Ein MORDs-Team - Der komplette Fall Marietta King. Andreas Suchanek

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wieder zur Probe ins Schloss stecken wollte. Damit hätte er nun definitiv nicht gerechnet.

      Als würde sie eher mit sich selbst sprechen, fuhr sie, mit dem Blick gegen die Decke gerichtet, fort. »Jeder hat doch sein Glück verdient …« Sie brach ab und das darauffolgende Lachen klang verbittert.

      »Was …« Mitten im Satz erstarrte Billy. War da ein Geräusch auf dem Flur gewesen? Geistesgegenwärtig legte er seine freie Linke auf Mariettas Mund und deutete mit dem Kopf gegen die Tür. Ihm wurde eiskalt.

      »Das sind doch bestimmt Shannon und Jamie«, hauchte sie fast lautlos.

      Billy schüttelte den Kopf. Die wären doch lauter, Jamie kannte keine Vorsicht. Fieberhaft schaute er sich um, sein Blick flog über den großen, penibel aufgeräumten Schreibtisch, die Sideboards, einige Aktenschränke an den Wänden, eine große Zimmerpalme. Es gab kein vernünftiges Versteck.

      Wieder dieses seltsame Scharren.

      »Unter den Schreibtisch«, wisperte er.

      Hoffentlich würden diese verfluchten Rollen nicht quietschen, wenn er den Stuhl zurückzog. In einem Bruchteil von Sekunden, der ihm wie Stunden erschien, zog er den Stuhl unter dem Schreibtisch hervor. Millimeter um Millimeter. Das leichte Kratzen auf dem Linoleum erfüllte den kompletten Raum. Billy biss die Zähne zusammen, bis sie knirschten. Endlich konnte er den Stuhl anheben und beiseitestellen.

      Falls ihnen jemand auf die Schliche kommen wollte, verhielt­­ sich derjenige jedenfalls äußerst leise. Wieder nur ein Klacken, es schien von draußen zu kommen. Gerade so, als wollte ihnen jemand auflauern. Warum gab sich derjenige nicht zu erkennen, wenn er sie erwischen wollte? Das war das Unheimlichste, was Billy je in seinem Leben widerfahren war. Es schlug die Story um Längen, als ihn auf dem Friedhof um Mitternacht plötzlich eine Katze von hinten angesprungen hatte.

      Billy quetschte sich zwischen Marietta und den Papierkorb unter den Schreibtisch. Sie war nicht groß, aber er musste seinen Kopf gewaltig einziehen. Plötzlich überkam ihn die Angst, sein lautes Herzklopfen könnte bis auf den Flur zu hören sein.

      Was, wenn sie erwischt wurden? Würden sie alle von der Schule fliegen? Collegepläne adieu? Was war das eigentlich für eine schwachsinnige Idee gewesen, die Prüfungsfragen zu klauen?

      Die Gedanken rasten durch seinen Kopf. Schon nach kurzer Zeit schmerzte jeder Körperteil.

      Draußen blieb es ruhig.

      Seine Anspannung ließ nach, dafür fing sein rechtes Bein an zu kribbeln, gleich würde es einschlafen. Marietta bewegte sich auch unruhig, ihre Brust drückte gegen sein Knie. Er musste raus hier.

      Gerade als er sich daran machte, unter dem Schreibtisch hervorzukriechen, klopfte es gegen das Fenster. Billy zuckte zusammen, schlug mit dem Kopf gegen die Schreibtischplatte. Der Schlag hallte durch den Raum, während der Schmerz in seinen Schädel schoss. Marietta gab einen unterdrückten Laut von sich. Dann war es wieder still. Erst als er das Gefühl hatte zu platzen, merkte Billy, dass er die Luft angehalten hatte.

      Verdammt, er ertrug das nicht mehr.

      Ein Klacken gegen die Fensterscheibe jagte ihm einen Heidenschreck ein. Dann folgte ein lautes Gurren. Plötzlich wallte ein hysterisches Kichern in ihm auf. Er schlug die Hand vor den Mund. Tauben vor dem Fenster. Es waren wohl nur die Tauben, die den Lärm gemacht hatten!

