Julius Payer. Die unerforschte Welt der Berge und des Eises. Frank Berger

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Julius Payer. Die unerforschte Welt der Berge und des Eises - Frank Berger

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Franzenshöhe und über den Ebenferner zur Geisterspitze (3463 m), deren Gipfel um 11.15 Uhr erreicht wurde. Von dort erklommen sie entlang des Naglerkamms die Naglerspitze (3257 m) und waren um 18 Uhr zurück an der Franzenshöhe. Am 28. September bestiegen Payer und Pinggera von Trafoi aus die höchste Kristallspitze (3496 m) und eine halbe Stunde später den kleinsten Kristallgipfel. Über das Madatschjoch, die Vedretta Cristallo und das Gansjoch langten sie um 16.30 Uhr nachmittags wieder in der letzten Malga des Val Zebru an.

      Am 29. September wurde der Monte Zebru erneut in Angriff genommen. Sie brachen um 5.30 Uhr in der Malga auf und gingen zum Südfuß des Zebru. Um 10 Uhr standen sie am höchsten Punkt. Den Rückweg traten sie über die nie zuvor begangene Hochwand an, herab durch eine kolossale Schneewand in den Kessel des Suldenferners. Payer und Pinggera kamen um 16.15 Uhr zum Gampenhof, wo Pinggera seine Geliebte mit dem Einfahren von Heu beschäftigt fand. In einem Akt christlicher Nächstenliebe gönnte Payer ihm mit dem hübschen Dirndl eine halbe Stunde für „dolcissima relazione“. Über St. Gertraud, wo der Wein des Curaten Eller genossen werden konnte, gingen sie anschließend zu Pinggeras Wohnung im Oberthurnhof. Am 30. September war Payer zurück in Trafoi. Den 1. Oktober bestimmte Payer mit Florian Ortler, einem Sohn der Wirtin, und Georg Thöni zur Besteigung der Mittleren Madatschspitze (3364 m). Denn Pinggera war wieder zu spät. Um 12 Uhr standen sie auf dem Gipfel, wo sich Payer 2¼ Stunden für Arbeiten gönnte. Um 18.45 Uhr waren sie zurück in Trafoi. Tags drauf bestieg Payer mit Pinggera die Hochleitenspitze (2793 m), wo er sich sechs Stunden mit Vermessungsarbeiten beschäftigte.

      Wieder wurde das Wetter schlecht, wurden die Tage zudem spürbar kürzer. Den 3. Oktober regnete es, am 4. Oktober arbeitete Payer bei der Cantoniera del Bosco und am 5. Oktober hatte er in Prad zu tun. Am 6. Oktober verließen Payer und Pinggera um 5.30 Uhr früh Trafoi, um den Großen Eiskogel (3580 m) zu besteigen. Die Route dorthin führte sie nicht über den Ortlerpass, sondern über den kleinen Eiskogel. Auf dem Gipfel des Großen Eiskogel um 13 Uhr stehend, erwies es sich als schon zu spät, um noch die Thurwieserspitze in Angriff zu nehmen. Payer leerte noch eine letzte Flasche Wein in einem Zug, was ihn in heitere, aber auch lockere Stimmung versetzte. Mit sorglosem Gang bewegte er sich über eine mehrere hundert Meter lange Schneide, glitt aus und stürzte den Hang herunter. Pinggera hatte das kommen sehen, und so wurde Payer von ihm mit Seil davor bewahrt, auf den Unteren Ortlerferner herabzustürzen. Zu Recht musste er sich Pinggeras Vorwürfe anhören. Um 18.15 Uhr waren sie zurück in Trafoi.

      Am 7. Oktober ging Payer nochmals nach Prad. Am nächsten Tag unternahmen Payer und Pinggera die letzte Besteigung des Jahres, zur Kor- und Rötlspitze. Nach leichtem Aufstieg standen sie bereits um 7.45 Uhr auf der Korspitze (2928 m) und hatten einen großartigen Ausblick. Payer arbeitete hier 5½ Stunden lang. Pinggera machte Feuer mit dem Holz einer alten Hütte und bereitete ein Mahl aus Kalterer Seewein, Speck, Salami und Brot. Sie verließen den Gipfel um 13.15 Uhr und standen eine halbe Stunde später auf der Rötlspitze (3023 m), die sich auf Schweizer Territorium befindet. Von dort stiegen sie ab nach Trafoi. Am 9. Oktober war Payer in der Cantoniera del Bosco, wo er seine Karte bearbeiten ließ. Zur Abreise aus dem Tal am 10. Oktober verabschiedete ihn Johann Pinggera in seinem Sonntagsanzug. Die Wirtin Barbara Ortler verehrte ihm einen Tropfen ihres besten Weines. Mittags war er in Prad und um 20.30 Uhr abends in Mals. Über München begab sich Payer diesmal in das heimische Teplitz.

      Die Aufnahme der westlichen Ortler-Alpen (Trafoier Gebiet) erschien als Ergänzungsheft 23 der „Geographischen Mittheilungen“, Gotha 1868, im Umfang von 40 Seiten, mit einer Tafel und einer Karte 1:36.000.

