit­ze­num­hang der Mut­ter lei­se ge­raun­te Be­wun­de­rung. Die Re­gie­rungs­rä­tin selbst je­doch hat­te die Emp­fin­dung, ihr Kleid wir­ke auf­dring­lich in die­ser be­schei­de­nen Um­ge­bung, und als sie zum Al­tar trat, hielt sie die Schlep­pe ängst­lich und ver­le­gen an sich ge­drückt, da­bei wein­te sie und seufz­te von Zeit zu Zeit tief und schmerz­lich. Als die Ge­mein­de den letz­ten Vers sang, stahlen sich ihre Fin­ger nach Aga­thes Hand und drück­ten sie krampf­haft. Kaum war der Got­tes­dienst zu Ende, so um­arm­te Frau Heid­ling ihre Toch­ter mit ei­ner Art von kum­mer­vol­ler Lei­den­schaft, die we­nig für die Ge­le­gen­heit zu pas­sen schi­en, und mur­mel­te meh­re­re Mal un­ter Trä­nen: mein Kind, mein sü­ßes, ge­lieb­tes Kind! – ohne mit ih­rem Se­gens­wunsch zu Ende ge­lan­gen zu kön­nen.

      Doch die be­weg­te Mut­ter durf­te das Kind nicht an ih­rem Her­zen be­hal­ten. Der Va­ter ver­lang­te nach ihr, On­kel Gu­stav, Bru­der Wal­ter, Frau Pas­tor Kand­ler – alle woll­ten ihre Glück­wün­sche dar­brin­gen. Ein je­der gab da­bei noch an der Kirch­tür dem Mäd­chen ein we­nig An­lei­tung, wie sie sich dem kom­men­den Le­ben ge­gen­über als er­wach­se­ner Mensch zu ver­hal­ten habe.

      Sie hör­te mit ver­klär­tem Lä­cheln auf dem ver­wein­ten Ge­sicht­chen alle die gol­de­nen Wor­te der Lie­be, der äl­te­ren Weis­heit. So schwach fühl­te sie sich, so hilfs­be­dürf­tig und so be­reit, je­der­mann zu Wil­len zu sein, al­les zu be­glücken, was in ihre Nähe kam. Sie war ja selbst jetzt so glück­lich!

      Ihr Bru­der, der Abi­tu­ri­ent, lief auf­merk­sam noch­mals in die Kir­che zu­rück, ihr ver­ges­se­nes Bou­quet zu ho­len, wäh­rend alle an­de­ren sich auf den Weg zum Pfarr­haus be­ga­ben. Aga­the war­te­te auf ihn, sah ihn dank­bar an und leg­te den Arm in den sei­nen. So folg­ten sie den El­tern.

      »Ver­zei­he mir auch alle mei­ne Un­ge­fäl­lig­kei­ten«, mur­mel­te Aga­the de­mü­tig dem Abi­tu­ri­en­ten zu. Wal­ter er­rö­te­te und brumm­te et­was Un­ver­ständ­li­ches, in­dem er sich vor Ver­le­gen­heit von der Schwes­ter los­riss.

      »Na, Jo­chen, – was macht der Brau­ne?« schrie er dem Pas­tors­kut­scher zu, setz­te mit An­lauf und ge­schick­tem Tur­ner­sprung über einen auf dem son­nen­be­glänz­ten Hof ste­hen­den Pflug hin­weg und ver­schwand mit Jo­chen in der Stall­tür. Aga­the ging al­lein ins Haus. Es wa­ren ei­ni­ge Pa­ke­te für sie ge­kom­men, die man ihr vor­ent­hal­ten hat­te, um sie am Mor­gen vor der hei­li­gen Hand­lung nicht zu zer­streu­en. Nur das schö­ne Kreuz an fei­ner gol­de­ner Ket­te hat­te Papa ihr beim Früh­stück um den Hals ge­legt. Jetzt durf­te sie sich wohl schon ein we­nig der Neu­gier auf die Ge­schen­ke von Ver­wand­ten und Freun­din­nen hin­ge­ben.

      In der nied­ri­gen, an die­sem Früh­lings­ta­ge noch et­was kel­le­rig-küh­len gu­ten Stu­be des Pfarr­hau­ses er­quick­ten sich die Er­wach­se­nen an Wein und klei­nen But­ter­bröt­chen. Aga­the ver­spür­te kei­nen Hun­ger. Sie setz­te sich eif­rig mit ih­ren Pa­ke­ten auf den Tep­pich, riss an den Sie­geln, schlug sich mit den Pack­pa­pie­ren her­um. Ihre Wan­gen brann­ten glü­hen­d­rot, die Fin­ger zit­ter­ten ihr.

