Handeln mit Dichtung. Sandra Schneeberger

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Handeln mit Dichtung - Sandra Schneeberger Beiträge zur nordischen Philologie

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er den Vollzugscharakter kommunikativer Handlungen und den Inszenierungscharakter sozialer Praktiken.3 Die Begriffe des Performativen und der Performativität unterscheiden sich weiter vom Begriff der Performanz. Es sind z.B. die Theaterwissenschaften, die stärker auf den Begriff Performanz fokussieren, indem sie damit den Aufführungscharakter von Handlungen bezeichnen.

      Die weitläufigen Entwicklungen der verschiedenen Begriffe und Anwendungen werden von mehreren Seiten immer wieder kritisiert: Performativität sei ein modischer umbrella term geworden und trage zu wenig analytische Kraft in sich, heisst es in vielen Einführungen zum Thema. Stellvertretend für derartige Bedenken stehen Joachim Grage und Stephan Michael Schröder:

      Mit den Begriffen Performativität, Performanz, performance hat sich ein inter- bzw. transdisziplinäres Cluster von Begrifflichkeiten entwickelt, deren enge etymologische Verwandtschaft leicht darüber hinwegtäuscht, dass diese Termini in den einzelnen Disziplinen bzw. Problemfeldern durchaus Heterogenes bezeichnen und den inter- bzw. transdisziplinären Dialog zugleich ermöglichen und erschweren.4

      Ähnlich formuliert es Eckhard Schumacher, er weist aber (wie auch Grage/Schröder) darauf hin, dass gerade die Uneindeutigkeiten, die durch die verschiedenen Konzeptverwendungen zustande kommen, häufig als produktiv verstanden werden:

      Einleitungen zu Texten, die sich mit Konzeptionen von Performance oder Performativität auseinandersetzen, sind häufig dadurch gekennzeichnet, dass sie zunächst die verschiedenen, durchaus gegenläufigen Lesarten der Begriffe in Anthropologie, Theaterwissenschaften, Sprachphilosophie, Texttheorien oder Cultural Studies betonten, um diese Gemengelage in weiteren Schritten dann als tendenziell produktive Ausgangsbasis für die jeweils anvisierte spezifische Konzeptualisierung zu bestimmen.5

      Auch in dieser Arbeit kommt der Diskurs des Performativen zum Einsatz, weil seine breiten Anwendungsfelder produktiv scheinen für eine Lektüre altnordischer Literatur. Ein gewisses Unbehagen bleibt, ausgelöst durch eine zu wenig präzise Bestimmung der Begrifflichkeiten und ihre Anwendung in den verschiedensten Feldern. Daher ist es sinnvoll, einen Überblick über die Forschungsgeschichte des Performativen zu geben, um die produktiven Aspekte des Diskurses zu sichten. Dies soll hier allerdings eher als Abgrenzung und Herleitung der in dieser Arbeit benötigten Konzepte geschehen, als in einem umfassenden Überblick.6 Zuerst werden die forschungsgeschichtlichen Verzweigungen im chronologischen Verlauf und in den verschiedenen Disziplinen betrachtet und versucht, wichtige Aspekte herauszukristallisieren. Zentral für diese Arbeit ist ein spezifisches Verständnis von Performativität: die literarische Performativität mit einer mediävistischen Perspektive. Ihr wird deshalb ein eigenes Unterkapitel gewidmet. Im Hauptteil der Arbeit – den Lektüren – wird sie vertieft behandelt und auf ihre Nützlichkeit für die Arbeit mit den Texten geprüft.

      2.2 Forschungsüberblick

      Man kann einen Forschungsüberblick zum Begriff der Performativität entlang verschiedener Linien nachzeichnen. Ein chronologisches Vorgehen bietet sich an, allerdings wird das leicht unübersichtlich, da sich die Entwicklung des Begriffs in verschiedenen Disziplinen gleichzeitig abspielt. Deshalb folgt dieser Überblick den chronologischen Entwicklungen innerhalb einzelner Fachrichtungen. Da sich die Diskurse gegenseitig beeinflussen und befruchten, kann die Aufteilung nicht völlig streng ausfallen. Damit ist auch impliziert, dass eine einheitliche Theorie des Performativen weder möglich noch erstrebenswert ist.