       SÜDLICHE ORTLER-ALPEN (1867)

      Anfang August 1867 reiste Julius Payer von seiner Garnison Jägerndorf über Wien, Venedig, Trient, Cles und Fucine nach Pejo. Sein Standquartier schlug er in der Cannonica des Curaten von Pejo, Guiseppe Baggia, auf. Aus Sulden kam weisungsgemäß Johann Pinggera hinzu, bestückt mit Regenschirm, Steigeisen, Bergstöcken, Axt und Strick. Als örtlichen Bergführer engagierte Payer Antonio Chiesa, einen ehemaligen Kapuziner, mittelgroß, 60 Jahre alt, „zur Mumie vertrocknet“, ein Schwätzer und Zecher, aber auch, wie sich herausstellen sollte, schlau, treu und ausdauernd.

      Am 27. August bestiegen Payer und Pinggera mit Chiesa den Corno Vioz (2498 m). Von 8 bis 12 Uhr arbeitete Payer auf dem Gipfel am Messtisch. Weil es nachmittags in Strömen regnete, übernachteten sie in der Malga Saline und kamen am nächsten Morgen völlig durchnässt in Pejo an. Am 30. August bestieg Payer allein mit Pinggera die Cima Garneda (2893 m) und am folgenden Tag noch einmal den Corno Vioz, um die Triangulierung fortzusetzen. Am 31. August bestiegen Payer, Pinggera und Chiesa die Cima Ganani (2887 m) und übernachteten abends in der Malga Vedrignana.

      Am Morgen des 1. September („meinem Geburtstage“) brachen sie zur Rotspitze (3324 m) auf. Auf der Spitze arbeitete Payer zwei Stunden am Messtisch. Die Herstellung des trigonometrischen Netzes erforderte die Besteigung einer zweiten Spitze, und so stand die Gruppe um 14.15Uhr auf der Cima Lago Lungo (3125 m). Sie verließen den Gipfel erst um 18 Uhr und übernachteten in der Alphütte von La Mare. Der 2. September diente der Genesung des erkrankten Pinggera, den Payer am 3. September wieder für marschfähig erklärte. Zusammen mit Chiesa gingen sie das Val Vioz hinauf und lagerten unter einem Felsen. Dann bestiegen sie den höchsten Punkt des Monte Vioz (3628 m). Knapp zwei Stunden verweilten sie auf dem Gipfel in extremer Kälte, was nur wenige Messungen zuließ. Belebt durch viel Wein, aber dann auch völlig erschöpft, stiegen sie durch das Val Vioz herab nach Pejo.

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      Der Monte Saline vom Monte Viòz aus, aquarellierte Zeichnung von Moritz Menzinger nach einer Vorlage von Julius Payer, 1867 (PGM Ergänzungsheft 27, 1869)

      Nach einigen Tagen diverser kleinerer Exkursionen brachen Payer, Pinggera und Chiesa am 10. September zum Palon della Mare (3669 m) auf, den sie um 13 Uhr erreichten. Anschließend stiegen sie nach Santa Caterina ab, einem Ort, der sich des Besuchs vieler englischer Alpinisten erfreute. Am 12. September bestiegen sie die Punta Cadini (3482 m) und im Anschluss daran den Pizzo Taviela, die heutige Rocca S. Caterina (3497 m). Von Pejo aus bestiegen Payer, Pinggera und Chiesa am 14. September den Monte Saline (3588 m). Die nächsten Tage waren Rasttage in La Mare, weil es in Strömen regnete.

      Am 21. September bestiegen Payer und Pinggera, diesmal ohne Chiesa, den Monte Giumella (3551 m) und auch das prächtige Gletscherhorn der Punta San Matteo (3633 m). Um 11 Uhr verweilten sie für eine Viertelstunde am Gipfel, den sie über eine überstehende Eiswechte verließen. Pinggera, die Gefahr dieses Weges erkennend, rief ihm zu: „Sie sind ja dümmer als die Nacht!“, setzte aber den Weg mit Payer fort. Ein Stück der Wechte mit Pinggera darauf brach ab, doch der eiserfahrene Begleiter konnte sich wieder auf die Schneide hinaufschwingen. Selbst dies reichte nicht aus als Warnung. Wenige Minuten später brach die Wechte noch einmal und Payer und Pinggera stürzten samt abgelöstem Schneeüberhang kopfüber in die Tiefe. In freiem Fall erwartete Payer den tödlichen Aufschlag auf einen Felsen. Doch nach einem letzten Sturz von einem Überhang von 60 Fuß blieb Payer in einer Schneegrube stecken, aus Mund und Nase blutend, aber ansonsten unverletzt. Er fürchtete um das Leben Pinggeras. Dessen Namen rufend, mit einem Augenglas bewehrt – Payer war stark kurzsichtig – suchte er die Gegend ab und entdeckte ihn schließlich ebenso unverletzt bis auf eine durch das Steigeisen verursachte Wunde am linken Oberschenkel. Die gesamte Sturzhöhe schätzte Payer auf etwa 800 Fuß.

      Alle Ausrüstung war verloren. Dennoch beschlossen Payer und Pinggera, ohne Axt, Steigeisen und Bergstock noch auf den Monte Tresero (3547 m) zu steigen. Um 14.45 Uhr standen sie in großer Kälte auf der Hauptspitze. Sie stiegen nach Süden auf die Vedretta Gavia ab. Beim weiteren Abstieg verirrten sie sich vollständig, wurden aber in einer Hütte des Val Bormina gastfreundlich ausgenommen. Am 22. September kamen die beiden in das Dorf Pezzo, wobei Pinggera schon stark hinkte und krank an den Augen war. Ihre letzten 2 Franken reichten gerade noch für das Frühstück. Soweit gestärkt gingen sie nach Pejo.

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