Dr. Norden Bestseller Box 13 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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Читать онлайн книгу Dr. Norden Bestseller Box 13 – Arztroman - Patricia Vandenberg страница 16
»Leg dich jetzt auch nieder«, sagte sie besorgt. »Es hilft nichts, wenn du dasitzt und dir den Kopf zergrübelst. Morgen ist vielleicht schon alles besser.«
*
Am Morgen des kommenden Tages, um acht Uhr, war Andrea schon bei Dr. Norden. Sie war sogar drei Minuten vor ihm dagewesen, und Loni, die noch pünktlicher war, hatte sie schon ins Sprechzimmer geführt.
Andrea konnte ihr Herz ausschütten, sie fand geneigte und geduldige Ohren bei Dr. Norden.
Sie erzählte von Sonja, von dieser Auseinandersetzung, die ihr nahegegangen war, wenngleich sie sich davon nicht mehr so stark beeinflussen ließ, wie es früher der Fall gewesen wäre.
»Ich habe früher nicht darüber nachgedacht, daß man sich selbst zerstören kann«, sagte Andrea nachdenklich, »aber bei meiner Schwester scheint es der Fall zu sein.«
»Manchmal ist es nicht gut, wenn man zuviel Nachsicht zeigt«, sagte Dr. Norden.
»Ja, das habe ich an mir selbst erfahren«, gab Andrea zu. »Es ist besser, wenn man zurechtgestupst wird. Aber Sonja ist schon seit drei Jahren jede Rücksichtnahme gewohnt. Sie hatte sich doch so sehr auf ihr Baby gefreut.«
»Ich verstehe das«, meinte Dr. Norden. Er wollte Andrea nicht sagen, daß es niemals ein gesundes Kind geworden wäre, wie er nun von Fee wußte. Er konnte auch Dr. Kobelka nichts mehr nachtragen. Zumindest in diesem Fall war ihm keine Schuld beizumessen, und sein Schweigen hatte ihm wohl auch selbst zu schaffen gemacht.
Andrea konnte er nur den Rat geben, Sonja nicht zu grollen und zu versuchen, ihr gut zuzureden. Er konnte ja nicht zu Sonja gehen und dies selbst tun.
»Sie meinen, daß ich energisch sein müßte?« fragte Andrea.
»Zumindest sollten Sie standhaft bleiben und vielleicht mit Ihrem Schwager sprechen, daß er sich auch nicht mehr zu nachgiebig zeigt. Zwingen kann man keinen Menschen, Frau Sommer. Sie können Ihre Schwester nicht im Schlepptau zu Dr. Leitner bringen. Immerhin freut es mich, daß Sie sich gefangen haben.«
»Es wurde wohl höchste Zeit«, sagte Andrea errötend. »Ich glaube, bei meinem Mann war auch die Grenze der Geduld erreicht. Aber vielleicht ist sie bei Bernd schon überschritten.«
»Packen Sie den Stier bei den Hörnern, Frau Sommer. Sprechen Sie auch mit Ihrem Schwager. Wie es scheint, ist lange genug um den heißen Brei herumgeredet worden.«
»Ja, Herr Doktor«, sagte Andrea. »Wir haben Ihnen sehr viel zu verdanken.«
*
Das dachte auch Frau Schindelbeck, als sie an dem bescheidenen Grab ihres Sohnes stand. Nur Karlchen war bei ihr. Ihr Mann war wieder mal betrunken nach Hause gekommen. Gustl, der ältere Sohn, hatte gesagt, daß ihn keine zehn Pferde auf den Friedhof bringen könnten, und die Tochter hatte sie schon seit ein paar Wochen nicht mehr gesehen.
Sie hielt Karlchens Hand. »Jetzt fahren wir fort, Karlchen«, flüsterte sie, als der Kleine unruhig von einem Bein auf das andere trat.
»Und der Sepp kommt nimmer, Mutti?« fragte Karlchen.
»Nein, er kommt nimmer«, erwiderte sie unsagbar müde.