      2.2.1 Entwicklungslinien des Performativen

      Ihren Anfang nimmt die Performativitätsforschung wie oben erwähnt in der Sprachphilosophie. John L. Austin ist der Begründer der Sprechakttheorie und des Begriffs performative. Er versucht 1955 seine Einführung des „neue(n) und hässliche(n) Wort(es)“ zu begründen:

      You are more than entitled not to know what the word ‚performative‘ means. It is a new word and an ugly word, and perhaps it does not mean anything very much. But at any rate there is one thing in favour, it is not a profound word.1

      Das englische Adjektive performative leitet sich laut Austin vom Verb to perform (dt. vollziehen, ausführen, leisten; aber auch aufführen) ab. Austin bemerkt, dass man mit Sprache nicht nur etwas in der Welt beschreiben oder behaupten, sondern auch etwas tun kann. Mit performative bezeichnet er dementsprechend Äusserungen, die im Vollzug des Sprechakts soziale Wirklichkeit herstellen und grenzt sie anfangs von den konstativen Äusserungen ab. Konstative Äusserungen können wahr oder falsch sein, performative jedoch nicht, sie können nur gelingen oder misslingen. Austin macht deutlich, dass jede sprachliche Äusserung immer auch die Möglichkeit des Misslingens bzw. Scheiterns beinhaltet. Schliesslich verwirft er die Zweiteilung von konstativ und performativ, da jeder konstativen Äusserung immer auch eine performative Dimension eigne und umgekehrt bei performativen Akten auch der Wahrheitsgehalt bedeutsam sei.2 Deshalb nennt er schliesslich nur eine kleine Klasse von Äusserungen (explizite) performative Äusserungen. Diese vollziehen gleichzeitig das, was sie besagen und ändern dementsprechend die Wirklichkeit. Dazu müssen sie jedoch in den Kontext formaler oder informeller Institutionen eingebettet sein, sonst tritt keine Veränderung ein. Ein bekanntes Beispiel für eine durch einen institutionellen Kontext gestützte performative Äusserung, ist: „Sie sind jetzt Mann und Frau“ ­– ausgesprochen vom dazu autorisierten Pfarrer bei der Eheschliessung in der Kirche.

      Austin konzentriert sich in seinen Überlegungen zum Performativen auf den Gebrauch von Äusserungen in „normaler Sprache“. Er unterscheidet sie von einem „nicht ernsthaften“ Gebrauch: „Es gibt die Auszehrung der Sprache, parasitären Gebrauch unterschiedlicher Art usw.: man kann sie in unterschiedlicher Weise ‚nicht ernsthaft‘ oder ‚nicht ganz normal‘ gebrauchen.“3 Performative Äusserungen können demnach z.B. nicht glücken, wenn sie in einem Gedicht vorkommen oder auf der Theaterbühne vorgetragen werden. Es ist diese Ausklammerung von bestimmten Äusserungssituationen, die John Searle und Jacques Derrida den Begriff des Performativen weiterentwickeln lassen.4 Während sich Searle auf die von Austin begründete Theorie beruft und eine allgemeine Sprechakttheorie entwickelt, stellt Derrida das Konzept grundsätzlich in Frage:

      Denn ist nicht schliesslich, was Austin als Anomalie, Ausnahme, ‚unernst‘ das Zitieren (auf der Bühne, in einem Gedicht oder in einem Monolog), ausschliesst, die bestimmte Modifikation einer allgemeinen Zitathaftigkeit – einer allgemeinen Iterierbarkeit vielmehr –, ohne die es sogar kein ‚geglücktes‘ performative gäbe? So dass – als paradoxe, aber unvermeidliche Konsequenz – ein geglücktes performative notgedrungen ein ‚unreines‘ performative ist, um das Wort wieder aufzunehmen, das Austin später vorschlägt, wenn er eingesteht, dass es kein ‚reines‘ performative gibt.5

      Derrida denkt ausgehend vom Sprechakt über die Sprache als Ganzes nach. Er setzt entgegen Austin voraus, dass jedes Zeichen iterierbar und damit zitierbar und eigentlich graphematischer Natur ist.6 Somit ist jede performative Äusserung nach einem „iterierbaren Muster konform“ und als „Zitat identifizierbar“.7 Dies gilt sowohl für Äusserungen, die Austin als „normal“ bezeichnet, als auch für solche, die gemäss ihm „parasitär oder unnormal“ sind. Für diese Arbeit ist die Bestimmung des Performativen als im Wesen iterierbar zentral. Sybille Krämer arbeitet ein wichtiges Merkmal im Denken der Wiederholung bei Derrida heraus, das für die Lektüren der Prosa-Edda relevant sein wird:

      Das klassische philosophische Denken der Wiederholbarkeit folgt dabei dem Primat des Universellen: Wiederholung setzt Allgemeinheit voraus. Doch Derridas Denkbewegung führt zu einem anderen Ergebnis: Es ist die Wiederholung, die Allgemeinheit, Identität und Idealität überhaupt erst erzeugt und stabilisiert: ‚…Idealität ist aber nur das gesicherte Vermögen der Wiederholung.‘ Doch insofern jede Wiederholung ein Anderswerden des Wiederholten einschliesst, sind Reproduktion bzw. Repetition nicht bloss als Aktualisierung eines vorgängigen Schemas verstehbar, sondern bergen einen

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