Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gabriele Reuter – Gesammelte Werke - Gabriele Reuter страница 7

Gabriele Reuter – Gesammelte Werke - Gabriele Reuter Gesammelte Werke bei Null Papier

Скачать книгу

schon eine fürch­ter­li­che Stel­le, und auf die war On­kel Kand­ler ge­wiss ge­ra­de ge­sto­ßen. Aber doch – es lag so eine Kühn­heit dar­in – und dann wur­de der lie­be Gott ja doch auch be­son­ders um Ver­zei­hung ge­be­ten. Das hat­te Aga­the im­mer sehr ge­fal­len in dem Lie­de.

      Aber so war es fort­wäh­rend: was ei­nem ge­fiel, dem muss­te man miss­trau­en.

      Sie blick­te fra­gend und zwei­felnd ge­ra­de in den hell­blau­en Früh­lings­him­mel hin­auf. Kein Wölk­chen zeig­te sich dar­an, er war un­end­lich hei­ter, und die Son­ne schi­en warm. Es gab noch fast kei­nen Schat­ten im Gar­ten, die gol­de­nen Strah­len konn­ten über­all durch die Baum­zwei­ge auf die Erde nie­der­tan­zen. Und das Sin­gen und Ju­beln der Vö­gel hör­te nicht auf.

      Scha­de, dass sie mor­gen nach der Stadt zu­rück muss­te, ge­ra­de nun es hier so rei­zend wur­de – täg­lich schö­ner! Seit ges­tern hat­te sich al­les schon wie­der ver­än­dert. Busch und Strauch tru­gen nicht mehr das Grau des Win­ters – wie durch­sich­ti­ge bun­te Schlei­er lag es über dem Ge­zweig. Trat man nä­her und beug­te sich her­zu, so sah man, dass die Far­ben­schlei­er aus tau­send und aber­tau­send klei­nen Knösp­chen zu­sam­men­ge­setzt wa­ren. Nein, aber wie süß! Aga­the ging von ei­nem zum an­de­ren. Dun­kel­rot schim­mer­te es an den knor­ri­gen Zwei­gen der Ap­fel­bäu­me, die sich über den Weg streck­ten, grün­weiß hoch oben an dem großen Birn­baum, und schne­eig glänz­te es schon von den lo­sen Zwei­gen der sau­ren Kir­schen. Bei den Kas­ta­ni­en streck­ten sich aus braunglän­zen­den kleb­ri­gen Kap­seln wol­li­ge grü­ne Händ­chen neu­gie­rig her­aus, und die Her­lit­ze war ganz in hel­les Gelb ge­taucht. Der Flie­der – die Hain­bu­che – je­des be­saß sei­ne ei­ge­ne Form, sei­ne be­son­de­re Far­be. Und das ent­fal­te­te sich hier still und fröh­lich in Son­nen­schein und Re­gen zu dem, was es wer­den soll­te und woll­te.

      Die Pflan­zen hat­ten es doch viel, viel bes­ser als die Men­schen, dach­te Aga­the seuf­zend. Nie­mand schalt sie – nie­mand war mit ih­nen un­zu­frie­den und gab ih­nen gute Ratschlä­ge. Die al­ten Stäm­me sa­hen dem Wach­sen ih­rer brau­nen, ro­ten und grü­nen Knos­pen­kin­der­chen ganz un­be­wegt und ru­hig zu. Ob es ih­nen wohl weh tat, wenn die Schne­cken, die Rau­pen und die In­sek­ten eine Men­ge von ih­nen zer­fra­ßen?

      Aga­the strei­chel­te lei­se die bor­ki­ge Rin­de des al­ten Ap­fel­bau­mes.

      Soll­ten die Vö­gel viel­leicht das Aus­schel­ten über­nom­men ha­ben? Das war eine ko­mi­sche Vor­stel­lung, Aga­the ki­cher­te ganz für sich al­lein dar­über. Ach be­wah­re – die Vö­gel hat­ten um die­se Zeit schon furcht­bar viel mit ih­rem großen Lie­bes­glück zu tun. Ob es wohl auch Vö­gel gab, die eine un­glück­li­che Lie­be hat­ten? Na ja – die Nach­ti­gall na­tür­lich! Üb­ri­gens – ganz ge­nau konn­ten das die Dich­ter auch nicht wis­sen.

      Ach – wäre sie doch lie­ber ein Vö­gel­chen ge­wor­den oder eine Blu­me!

      Auf ei­nem ganz schma­len Pfa­de ging Aga­the end­lich zum Mühl­teich hin­ab. Er lag am Ende des Gar­tens, der sich vom Hau­se her in sanf­ter Sen­kung bis zu ihm streck­te. Weil die Pas­tors­jun­gen be­stän­dig ins Was­ser ge­fal­len wa­ren, hat­te man den Weg zu­wach­sen las­sen. Aga­the muss­te die Ge­bü­sche aus­ein­an­der­bie­gen, um hin­durch zu schlüp­fen. Sie woll­te Ab­schied von dem Bänk­chen neh­men, das un­ten, heim­lich und trau­lich ver­steckt, am Ran­de des Wei­hers stand. Im ver­gan­ge­nen Herbst hat­te sie viel dort ge­ses­sen und ge­le­sen oder ge­träumt, auch in die­sem Früh­ling schon, in war­men Mit­tags­stun­den.

