Mami Staffel 1 – Familienroman. Gisela Reutling
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Читать онлайн книгу Mami Staffel 1 – Familienroman - Gisela Reutling страница 43
»Die Kinder«, stieß Pat hervor. Die Stimme war mehr ein Kreischen. Das völlig aufgelöste Gesicht weckte Panik in Marie-Luise.
»Was ist mit den Kindern?«
»Sie wurden entführt.« Sie hatte gar nicht bemerkt, daß Franziska aus dem Haus gekommen war. Sie schien sehr gefaßt.
Marie-Luise starrte sie an, als spräche sie in einer fremden Sprache zu ihr.
»Was heißt das?« flüsterte Marie-Luise, als wagte sie nicht, das Entsetzliche laut auszusprechen.
»Ja, sie wurden entführt!« Pat wimmerte und umklammerte Marie-Luises Hand noch fester, als erhoffte sie sich Kraft aus der Berührung.
»Es wurde gerade angerufen. Eine Männerstimme«, erklärte Franziska knapp, die zum Glück die Nerven nicht verlor. »Sie haben die Kinder entführt. Sie wären in Sicherheit, sagte der Mann. Aber nur, wenn wir uns genau an ihre Anweisungen halten. Keine Polizei. Sie wollen Geld und sie rufen wieder an.«
Ich träume das alles nur, dachte Marie-Luise verzweifelt. Eine Angst überströmte sie, für die es keinen Namen gab.
»Wir müssen Max verständigen«, wimmerte Pat. »Ich kann die Verantwortung nicht übernehmen. Was sollen wir nur tun? Müssen wir nicht sofort zur Polizei gehen? Woher sollen wir das Geld nehmen? Wie gut, daß Sie gekommen sind, Marie-Luise.«
Das Telefon schellte. Pat stand da, als wäre sie festgewachsen, als wäre sie nicht fähig, sich zu bewegen. Auch Franziska rührte sich nicht, sie sah nur Marie-Luise an.
Die stürzte schon ins Haus, sie riß den Hörer von der Gabel, meldete sich.
Die Stimme war natürlich verstellt, aber trotz des Dröhnens in ihren Ohren konnte Marie-Luise den Mann verstehen.
»Wer sind Sie?«
»Ich bin Marie-Luise Wagner. Sagen Sie Ihre Bedingungen.«
Er nannte eine Summe. »Den Kindern geschieht nichts, so lange Sie sich genau nach unserer Anweisung richten. Das Geld bringen Sie morgen früh zum See. Sie kennen den Platz. Sie haben mit den Kindern dort ein Picknick gehalten.«
Eine unheimliche Ruhe überkam Marie-Luise. Es war, als legte eine fremde Hand einen schützenden Mantel über sie. Es mußte auch eine fremde Macht sein, die ihr die Worte eingab.
»Jetzt hören Sie mir zu. Hören Sie sehr gut zu.« Marie-Luises Stimme klang hart, schneidend. »Ich hole alles Geld, was ich auf dem Konto habe. Ich fahre sofort los und dann komme ich zum See. Nicht morgen, heute. Sofort. Am Geld liegt mir nichts, das können Sie haben, aber ich warne Sie. Krümmen Sie den Kindern auch nur ein Haar, fügen Sie zu diesem Verbrechen noch ein anderes hinzu, denn gnade Ihnen Gott. Ich habe Freunde in der ganzen Welt. Ich werde nicht ruhen, bis ich Sie gefunden habe, und all meine Freunde, meine mächtigen, einflußreichen Freunde helfen mir dabei. Es gibt in der ganzen Welt nicht einen Winkel, in dem Sie sich verstecken können. Ich finde Sie.
Ihre einzige Chance ist, sich genau an meine, hören Sie, an meine Anweisung zu halten. Wenn es schnell geht, haben auch Sie die besten Chancen zu entkommen.
Ich fahre sofort los. Ich lege das Geld in eine Tasche und lege die Tasche unter den Eichenbaum. Er steht direkt am Weg. Aber ich bleiben neben der Tasche stehen, bis ich die Kinder sehe. Ich bin unbewaffnet, bin ich aber in einer Stunde nicht zurück, wird die Polizei alarmiert, und wir hetzen Sie wie einen Hasen.
