Ardistan und Dschinnistan. Karl May

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Ardistan und Dschinnistan - Karl May

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style="font-size:15px;">      »Einen Lehrer eigentlich nicht,« antwortete er. »Weißt Du, was ein Hamaïl ist?«

      »Ja. Das ist ein Kuran, der aus Mekka stammt und den man als Andenken an die Pilgerfahrt nach dieser heiligen Stadt an einer Schnur um den Hals trägt.« Daß ich selbst einen hatte, sagte ich ihm nicht.

      »Das ist richtig,« fuhr er fort. »Ein solches Hamaïl hat der Dschirbani. Aber dieses Buch an seinem Halse ist kein Kuran. Ich habe ihn einmal gebeten, hineinschauen zu dürfen, und er erlaubte es mir. Da stand die Überschrift:

      >Werde Mensch; du bist noch keiner!<

      Ist das nicht wahnsinnig? Ist das nicht verrückt? Und als ich ihn fragte, in wiefern wir noch keinen Menschen seien, wollte er mir weißmachen, daß in jedem Menschen gleich von Geburt an ein Tier stecke, welches man entweder totschlagen oder verhungern lassen müsse, wobei der von ihm befreite, gut, edle Mensch dann übrig bleibe. Wenn das kein Wahnsinn ist, so gibt es überhaupt keinen!«

      »Könnte es nicht doch etwas anderes sein?« fragte Halef.

      »Nein! Unmöglich! Ein Tier im Menschen! Bedenke doch! Ich will es Dir an einem Beispiele erläutern: Du bist Hadschi Halef Omar, der berühmte Scheik der Haddedihn, und man sagt von Dir, daß Du einen Vogel, einen Hund, einen Affen in Deinem Innern habest. Wie würdest Du Dich dazu verhalten?«

      »Sehr ruhig. Es würde mir ganz und gar nicht einfallen, es in Abrede zustellen, denn unmöglich ist es nicht. Ich sehe vielmehr, daß noch ganz andere, viel größere Wunder geschehen.«

      »Welche?«

      »Das nächstliegende ist, daß Smihk, der Dicke, in Deinem Kopfe herumzurennen scheint. Wenn er nicht bald verhungert oder totgeschlagen wird, wird man Dich nie zu den Menschen rechnen können! Das ist es doch, was der Dschirbani meint?«

      Der Sahahr schaute den Hadschi mißtrauisch von der Seite her an. Er wußte nicht, ob er die Worte des Kleinen als scherzhaft, als ernst oder gar als beleidigend betrachten solle. Darum gab er lieber keine Antwort und fuhr in seinem vorigen Thema fort:

      »Der Dschirbani ist also körperlich und geistig ansteckend. Das ist aber nicht alles. Es kommt noch hinzu, daß er so schwer festzuhalten ist. Er hat schon alle Arten des Gefängnisses durchgemacht, doch gelang es ihm stets,, zu entkommen. Darum haben wir ihn nun endlich an den Ort gebracht, von wo aus eine Flucht völlig ausgeschlossen ist. Er steckt im Stachelzwinger und wird von Bärenhunden bewacht, die bei jedem Fluchtversuche ihn oder den, der ihn befreien wollte, sofort in Stücke reißen würden.«

      Bei diesen Worten schauderte mich. Es wollte eine Ahnung in mir aufsteigen, daß es mit diesem angeblichen Wahnsinnigen eine ganz eigene und besondere Bewandtnis habe und daß es infolge meines Naturells und Temperaments ganz und gar nicht ausgeschlossen sei, ihm einen Dienst und Hilfe zu erweisen. Darum erkundigte ich mich nach ihm und fragte:

      »Wie alt ist er?«

      »Nicht viel über zwanzig Jahre.«

      »Noch so jung und schon so unglücklich? Wie traurig! Von wem hat er das Buch, von dem Du sprachst?«

      »Von seinem Vater.«

      »Wer war sein Vater? Natürlich ein Ussul?«

      »O nein. Er war ein Fremder; aber seine - - - seine - - - seine - - - Mutter war eine Ussul!«

      Er sagte das stockend. Es schien ihm nicht über die Lippen zu wollen. Schließlich drückte er es förmlich heraus. Sein bärtiges Gesicht nahm einen mehr tierischen als menschlichen Ausdruck an; seine Zähne knirschten, und er fuhr fort:

      »Warum soll ich es Euch nicht sagen! Ihr werdet es doch erfahren und hören! Sie war - - war - - - war meine Tochter!«

      »So ist er Dein Enkel?« entfuhr es mir in der Überraschung.

