Befehle von oben. Franz Taut
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Ein Posten trat mir in den Weg. »Halt! Parole?«
»Krautacker«, sagte ich. »Leutnant Lemke. Ist milder geworden, was?«
»Milder schon, Herr Leutnant«, gab der Soldat zurück; »aber da sitzt doch der Wurm drin. Da ist doch was faul, Herr Leutnant.«
»Oberfaul«, bestätigte ich, weil ich es nicht schätzte, meinen Leuten etwas vorzumachen. »Stinkt ganz gewaltig, Peters. Weiß nur nicht, wo und was. Wird sich schon herausstellen, wenn es erst mal hell wird. Meinen Sie nicht auch?«
»Klar, Herr Leutnant«, antwortete der Schütze Peters, der seit vier Uhr auf Wache war und sichtlich fror, obgleich die Kälte spürbar nachgelassen hatte. Ich ging durch das stille, im Schnee versinkende Dorf bis zu den Stellungen, die halbkreisförmig nach Norden hin angelegt waren.
Im Vorfeld standen die beiden ausgebrannten Panzer schemenhaft im rieselnden Weiß.
Ich sprach mit den Leuten, die in den MG-Ständen und Grabenstücken Wache hielten. Alle wollten wissen, ob es etwas Neues gebe. Die Auskunft, die ich ihnen geben musste, war nicht ermutigend.
»Reichlich bescheiden«, meinte Unteroffizier Vollrath, der den ersten Zug führte, seitdem Feldwebel Kling durch Verwundung ausgeschieden war.
Ich kehrte ins Dorf zurück. Der Schnee lag schon fast kniehoch, und es schneite unaufhörlich weiter. Als ich in die Nähe des Gefechtsstandes kam, blieb ich stehen, denn mir war, als nähere sich von Südosten aus der Steppe ein Motorfahrzeug.
Es war ein Krad, das fast im Schrittempo schlitternd durch den tiefen Schnee heranpuckerte. Der Fahrer streckte die Füße aus, um die Maschine im Gleichgewicht zu halten. Es war einer der Melder des Bataillonsstabes.
»Befehl von oben«, stammelte er außer Atem, als er bei mir anhielt. »Kompanie setzt sich unverzüglich in Marsch. Marschrichtung Kalatsch. Dort liegen beim Divisionsmeldekopf weitere Befehle.«
»Schön«, sagte ich, obwohl das, was ich soeben gehört hatte, alles andere als schön war. »Gehen Sie jetzt erst mal zur Feldküche. Lassen Sie sich was Heißes zu trinken geben.«
»Keine Zeit, Herr Leutnant«, gab der erschöpfte Melder zurück. »Muss weiter zur Dritten nach Uwarowka. Können Sie mir sagen, ob der Weg feindfrei ist, Herr Leutnant?«
»Ich weiß es nicht – weiß überhaupt nichts«, musste ich zugeben. »Warum denn dieser Umstand? Warum funkt denn das Bataillon nicht?«
»Ist ja alles im Eimer, Herr Leutnant«, antwortete der Kradmelder. »Die sind mit fünf Panzern in unser Kaff ’reingedonnert. Haben den Gefechtsstand in Brand geschossen. Herr Major Schilling – Herr Major ist gefallen.«
Jetzt blieb mir doch die Luft weg.