      Am lin­ken Ufer des stil­len Sees, der wei­ter hin­aus zu ei­nem sump­fi­gen Rohr­feld ver­lief, lag die Müh­le mit ih­rem über­hän­gen­den Stroh­dach und dem großen Rade. In der Bucht am Pfarr­gar­ten zeig­ten sich auf dem Was­ser klei­ne Nym­phä­en-Blät­ter. Im Herbst war es hier ganz be­deckt ge­we­sen von den grü­nen Tel­lern, und dar­über flirr­ten die Li­bel­len. Die schlei­mi­gen Stie­le der Pflan­zen dräng­ten sich so­gar durch die grau­en Plan­ken des zer­fal­le­nen Boo­tes, wel­ches dort im Was­ser faul­te.

      An­fangs heg­te Aga­the ro­man­ti­sche Träu­me über den al­ten Kahn: dass er drau­ßen in Sturm und Wel­len ge­dient – dass er das Meer ge­se­hen habe und an Fel­sen­klip­pen ge­schei­tert sei. Die klei­nen Pas­tors­jun­gen hat­ten sie aber mit die­ser Ge­schich­te aus­ge­lacht. Das Boot wäre im­mer schon auf dem Mühl­tei­che ge­we­sen, doch bei den vie­len Was­ser­pflan­zen und den Rohrs­ten­geln kön­ne man ja gar nicht fah­ren; da sei es durchs Stil­le­lie­gen all­mäh­lich ein so elen­des, nutz­lo­ses Wrack ge­wor­den. Nun konn­te Aga­the das Boot nicht mehr lei­den. Es stimm­te sie trau­rig. Ihre jun­ge Mäd­chen­fan­ta­sie wur­de be­wegt von un­be­stimm­ten Wün­schen nach Grö­ße und Er­ha­ben­heit. Sie dach­te gern an die Fer­ne – die Wei­te – die gren­zen­lo­se Frei­heit, wäh­rend sie an dem klei­nen Teich auf dem win­zi­gen Bänk­chen saß und sich ganz ru­hig ver­hal­ten muss­te, da­mit sie nicht um­schlug und da­mit die Bank nicht zer­brach, denn sie war auch schon recht morsch.

      Plötz­lich fiel Aga­the die Beich­te wie­der ein, die sie hat­te nie­der­schrei­ben und ih­rem Seel­sor­ger über­ge­ben müs­sen. Ihre Halb­heit und Unauf­rich­tig­keit … und nun wur­de es ihr zur Ge­wiss­heit, die Schuld des Un­frie­dens, der die­sen hei­li­gen Tag stör­te, lag in ihr sel­ber. Scham­voll be­küm­mert starr­te sie in das Was­ser, das auf der Ober­flä­che so klar und mit fröh­li­chen, klei­nen gol­de­nen Son­nen­blit­zen ge­schmückt er­schi­en und tief un­ten an­ge­füllt war mit den fau­len­den Über­res­ten der Ve­ge­ta­ti­on ver­gan­ge­ner Jah­re.

      II.

      Die Freund­schaft zwi­schen Aga­the Heid­ling und Eu­ge­nie Wu­trow be­stand schon sehr lan­ge – seit­dem sie ei­nes Mor­gens mit wei­ßen Schürz­chen und neu­en Ta­feln und Fi­bel­bü­chern zum ers­ten Mal in die Schu­le ge­bracht wur­den und ihre Plät­ze ne­ben­ein­an­der an­ge­wie­sen be­ka­men. Da hat­ten sie die Bon­bons aus ih­ren Zucker­dü­ten ge­tauscht, und nun wa­ren sie Freun­din­nen. Ihre bei­den Ma­mas schick­ten sie in die­se klei­ne vor­neh­me Pri­vat­schu­le, denn in der staat­li­chen hö­he­ren Töchter­schu­le ka­men doch im­mer­hin Kin­der von al­ler­lei Leu­ten zu­sam­men, und sie konn­ten leicht ein häss­li­ches Wort oder ge­wöhn­li­che Ma­nie­ren mit nach Haus brin­gen.

      Ent­we­der hol­te Aga­the die klei­ne Wu­trow zum Schul­weg ab, oder Eu­ge­nie klin­gel­te um drei­vier­tel auf acht Uhr bei Heid­lings, wozu sie sich auf die Ze­hen stel­len muss­te, bis Mama Heid­ling ein Strick­chen an den gel­ben Mes­sin­g­ring des Glo­cken­zu­ges band. Auch in ih­ren Frei­stun­den steck­ten die Mä­del­chen be­stän­dig zu­sam­men. Am liebs­ten war Aga­the bei Eu­ge­nie, dort blie­ben sie un­ge­stör­ter mit ih­ren Pup­pen und Bild­chen und Sei­den­flöck­chen, mit ih­ren Ge­heim­nis­sen und ih­rem end­lo­sen Ge­zwit­scher und Ge­ki­cher.

      Das große alte Kauf­manns­haus, wel­ches Eu­ge­nies El­tern ge­hör­te, barg eine Un­men­ge von Ecken und Win­keln, köst­lich zum Spie­len und um sich zu ver­ste­cken. Dunkle Kor­ri­do­re gab es da, in de­nen auch bei Tage ein­sa­me Gas­flam­men

Скачать книгу