Und dann gingen sie vom Friedhof. Draußen wartete der Mietwagen, den Dr. Norden bestellt hatte, der sie auch zur Insel der Hoffnung bringen sollte. Ein alter Koffer, der mit Bindfaden verschnürt war, lag schon darin. Viel hatte sie nicht mitzunehmen. Nur zurück wollte sie nicht mehr.
Gustav wird seinen Rausch ausschlafen und dann die Wut kriegen, wenn wir nicht mehr da sind, dachte sie. Er wird zerschlagen, was noch zu zerschlagen ist. Aber in ihr hatte er sowieso schon alles zerstört. Sie dachte nur noch an den Kleinen, der neben ihr saß und ihre Hand nicht losließ.
»Es ist bestimmt schön dort, wo wir hinfahren«, sagte Karlchen.
»Ja, es ist schön, mein Kleiner«, murmelte sie, obgleich sie sich gar nicht vorstellen konnte, daß ein Paradies sie erwartete, von dem sie nie zu träumen gewagt hätte.
*
»Frau Schindelbeck und Karlchen sind gut angekommen«, empfing Fee Norden ihren Mann. »Anne war sehr gerührt. Diese armen Menschen müssen sich ja im Himmel wähnen.«
»Und der Schindelbeck kann meinetwegen zur Hölle fahren«, sagte Daniel grimmig. »Stockbetrunken ist er in die Praxis gekommen und hat mich beschimpft. Ich bin mal wieder an allem schuld, weil er niemanden mehr hat, an dem er seine Wut auslassen kann.«
»Was hast du unternommen?« fragte Fee.
»Er kommt in eine Entziehungsanstalt. Der Mann ist gemeingefährlich. Da gibt es kein Pardon mehr. Er gehört in Sicherheitsverwahrung. Hoffentlich hat diese arme Frau nun noch ein paar ruhige Jahre.«
»Paps und Anne werden schon dafür sorgen«, sagte Fee. »Hast du eigentlich schon gehört, wie es dem Vertreter geht?«
»Das bringt Herr Rogner über seine Versicherung in Ordnung. Einige Tausender und ein neues Auto sind
für ihn wohl ein Trostpflaster, und die Welt ist wieder in Ordnung. Man müßte das auch manchmal können,
Fee.«
»Dann wärst du nicht Daniel Norden, der Mann, den ich liebe«, erwiderte sie voller Zärtlichkeit.
»Und du nicht meine Fee«, meinte er, sie ganz fest in die Arme nehmend.
Wie schön war es zu wissen, daß sie ganz übereinstimmten, daß es nichts gab, was Zweifel erzeugen konnte, daß sie immer und über alles miteinander sprechen konnten.
Ganz besonders glücklich waren sie, wenn sie so armen Menschen wie Frau Schindelbeck helfen konnten.
Sie und ihr Karlchen mußten sich wirklich wie im Himmel fühlen auf der Insel, in den zwei schönen, gemütlichen Zimmern. Karlchen konnte es gar nicht glauben, daß er ein richtiges Bett für sich allein bekam, und was für ein Bett. Und dann das Essen. So was hatte er noch nie vorgesetzt bekommen. Bisher hatte das, was sie verdient hatten, gerade dafür gereicht, daß sie nicht zu hungern brauchten.
Was Karlchen aber am allerwenigsten begreifen konnte, war, daß alle so nett zu ihnen waren, und er fragte seine Mutter beklommen, ob das morgen auch noch so wäre.
Frau Schindelbeck stand ganz reglos mit gefalteten Händen da, zum ersten Mal seit vielen Jahren sich geborgen fühlend, frei von Angst.
»Meinst du wirklich, daß sie morgen auch noch so nett zu uns sind und nicht schimpfen, Mutti?« fragte Karlchen.
Sie strich ihm über das Haar. »Das können wir jetzt glauben, mein Kleiner«, sagte sie leise. »Werde du ein guter Mensch, damit ich nicht umsonst gelebt habe.«
»Ich ärgere dich nicht, Mutti. Nicht wie der Sepp. Du sollst nimmer weinen«, sagte Karlchen. »Aber der Sepp kommt ja nicht mehr.«
Und es bleibt nichts, dachte sie, nicht mal ein bißchen gute Erinnerung. Und da stand das Warum mit einem riesengroßen Fragezeichen.