Ardistan und Dschinnistan. Karl May
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Читать онлайн книгу Ardistan und Dschinnistan - Karl May страница 55
»Wir sind immer einig, sie und ich, in allen Stücken, nur in diesem einen nicht. Ich behaupte mit dem Sahahr, daß der Dschirbani unschädlich zu machen sei, sie aber nimmt ihn stets in Schutz. Man hat sie sogar im Verdacht, daß ihm die Flucht nicht so oft gelungen wäre, wenn sie ihn nicht dabei unterstützt hätte.«
Da machte Taldscha eine ihrer gebieterischen, zum Schweigen auffordernden Armbewegungen und sprach:
»Seine Mutter war meine Freundin von ihrer frühesten Jugend an und ist es geblieben, bis sie starb. Sie war jünger als ich, und ich betrachtete sie ebenso als Schützling wie als Freundin. Ich hatte sie lieb, sehr lieb, und nahm mich ihrer an, als sie verstoßen wurde. Sie starb vor Sehnsucht und vor Herzeleid, und nun sie tot ist, lenke ich meine Liebe auf den über, den sie uns hinterlassen hat. Interessierst Du Dich für solche Dinge, Effendi?«
»Sogar sehr!« antwortete ich. »Fast möchte ich Dich bitten, mir noch mehr von diesem Dschirbani zu erzählen.«
»Es gibt keine lange Erzählung, mit der ich Dich da ermüden könnte. Die Sache ist sehr kurz und sehr einfach. Es kam ein fremder Mann in unser Land, der aus Dschinnistan stammte und gar nicht die Absicht hatte, bei uns zu bleiben. Der sah meine Freundin und gewann sie lieb, sie ihn ebenso. Ihretwegen beschloß er, bei uns zu bleiben. Um Ussul werden zu können, mußte er, wie Du weißt, mit einem Ussul kämpfen und ihn besiegen. Das geschah, und zwar sehr leicht, denn der Dschinnistani war zwar unbehaart und von kleinerer Körpergestalt als wir, aber so stark, gewandt und geschickt, daß ihm die rohe Kraft seines Gegners nicht widerstehen konnte. Sobald er Ussul geworden war, begehrte er meine Freundin von ihrem Vater zur Frau. Dieser verweigerte sie ihm, und zwar aus körperlichen und geistigen Gründen. Der Sahahr schien ihm an sich schon nicht geneigt zu sein. Sodann behauptete er, als Sahahr der Ussul verpflichtet zu sein, einer körperlichen Entartung des Stammes in jedem, also auch in diesem Falle entgegenzutreten. Und schließlich war er mit den Menschheitszielen, von denen der Dschinnistani nicht nur sprach, sondern förmlich schwärmte, nicht einverstanden. Der Letztere versicherte, daß die Menschheit nur durch Friedfertigkeit und Versöhnlichkeit, durch Liebe und Güte, vorwärts kommen könne. Der Sahahr aber haßte das; er haßt es auch noch heut. Er bezeichnet es als Feigheit, als Dummheit, als Verweichlichung, und ist der Ansicht, daß die Ussul an dieser Menschheitsliebe, falls sie bei uns überhand nähme, unbedingt zugrunde gehen würden. Er fiel, so oft er konnte, über den Dschinnistani her; er hielt ihn nicht nur für allgemein schädlich, sondern auch für seinen persönlichen Feind, der ihm die Tochter rauben und verführen wolle. Er erklärte, daß er lieber sterben als sein Kind einem Manne aus Dschinnistan zum Weibe geben werde. Darum kam die Sache vor den großen Rat der Stammesältesten, und dieser entschied genau so, wie er nach den Gesetzen der Ussul zu entscheiden hatte: der Sahahr und der Dschinnistani hatten miteinander zu kämpfen; dem Sieger fiel die Tochter des Ersteren zu. Dieser war so ergrimmt und seines Sieges so gewiß, daß er die Bedingungen bis auf Leben und Tod verschärfen ließ. Aber es kam ganz anders, als er dachte, und er unterlag; der Dschinnistani aber schonte ihn und schenkte ihm das Leben. Die Ehe ist eine außerordentlich glückliche gewesen, obgleich sie dadurch getrübt wurde, daß der Sahahr seine Tochter für immer verstieß und seinen Schwiegersohn unausgesetzt und bis zur Unversöhnlichkeit verfolgte. Es wurde ein Sohn geboren, der sich äußerlich zum behaarten Ussul, innerlich aber zum Dschinnistani entwickelte und in jeder Beziehung der Stolz und die Freude seiner Eltern war. Seine Mutter gab ihm den riesenstarken Körper und die reine, liebenswerte Seele. Sein Vater aber schenkte ihm den Geist von Dschinnistan, wurde sein Lehrer und Führer, sein Vorbild und Ideal, dem der Sohn ähnlich zu werden strebte. Ich habe oft dabeigesessen, wenn dieser Geist aus diesem Manne zu seinem Weibe und zu seinem Kinde sprach. Was ich da hörte, ist tief in mich gedrungen und hat sich festgesetzt, um niemals mehr zu weichen. Darum gleiche ich nicht ganz den anderen Frauen der Ussul, und darum nehme ich mich dieses Dschirbani an, den ich weder für wahnsinnig noch für krank halte.«
»Wie?« fragte ich. »Du hältst ihn nicht für räudig? Wie kann ihn da der Sahahr dafür halten? Es müssen doch Hautflecke, Knötchen, Bläschen, Schuppen und Borken zu sehen sein!«
»Nein! Keine Spur davon!«
»Wirklich nicht?«
»Gewiß nicht. Seine Haut ist so weiß und rein wie das Weiße meines Auges!«
»Aber da kann man doch unmöglich von Räude oder irgend einer anderen Hautkrankheit reden!«
»Das meine ich auch!« stimmte sie bei.