      »Ja.«

      »Und Du sperrst ihn ein?«

      »Ja, ich sperre ihn ein!« antwortete er in unendlich gehäßigem Tone.

      »Zu den Hunden! Die ihn zerreißen, wenn er zu fliehen wagt!«

      Da flammten seine zorneslodernden Augen zu mir herüber, und er rief, als ob man es in weite Ferne hören solle:

      »Sie mögen ihn zerreißen - - zerreißen! So wie der Zorn, der Grimm und der Kummer mich zerrissen haben, als ich vergeblich mit seinem Vater rang, mein Kind vor ihm und seinem Wahn zu retten! Ich habe nichts mit diesem Räudigen gemein. Er war der Sohn meiner Tochter, also Fleisch von meinem Fleische und Blut von meinem Blute. Aber dieses Fleisch und Blut ist gestorben; es lebt nicht mehr. Er ist mir also fremd, ja fremder noch als jeder Mensch, den ich nie gesehen habe. Die Hunde mögen ihn zerreißen - - zerreißen - - - zerreißen!«

      Er gab seinem Pferde einen Hieb, daß es vor Schreck zusammenzuckte und dann vorwärts stürzte. Er versuchte gar nicht, es zu zügeln; er kam uns weit voraus. Wir schauten ihm nach. Der Scheik sagte:

      »Nun ist er wieder ganz in Wut getaucht. Doch hat er recht. Es gilt die Erhaltung des Stammes und die Bewahrung der Religion vor wahnsinnig falschen Gedanken. Wenn die Räude des Dschirbani sich über andere verbreitet, bekommen die Ussul sehr bald so glatte Gesichter wie die unbehaarten Völker, die keine Männer, sondern lauter Weiber sind. Und wenn die Religion verpflichtet werden soll, zu lehren, daß wir Tiere im Leibe haben, so wird die Erde sehr bald zu einem einzigen großen Irrenhaus geworden sein!«

      Er dachte nicht daran, daß Halef und ich uns beleidigt fühlen konnten, weil wir doch auch zu den >unbehaarten Völkern< gehörten, >die keine Männer sind<. Seine Frau fühlte das heraus. Darum versuchte sie, die Sache abzumildern, indem sie einwand:

      »Du darfst nicht verlangen, daß alle Menschen grad uns für am schönsten halten. Es ist doch ganz natürlich, daß Leute, die den Schmuck des Haares nicht besitzen, nach und nach zu der Überzeugung gekommen sind, daß man nackte Gesichter vorzuziehen habe. Du weißt doch, daß es sogar Menschen gibt, die ihren Haarschmuck künstlich entfernen, indem sie sich scheren!«

      »Die sind eben wahnsinnig! Vollständig verrückt und übergeschnappt!« beteuerte er im Tone größter, unerschütterlichster Überzeugung. »Hier bei uns hat das zu gelten, was wir für schön halten. Was andere denken, geht uns nichts an. Und da sind wir, die wir das Volk regieren und über sein Glück und Wohl zu wachen haben, verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die Räude, um die es sich hier handelt, nicht weiter verbreitet werde. Von der Verwüstung, die so ein Mensch, wie der Dschirbani ist, in der Religion anrichten kann, will ich gar nicht sprechen, weil dies Sache des Sahahr ist, der die Verpflichtung übernommen hat, alles, was mit dem Gottesdienst zusammenhängt, vor Beschmutzung und Verfälschung zu schützen.«

      »Aber es ist sein Enkel, gegen den er wütet! Das Kind seines eigenen Kindes!« klagte sie, von Mitleid bewegt.

      »Um so höher ist es ihm anzurechnen!« versuchte er sie zu widerlegen. »Einen

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