      Marietta schien es ebenfalls realisiert zu haben, denn auch sie prustete heraus, während sie unter dem Tisch hervorkroch. Sie konnten sich beide nicht mehr einkriegen vor Lachen, die Anspannung entlud sich in albernem Gekicher, das nicht enden wollte.

      Nach einer Weile stöhnte Billy auf. »Boah, ich dachte echt, die erwischen uns.«

      Marietta winkte ab. »Ach was, dann wären wir halt davongelaufen. Einfach weg. Weit, weit weg.« Ein sehnsüchtiger Ausdruck trat auf ihr Gesicht, das von den Schatten weichgezeichnet wurde. Sie bückte sich, um einen imaginären Faden von ihrer schwarzen Cordhose zu zupfen, die sie wahrscheinlich, wie alle Mädels zurzeit, selbst noch mal ein Stück enger genäht hatte; sie klebte an ihr wie eine zweite Haut.

      Bevor Billy antworten konnte, fing sie an leise zu singen.

      »Ooh, she's a little runaway,

      Daddy's girl learned fast,

      All those things he couldn't say,

      Ooh, she's a little runaway …”

      Das Lied von Bon Jovi, das Anfang des Jahres die Charts gestürmt hatte. Es würde Billy zukünftig immer an diesen Moment erinnern, verbunden mit dem Bild, wie Marietta mit angehobenen Armen durch den Raum tanzte und sang.

      Sie stoppte und wischte sich eine Träne unter dem Auge weg. Kam das jetzt noch vom unkontrollierten Lachen? Er trat unbehaglich von einem Bein aufs andere.

      Sie blickte prüfend den schwarzen Strich auf ihrer Fingerkuppe an. »Bin ich verschmiert?« Ihre Stimme klang belegt.

      Vorsichtig drehte er ihr Gesicht zum Fenster und tupfte einen Punkt schwarzer Wimperntusche mit der Spitze seines kleinen Fingers unter ihrem Auge weg. Dann schüttelte er wortlos den Kopf. Sie wirkte so traurig.

      Marietta blinzelte. Es wurde wieder ganz still im Raum.

      Billy schluckte. Räusperte sich. Schluckte wieder. »Ich gehe trotzdem mal draußen schauen, ob alles okay ist.« Fast fluchtartig verließ er den Raum. Und nahm Mariettas Wimperntusche auf seinem Finger als letztes Lebenszeichen von ihr mit nach draußen.

      *

      Ein Montagabend

      Randy schob seinen Laptop weg und lehnte sich in Masons Schreibtischstuhl zurück. Die Zahlen und Buchstaben auf dem Bildschirm verschwammen vor seinen Augen. Verdammt, irgendwie musste er das hinkriegen, dass der Quellcode …

      Dops.

      Er zuckte zusammen.

      Mason und sein verdammter Basketball. Randys Blick fiel auf die Zimmerdecke. Kreisrunde Abdrücke zeichneten sich auf dem Weiß ab.

      Wieder donnerte Mason seinen Basketball gegen die Decke.

      Das Geräusch konnte einem wirklich jeden Nerv rauben.

      »Sag mal, wolltest du nicht gerade Sozialkunde lernen?«, beschwerte er sich.

      Dops.

      »Bin fertig.« Achtlos feuerte Mason sein Heft in den Eastpack neben dem Bett und griff wieder nach dem Ball.

      Dops.

      Super! So kam er nie dazu, hier weiter zu programmieren. Resigniert klappte Randy seinen Laptop zu. Vielleicht könnte Masons Vater ihm nachher weiterhelfen. »Boah, hier riecht es so geil, was kocht denn deine Mutter? Echt der Hammer!« Er rieb sich den Bauch. Wie gut, dass sie gefragt hatte, ob er zum Essen bleiben wollte, seine Tante würde heute später nach Hause kommen – es wartete lediglich Tiefkühlkost auf ihn.

      »Weiß nicht, mir auch wurst, ich hoffe

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