      »Aber, Aga­the, zer­schnei­de doch nicht all die gu­ten Bind­fa­den«, mahn­te ihre Mut­ter. »Wie Du im­mer hef­tig bist!«

      »Wenn ein Mäd­chen ge­dul­dig Kno­ten lö­sen kann, so be­kommt es einen gu­ten Mann«, er­gänz­te die Pas­to­rin aus dem Ne­ben­zim­mer, wo der Ess­tisch ge­deckt wur­de.

      »Ach, ich will gar kei­nen Mann!« rief Aga­the lus­tig, und ritsch – ratsch flo­gen die Hül­len her­un­ter.

      »Na – ver­schwör’s nicht, Mä­del«, sag­te der di­cke On­kel Gu­stav und guck­te mit lis­ti­gem Lä­cheln hin­ter sei­nem Gläs­chen Mar­sa­la her­vor. »Von heu­te ab musst Du ernst­lich an sol­che Sa­chen den­ken.«

      »Das woll­t’ ich mir ver­be­ten ha­ben«, fiel die Re­gie­rungs­rä­tin ihm ins Wort; den Ton durch­klang das Sie­ges­be­wusst­sein, wel­ches die Müt­ter sehr jun­ger Töch­ter er­füllt: Kommt nur, ihr Frei­er ihr … hei­ra­ten soll mein Kind schon – aber wer von Euch ist ei­gent­lich gut ge­nug für sie?

      »Rückerts Lie­bes­früh­ling!« schrie Aga­the da plötz­lich laut auf und schwenk­te ein klei­nes ro­tes Bü­chel­chen so ent­zückt in der Luft, dass al­les um sie her in Ge­läch­ter aus­brach.

      »Zur Kon­fir­ma­ti­on? Et­was früh!« be­merk­te Papa ver­wun­dernd und ta­delnd.

      »Ge­wiss von Eu­ge­nie?« frag­te die Re­gie­rungs­rä­tin; sie ant­wor­te­te sich selbst: »Na­tür­lich – das ist ganz wie Eu­ge­nie.«

      In­zwi­schen kam der In­halt ei­nes zwei­ten Pa­ke­tes zu Tage.

      »Geroks Palm­blät­ter – von der gu­ten Tan­te Mal­vi­ne«, be­rich­te­te Aga­the dies­mal ru­hi­ger mit an­däch­ti­ger Pie­tät.

      »Ach – das won­ni­ge Arm­band! Gera­de sol­ches hab’ ich mir ge­wünscht! Eine Per­le in der Mit­te! Nicht wahr, Mama, das ist doch echt Gold?« Sie leg­te es gleich um ihr Hand­ge­lenk. Knips! sprang das Sch­löss­chen zu.

      »– Und hier wie­der ein Buch! Der pracht­vol­le Ein­band! Des Wei­bes Le­ben und Wir­ken als Jung­frau, Gat­tin und Mut­ter … Von wem denn nur? Frau Prä­si­dent Dürn­heim. Wie freund­lich! – Nein, aber wie freund­lich! Sieh doch nur, Mama! Das Weib als Jung­frau, Gat­tin und Mut­ter mit Il­lus­tra­tio­nen von Paul Thu­mann und an­de­ren deut­schen Künst­lern!«

      »Nein – nein – wie ich mich aber freue!«

      Aga­the sprang mit ei­nem Satz vom Tep­pich auf und tanz­te vor aus­ge­las­se­nem Glück in der Stu­be zwi­schen den gel­ben und brau­nen Pa­pie­ren her­um; die lo­sen Löck­chen auf ih­rer Stirn, die Ket­te und das Kreuz auf ih­rer Brust, der Lie­bes­früh­ling und das Weib als Jung­frau, Gat­tin und Mut­ter, das sie bei­des zärt­lich an sich drück­te – al­les hüpf­te und tanz­te mit.

      Die er­wach­se­nen Leu­te auf dem Sofa und in den Lehn­stüh­len lä­chel­ten wie­der. Wie rei­zend sie war! Ach ja – die Ju­gend ist et­was Schö­nes!

      End­lich fiel Aga­the ganz au­ßer Atem bei ih­rer Mut­ter nie­der, warf ihr all ihre Schät­ze in den Schoß und rieb wie ein ver­gnüg­tes Hünd­chen den brau­nen Kopf an ih­rem Klei­de.

      »Ach

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