»Ich nicht!« widersprach er. »Es gibt einen Ausschlag, den man die unsichtbare Räude nennt. Die ist die allergefährlichste! Denn weil man sie nicht sieht, frißt sie sich ein, bis sie unheilbar geworden ist.«
»Davon habe ich noch nie gehört!« sagte ich.
»Es ist nur eine Erfindung, eine Ausrede des Sahahr!« erklärte sie. »Die Kunde von dieser unsichtbaren Krankheit stammt nur von ihm allein. Ich glaube nicht an sie!«
»Er ist der Sahahr, der oberste Zauberer und Arzt des ganzen Landes,« fuhr der Scheik fort, uns zu widersprechen. »Der weiß, was er sagt, und ich habe mich in allen Stücken nach seinem Urteile zu richten. Wenn es auch keine äußeren Zeichen und Merkmale dieser verheerenden Krankheit gibt, so ist es doch bewiesen, daß sie vorhanden ist. Der Kranke verliert das Haar, es fällt ihm aus. Wenn das so weitergeht, so wird es gar nicht lange dauern, daß er seinem Vater gleicht und ihn nur die Körpergröße als einen Ussul kennzeichnet!«
Da fiel Taldscha rasch ein:
»Grad hiermit beweist Du, daß keine Krankheit vorhanden ist! Daß seine riesige Gestalt und seine kindlich reine Seele von seiner Mutter stammen, bleibt unbestritten. Das wird er behalten, so lange er lebt. Das andere aber ist nur vorübergehend. Er wird sich in dieser Beziehung aus dem Ussul in den Dschinnistani verwandeln, der sein Vater gewesen ist. Es war die größte Sünde, die Ihr begehen konntet, ihn mit wirklichen Aussätzigen zusammenzusperren und - - -«
»Wie? Was?« warf ich dazwischen. »Mit wirklichen Aussätzigen? Ist das wahr?«
»Ja, allerdings!« gestand sie. »Wunderst Du Dich darüber, daß es hier bei uns den Aussatz gibt?«
»O nein, gewiß nicht. Es wäre vielmehr ein Wunder, wenn es ihn nicht gäbe. Aber hoffentlich sondert auch Ihr diese Kranken ab.«
»Natürlich, man weiß es gar nicht anders.«
»Und mit solchen Aussätzigen hat man den Dschirbani zusammengesperrt?«
»Immer und jahrelang!«
»Das klingt ja genau so, als ob man gewünscht hätte, daß er aussätzig werde!«
Diese Worte entfuhren mir gewissermaßen in der Eile. Kaum hatte ich sie ausgesprochen, so hielt die Frau des Scheiks ihr Pferd an, wendete sich mir voll zu, reichte mir die Hand und sagte:
»Ich danke Dir, Effendi, ich danke Dir! Du hast da ganz meinen Gedanken ausgesprochen, der mich bis jetzt gepeinigt hat. Er hat mich oft mit dem Scheik entzweit, der mir sonst alles zuliebe tut, aber grad dieses eine nicht zu können scheint, nämlich den Sahahr einer derartigen Rache für fähig zu halten. So oft es dem Dschirbani gelang, der entsetzlichen Gefangenschaft zu entfliehen, habe ich