Mehr als ein Wunder. Steve de Shazer
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MUTTER: Ich glaube, das Übliche, ich habe das Abendessen gerichtet. Und sie kam total aufgeregt ins Zimmer, und ich fragte sie, was los sei, und sie erzählte mir, dass ihr naturwissenschaftliches Projekt für die Ausstellung in der Schule ausgewählt worden sei.
THERAPEUTIN: Toll, das ist ja eine richtige Ehre.
MUTTER: Das ist es.
THERAPEUTIN: Und was geschah dann?
MUTTER: Na ja, wir haben darüber gesprochen, und sie hat mir alles erzählt.
THERAPEUTIN: Anita, erinnerst du dich daran?
TOCHTER: Ja, klar, es war ja erst letzte Woche. Ich war ganz glücklich.
THERAPEUTIN: Und meinst du, dass es ein nettes Gespräch war, ein nettes Gespräch zwischen euch beiden?
TOCHTER: Sicher. Das ist doch das, was ich meine; ich gehe nicht immer in mein Zimmer.
THERAPEUTIN: War zu dem Zeitpunkt, also letzte Woche, vielleicht etwas anders, das es leichter machte, miteinander zu reden?
MUTTER: Eben, dass sie aufgeregt war.
TOCHTER: Meine Mutter hat einfach nur zugehört, hat sonst gar nichts gemacht.
THERAPEUTIN: Oh, das ist ja ein tolles Beispiel, danke sehr! Jetzt stelle ich mal folgende Frage: Wenn es häufiger genau so wäre, dass Anita mit Ihnen über Dinge reden würde, die für sie interessant und wichtig sind, und dass Sie, die Mutter, ihr ganz und gar zuhören würden, ohne nebenher andere Dinge zu erledigen – ist es das, wie Sie sich beide eine bessere Verständigung vorstellen würden?
TOCHTER: Ja, genau.
MUTTER: Ja.
In diesem Beispiel macht die Therapeutin Folgendes. Erstens horcht sie aufmerksam auf Signale, die auf eine Ausnahme des Problems hindeuten, d. h. auf eine Zeit hinweisen, in der das Problem hätte auftauchen können, aber nicht aufgetaucht ist. Zweitens interpunktiert sie die Ausnahme, indem sie diese noch einmal formuliert, betont, weitere Details darüber erfragt und Mutter und Tochter dafür Komplimente macht. Drittens verbindet sie die Ausnahme mit dem Ziel der Klientinnen (bzw. mit der Situation am Tag nach dem Wunder), indem sie fragt, ob das Ziel der beiden erreicht wäre, wenn diese Ausnahme öfter stattfinden würde.
Bewältigungsfragen. Wenn Klienten berichten, dass ihre Situation nicht besser geworden sei, kann der Therapeut u. U. Bewältigungsfragen stellen, z. B. die: »Wie haben Sie es geschafft zu verhindern, dass die Situation schlimmer wird?« oder »Das mag schlimm klingen, aber wie haben Sie es geschafft, damit – in dem Maß, wie Sie es tun – fertig zu werden?«.
Gibt es etwas, das ich vergessen habe zu fragen? Bevor man eine Sitzungspause macht – oder manchmal auch während des Therapiegesprächs –, kann der Therapeut den Klienten fragen: »Gibt es etwas, das ich vergessen habe zu fragen?« oder »Gibt es noch etwas, das ich wissen müsste?«.
Eine Sitzungspause einlegen und anschließend wieder zusammenkommen. In vielen familientherapeutischen Modellen wird empfohlen, dass der Therapeut gegen Ende der Sitzung eine Pause einlegt. In dieser Pause findet dann meistens ein Gespräch zwischen dem Therapeuten und einem Team von Kollegen oder Supervisoren statt, das die Sitzung beobachtet hat, dem Therapeuten Rückmeldung gibt und ihm Vorschläge macht. In der SFBT wird dem Therapeuten ebenfalls empfohlen, gegen Ende der Sitzung eine Pause einzulegen. Wenn Kollegen oder Supervisoren das Therapiegespräch beobachtet haben, geben sie dem Therapeuten ein Feedback, eine Reihe von Komplimenten für seine Klienten und Anregungen für Interventionen, die auf den Stärken der Klienten, ihren früheren Lösungen oder auf Ausnahmen des Problems beruhen. Wenn kein Beobachterteam zur Verfügung steht, macht der Therapeut dennoch eine Pause, in der er seine Gedanken ordnet, sich Komplimente für die Klienten ausdenkt und Ideen für potenzielle Experimente entwickelt. Danach kehrt er in die Sitzung zurück und kann als Auftakt Komplimente und anerkennende Worte an die Klienten richten – wie es die Therapeutin im folgenden Beispiel tut.
