Handeln mit Dichtung. Sandra Schneeberger

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Handeln mit Dichtung - Sandra Schneeberger Beiträge zur nordischen Philologie

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Texte“ an. Auf der anderen Seite kann man von Performance und Performanz in Verbindung mit literarischen Texten sprechen, wenn Texte in bestimmte Kontexte, die den Text kommentieren, gestellt werden. Es geht dann nicht mehr um ihre Textualität, sondern um den Prozess des Aufführens, Ausstellens und Lesens:

      Dann erscheint die Ereignishaftigkeit von Texten in konkreten Lesesituationen, Installationen oder Aufführungen mit der Ereignishaftigkeit des Textes, seine Performanz mit einer anderen Performanz oder Performance konfrontiert. Dabei trifft das raumzeitliche Verhältnis des Textes auf den Raum und die Zeit des Vortrags (konkret erzählte Zeit auf Erzählzeit), die Stimmen des Textes auf die Stimme, die den Text spricht.11

      Obwohl Erika Fischer-Lichte in ihrer Einführung in die Performativität klar einen Schwerpunkt auf den Aufführungsbegriff setzt, widmet sie einen Teil ihrer Ausführungen dem Performativen in der Literatur. Sie grenzt dabei literarische Texte von institutionell gestützten Texten wie z.B. Gesetzestexten oder heiligen Texten ab, ebenso von sog. „verkörperten Texten“ wie slam poetry etc., denen eine Aufführungssituation zugrunde liegt.12 Fischer-Lichte sieht in der Literaturwissenschaft die Hauptfrage in Bezug auf das Performative darin, „inwiefern literarische Texte etwas zu erzeugen vermögen, was sie selbst noch nicht sind.“13 Sie fasst zusammen – und daran lässt sich auch für eine Lektüre der Prosa-Edda anschliessen – was sie unter darunter versteht, literarische Texte unter der Perspektive des Performativen zu betrachten:

      [das] heisst also, ihre Verfahren offenzulegen, mit denen sie eine neue, ihre eigene, Wirklichkeit konstituieren, und den Möglichkeiten nachzuspüren, wie sie durch diese Wirklichkeit auf ihre Leser einzuwirken vermögen, und vermittelt über die Leser ein kulturelles Wirkpotenzial zu entfalten. Wie sich gezeigt hat, sind literarische Texte – auch in dieser Hinsicht Sprechakten, symbolischen körperlichen Handlungen und Praktiken und Aufführungen vergleichbar – von Unvorhersehbarkeit der Lektüre, Ambivalenzen und transformativer Kraft gekennzeichnet, die den Leser für die Zeit der Lektüre und vielleicht sogar über sie hinaus nachhaltig zu verwandeln vermag.14

      In ihrer Einführung fasst Fischer-Lichte zwei Prämissen für die Untersuchung zur Performativität von Texten zusammen: Einerseits wird Lesen als ein Akt der Inkorporation vollzogen und kann damit als Verkörperungsprozess begriffen werden. Weil der Leser in die Welt des Textes eintaucht, kommt er in einen liminalen Zustand, der verschiedene Transformationen ermöglicht.15

      Zusammenfassend kann man den Diskussionsverlauf in den Literaturwissenschaften als eine Verschiebung der Perspektive weg von der Textbedeutung hin zur Textwirkung beschreiben. Es geht nicht mehr um die Repräsentations- oder Bedeutungsfunktion von Texten, sondern um ihre Handlungs- und Erzeugungsfunktion. Gleichzeitig richtet sich der literaturwissenschaftliche Blick auf die Inszenierung, die Medialität sowie die Selbstreferentialität von Texten.16 Mittlerweile wird die Performativität von Texten auf zwei Ebenen analysiert, die weiter unten genauer beschrieben werden: Die sogenannt strukturelle Performativität fokussiert darauf, wie der Text macht, wovon er spricht, oder gegebenenfalls etwas Anderes macht, als er behauptet. Die funktionale Performativität hingegen untersucht, was ein Text beim Rezipienten auslöst.

      Auch in der mediävistischen Literaturwissenschaft hat das Begriffsfeld des Performativen grossen Einfluss gewonnen. Es werden ebenfalls verschiedene Ansätze verfolgt und wiederum lässt sich keine allgemeingültige Theorie bestimmen. Im Folgenden werden wichtige Schritte in der Entwicklung der verschiedenen Ansätze vorgestellt. Diese tragen ihren Teil zum Zugang bei, der in dieser Arbeit verfolgt wird. Sie greifen in einzelnen Abschnitten bereits auf weiter unten vorgeschlagene Verbindungen in die mediävistische Skandinavistik vor. Viele der hier angeführten Gedanken werden für die Lektüre der P-E von Bedeutung sein, auch wenn sie hier erst unter einer allgemeinen Übersicht vorgestellt werden.