Haben Sie alles verstanden? Werden Sie sich daran halten?«
Stille. Marie-Luise glaubte entsetzt, daß er aufgelegt hatte. Pat und Franziska standen da wie Gespenster.
»Ja. In einer Stunde?«
»Gut.«
»Und keine Polizei? Woher weiß ich, daß Sie die Wahrheit sagen?«
»Mein Wort muß Ihnen genügen. Außerdem bleibt Ihnen gar keine Wahl. Ihre einzige Chance ist die Schnelligkeit.«
»Aber kommen Sie allein.«
»Natürlich komme ich allein.«
Es klickte in der Leitung, dann legte auch sie den Hörer auf. Sie starrte auf ihre Hand, sie zitterte so sehr, als gehörte sie ihr gar nicht.
»Wollen Sie das wirklich tun?« flüsterte Franziska entsetzt. »Sie können sich doch unmöglich in diese Gefahr begeben.«
Die Zunge lag wie ein dicker, lebloser Stein Marie-Luises Mund, die Kehle war ihr so eng, daß sie kaum atmen konnte.
»Marie-Luise«, flüsterte Pat erstickt. Sie preßte die Hände vor ihren Mund, als hätte sie Angst zu schreien. »Ich muß Max erreichen.«
Sie war schon an der Tür, es war ein Wunder, daß die Beine ihr gehorchten.
»Nein«, rief sie leidenschaftlich. »Tun Sie das nicht. Er würde wie ein Irrsinniger nach Hause rasen. Warum sollen wir ihn in Panik versetzen. Der Mann hat Angst, das hörte ich genau an seiner Stimme. Diese Menschen sind Feiglinge, der Mann wird froh sein, wenn er die Sache hinter sich hat.«
Sie rannte durch den Garten, sie riß die Autotür beinahe aus den Angeln. Mit aufheulendem Motor brauste sie davon, daß die Vögel, die friedlich im Baum gehockt hatten, laut protestierend davonflogen.
»Wollen wir nicht doch die Polizei verständigen?« überlegte Franziska nervös. Natürlich hatte sie Angst um die Kinder, aber es wurmte sie auch, daß diese Marie-Luise den ganzen Ruhm ausschöpfen konnte, wenn die Sache glückte.
»Sie liebt die Kinder wirklich«, flüsterte Pat und hörte gar nicht, was die andere sagte. »Nur wer liebt, kann sich in eine solche Gefahr begeben. Ich habe ihr solches Unrecht getan.«
*
In der Sparkasse wurde Marie-Luise schnell bedient. Natürlich wollte der Kassierer, der sie gut kannte, wissen, ob etwas vorgefallen war.
»Ich will darüber nicht sprechen«, erklärte Marie-Luise mit steinernem Gesicht. Ohne Aufsehen zu erregen, stopfte sie das Geld in die Tasche und saß schon wieder im Wagen, bevor der Mann hinter dem Schalter richtig Luft bekommen hatte.
Sie fuhr schnell, aber konzentriert. Du kannst dir keinen Unfall leisten, hämmerte sie sich ein. Nimm dich zusammen, Disziplin ist alles.
Sie erreichte den Wald, sie hatte keinen trockenen Faden am Körper, und doch war sie äußerlich vollkommen ruhig. Hier auf dem Platz hatte sie mit den Kindern gesessen und Trudes Picknickkorb leergefuttert. Hier hatten sie gespielt und über jede alberne Kleinigkeit gelacht.
Wie totenstill es war. In den Wipfeln der Bäume wisperte der Wind, es klang, als raunten Gespenster. Die Sonne hatte sich hinter einem Wolkenberg versteckt. Unheimlich, unbeweglich, wie feindliche Krieger standen die hohen Bäume in ihrem eigenen Schatten. Sogar die Vögel gaben keinen Laut von sich.
Marie-Luise stand einen Augenblick unbeweglich. Natürlich hatte sie Angst, große Angst sogar. Aber die Angst um die Kinder war größer als die Angst um sich selbst.
Sie legte die Tasche unter den Baum, etwas streifte ihre Wange, sie zuckte zusammen und hätte beinahe aufgeschrien. Aber es war nur ein Zweig.