THERAPEUTIN: Ich wollte Ihnen einfach sagen, dass die Teamkollegen diese Woche wirklich von Ihnen beiden beeindruckt waren. Ich soll Ihnen ausrichten, dass sie von Ihnen, der Mutter, den Eindruck haben, dass Sie sich wirklich sehr um Ihre Tochter kümmern. Mutter zu sein ist echt schwer, und Sie wirken so engagiert, und es wird deutlich, wie sehr Sie Ihre Tochter lieben und wie gerne Sie ihr helfen möchten. Es hat den Kollegen sehr imponiert, dass Sie heute zur Sitzung gekommen sind, obwohl Sie arbeiten müssen und ein krankes Kind zu Hause haben. – Anita, die Kollegen möchten auch dir ein Kompliment machen für dein Engagement, das Familienleben angenehmer zu machen. Von ihnen soll ich dir sagen, für wie klug und wortgewandt sie dich halten und was du für eine gute »Naturwissenschaftlerin« bist! Ja, dass du dir anscheinend echt bewusst bist, was kleine, unbedeutende Dinge, die in deiner Familie geschehen, doch alles verändern können … Das ist es, was Naturwissenschaftler tun; sie beobachten Dinge, die Dinge zu verändern scheinen, gleichgültig, wie klein sie auch sind. Wie dem auch sei, die Teamkollegen waren von Ihnen beiden sehr angetan!
TOCHTER: [Wirkt erfreut] Klasse, danke!
Experimente und Hausaufgaben. In vielen psychotherapeutischen Modellen ist vorgesehen, dass die Klienten zwischen den einzelnen Sitzungen – meistens vom Therapeuten vorgegebene – Hausaufgaben durchführen, damit die im Therapieraum eingeleiteten Veränderungen konsolidiert werden. In der SFBT schlägt der Therapeut den Klienten am Ende der Sitzung häufig ein mögliches Experiment vor, das sie bis zum nächsten Therapiegespräch ausprobieren können – wenn sie möchten. Solche Experimente basieren auf etwas, was der Klient bereits praktiziert (d. h. auf Ausnahmen des Problems), denkt, fühlt usw. und was ihn seinem Ziel näher bringt. Manchmal denkt sich der Klient auch selbst eine Hausaufgabe aus. Beide Vorgehensweisen folgen dem Grundsatz, dass es immer besser ist, wenn die Ideen vom Klienten ausgehen, als wenn der Therapeut Vorschläge machen muss. Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens ist der Klient mit dem, was er – direkt oder indirekt – vorschlägt, persönlich vertraut. Der Grund, weshalb Klienten, die nach anderen Therapiemodellen behandelt werden, ihre Hausaufgabe nicht machen, besteht im Wesentlichen darin, dass sie dem Klienten fremd ist und zu ihrer Durchführung folglich mehr Überlegung und Anstrengung notwendig sind (was im Allgemeinen als »Widerstand« bezeichnet wird). Zweitens geben Klienten sich selbst meistens solche Hausaufgaben, die sich entweder auf bereits erfolgreich durchgeführte Handlungen beziehen (auf eine frühere Lösung) oder auf Dinge, die der Klient auch wirklich umsetzen will. In beiden Fällen verbindet der Klient die Hausaufgabe enger mit seinen Zielen und Lösungen. Drittens ist die natürliche Neigung des Klienten, gegen von außen kommende Interventionen – auch wenn dahinter noch so gute Absichten stehen – »Widerstand« zu leisten, schwächer ausgeprägt, wenn er seine Hausaufgabe selbst entwerfen kann. In der SFBT fokussiert man nicht auf den Widerstand des Klienten. Man sieht dieses Phänomen vielmehr als einen natürlichen, schützenden Prozess, den Menschen sich zunutze machen, damit sie sich langsam und vorsichtig der Veränderung nähern können – und nicht als Zeichen einer Psychopathologie. Wenn der Klient den Anstoß für eine Hausaufgabe selbst gibt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sie erfolgreich durchführt, mit Sicherheit höher.
THERAPEUTIN: Bevor wir die heutige Sitzung beenden, möchte ich Sie beide noch bitten, dass Sie sich über eine Hausaufgabe Gedanken machen. Wenn Sie sich für die kommende Woche eine Hausaufgabe geben müssten, wie würde die aussehen?
TOCHTER: Vielleicht so, dass wir mehr miteinander reden?
THERAPEUTIN: Kannst du mir das genauer erläutern?
TOCHTER: Also, dass ich versuche, mehr mit