      Das Performative wird einerseits als wichtige neue Perspektive in unterschiedlichen mediävistischen Philologien akzentuiert, andererseits wird die Arbeit mit dem Begriff gerade für Phänomene der Vormoderne als problematisch angesehen. Im Zug des performance turn der Kulturwissenschaften in den 1990er Jahren wird das Mittelalter verstärkt als eine performative Kultur bzw. eine Kultur der Performanz angesehen. Im Gegensatz zur Moderne/Postmoderne, die dabei als Sinnkultur mit einem Fokus auf den Verstand und die Zeit beschrieben wird, kann man das Mittelalter auch als eine Kultur der Präsenz bezeichnen. In einer derartigen Kultur ist die Wahrnehmung durch die körperlichen Sinne die Zugangsform zu Welt bzw. zu Gott. Wichtige Aspekte sind dabei Räumlichkeit, Unmittelbarkeit und Körperlichkeit.17 Manuele Gragnolati und Almut Suerbaum untersuchen in ihrem Sammelband von 2010 Aspekte des Performativen in der mittelalterlichen Kultur und heben dabei sog. Präsenzeffekte als wichtig hervor.18 Verhandlungen der performativen „Präsenz-Kultur“ kann man in kulturellen Erzeugnissen wie z.B. in Texten finden. Die Bedeutung von Körper und Raum als Mittel über und durch das man kommuniziert, wird für und in den neu aufkommenden medialen Möglichkeiten des Mittelalters aktualisiert. Ein Text sollte dieselbe Präsenz haben wie der menschliche Körper:

      Study of the performative aspects of medieval culture allows a focus on the ways in which medieval texts, but also medieval forms of recording human behaviour and action, manage to convey both presence and absence simultaneously, thereby creating a space which is open to interpretation. In other words, medieval culture could be thought of as a culture in which the written text is endowed with potential to create presence or indeed as a culture of presence that is at the same time aware of the fact that it is liable to be given meaning through interpretation.19

      Eine performative Perspektive auf mittelalterliche Texte bedeutet dementsprechend zu sehen, inwiefern ein schriftlicher Text über seine paradoxe Wirkkraft reflektiert oder über die Unterschiede zur mündlichen Äusserung nachdenkt. Die Macht des geschriebenen Wortes muss sich erst über die Zeit hin entwickeln. In Gebrauchstexten wie z.B. Urkunden etc. bedarf es lange der gleichzeitigen Machtpräsenz oder Machtdemonstration (z.B. durch Siegel).

      Ebenfalls mit dem Präsenzbegriff arbeitet Hans Rudolf Velten. Er verbindet ihn mit dem Begriff der Aufführung: Weil im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit die Schriftkultur und die mündliche Kultur eng verwoben sind und die Schrift dazu dient, mündliches und körperliches Wissen zu fixieren und für die neuen medialen Möglichkeiten anzupassen, kann man die mittelalterliche Kultur als eine Aufführungskultur bezeichnen.20 Velten führt aus:

      Das Performative spielt als wesentlicher Bestandteil von Präsenz in zahllosen kulturellen Akten wie repräsentativen Herrschaftszeichen, Zeremonial- und Symbolhandlungen, ritualisierten Gesten, Spiel und Wettkampf, in den Inszenierungen von Ritualen religiöser und weltlicher (etwa politischer) Prägung, und eben auch in den verschiedenen Formen der Dichtung und künstlerischen Darstellung eine grosse Rolle.21

      In literarischen und gelehrten Texten – und damit auch in der P-E – bietet sich die Möglichkeit, derartige kulturellen Bedeutungsverschiebungen zu thematisieren.

      Als problematisch wird eine performative Perspektive auf vormoderne Phänomene manchmal deshalb angesehen, weil keine eigene mittelalterliche Theoriebildung zu Fragen des Performativen besteht und mit moderner Theorie an die Kultur des Mittelalters herangegangen wird. Wie alle Disziplinen, die historische kulturelle Praktiken zum Gegenstand haben, kann die mediävistische Literaturwissenschaft keine kulturellen Performances mehr beobachten. Es bleibt für immer unklar, wie diese ausgesehen haben, da weder Ton- noch Bildaufnahmen davon existieren. Erhalten sind einzig Texte, in denen mögliche Spuren solcher Performances enthalten sind – quasi zur Schrift erstarrte Performances. Das Problem einer solchen Auffassung ist, dass immer danach gefragt werden muss, inwiefern sich etwas durch eine Performance Aufgeführtes durch Schrift vermitteln lässt (bzw. auch durch Film- oder Tonaufnahmen). Zwar ermöglicht die Schrift eine Fixierung der flüchtigen Aufführung, sie erlaubt aber auch, die Aufführung umzudeuten und ihr neue Bedeutung zu verleihen. Inwiefern eine verschriftlichte Aufführung eine „reales Aufführungsereignis“ exakt abbildet, kann also nicht mehr bestimmt

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