»Was sagen Sie da?«, brüllte ich den Mann an, der die allergeringste Schuld an dem trug, was geschehen war. »Wer, zum Teufel, hat Sie denn in Marsch gesetzt?«
»Herr Leutnant Holzinger«, kam es zurück. »Er hat die Abwehr organisiert, und dann haben wir uns abgesetzt. War nicht mehr viel übrig vom Stab. Aber ich muss jetzt weiter, Herr Leutnant. Muss sehen, dass ich die Dritte erreiche, bevor es hell wird. Könnte sonst vom Russen vereinnahmt werden.«
»Machen Sie’s gut«, sagte ich. »Halten Sie die Augen offen. Scheint allerhand unterwegs zu sein. Marschziel Kalatsch, haben Sie gesagt? Ist das denn richtig?«
»Jawohl, Herr Leutnant«, bestätigte der Melder. »Der Befehl ist direkt vom Divisionsstab gekommen. Ein paar Minuten, bevor der Feind mit seinen Panzern da war. Sie sollen keine Zeit verlieren, Herr Leutnant, sofort abrücken. Herr Leutnant Holzinger hat es mir ausdrücklich aufgetragen.«
Er trat auf den Starter und fuhr im gleichen Schneckentempo, wie er gekommen war, weiter durch den schweren, nassen Schnee. Der verschneite Weg, den er einschlug, führte nach Westen und war nur durch Stangen mit Strohwischen kenntlich. Mit Skiern hätte der Melder schneller vorwärtskommen können als mit dem Krad, dessen Antriebsrad immer wieder leer umging. Aber auch diesmal, wie im vergangenen Winter, gehörten Schneeschuhe nicht zur Ausrüstung der Infanterie. Später hatten wir etliche Paare davon in der Kompanie, aber die stammten vom Russen – von den Toten eines Skibataillons, die vor unseren Stellungen liegen blieben.
Ich ging zum Gefechtsstand, um die nötigen Befehle zur Vorbereitung des Abmarsches zu geben. Als ich mir vor der Tür der Hütte den Schnee von den Filzstiefeln stampfte, kam einer der Männer angetrabt, die wir sicherheitshalber mit zwei MG am Südrand des Dorfes postiert hatten. Er war außer Atem und völlig aufgelöst.
»Panzer«, brachte er keuchend hervor, »Panzer im Anmarsch.«
Ich öffnete die Tür, gab Feldwebel Stamm Bescheid und spurtete so schnell, wie es der tiefe Schnee erlaubte, zu dem neuen Gefahrenpunkt.
Unteroffizier Höhne, der die Sicherung befehligte, erwartete mich auf der Straße.
»Es waren deutliche Panzergeräusche«, sagte er. »Aber seit ein paar Minuten ist es still. Vielleicht sind sie abgedreht. Die Karten, die der Russe hat, sind ja nicht besser als die unseren.«
Ich nahm das Glas und hielt Ausschau. Der dichte Flockenfall verwehrte die Sicht, zumal es trotz der Schneehelle noch längst nicht Tag war.
Auf einmal jedoch war es mir, als bewege sich etwas, eine einzelne Gestalt, langsam auf uns zu. Ich griff zur Maschinenpistole, brachte sie in Anschlag und rief, so laut ich konnte:
»Stoj! Rukij wjerch!«
»Verdammter Sauladen!«, kam es zurück. »Du Germanski oder Russki? Maul auf, sonst kracht’s!«
»Hier sind Deutsche«, rief ich. »Wer sind Sie?«
»Na ja«, versetzte der Fremde, der weißes Tarnzeug trug. »Warum denn nicht gleich?«
Im selben Augenblick knallte es und Sekunden danach noch einmal. Zwei grüne Leuchtkugeln stiegen hoch und zerplatzten.
Mit dem Ausruf »Hallo, Kumpels!« kam der Mann, der über eine kaum fassbare Selbstsicherheit verfügte, auf uns zu. Seine Kopfbedeckung war eine schwarze Panzermütze mit heruntergezogenem Ohrenschutz.
»Bin ich also doch richtig«, sagte er.
»Hoch erfreut, Meister«, gab ich zurück, mich seinem Ton angleichend. »Wäre es möglich, zu erfahren, wen Sie hier suchen? Vielleicht könnten Sie mir sogar Namen und Dienstgrad nennen?«
Der andere lachte.
»Klar, warum nicht? Ich bin Unteroffizier Kurz, Panzerregiment viernullzwo, zwote Abteilung, zwote Kompanie. Leicht zu merken, was? Und du, Kamerad?«
»Leutnant Lemke«, sagte ich, »Kompanieführer und derzeit Kampfkommandant hier am Ort.«
»Um so besser«, entgegnete der Unteroffizier, ohne sich erst lange mit einer Ehrenbezeigung aufzuhalten, und streckte mir die Rechte, die in einem Fausthandschuh steckte, freundschaftlich entgegen.
»Tag, mein Bester«, sagte ich, ergriff die Hand und fragte: »Wo kommen Sie denn eigentlich