Handeln mit Dichtung. Sandra Schneeberger

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Handeln mit Dichtung - Sandra Schneeberger страница 11

Handeln mit Dichtung - Sandra Schneeberger Beiträge zur nordischen Philologie

Скачать книгу

einer performativen Perspektive interessieren in der germanistischen Mediävistik zu Beginn vor allem literarische Gattungen wie der Minnesang, Sangspruchdichtung oder frühe geistliche Spiele, heute ist aber auch die Epik im Blick.35 Ganz im Sinne Zumthors gibt es mehrere Studien zum performativen Potenzial mittelalterlicher Literatur.36 Im Vordergrund stehen je nachdem Phänomene wie die Stimme und der Klang, bzw. körperliche Sinne wie das Hören. Ebenfalls von Interesse sind die Aufführungsdimensionen mittelalterlicher Texte.37 So werden beispielsweise durch Schrift vermittelte Rituale oder Prozessionen analysiert. Der enge Zusammenhang von Performativität und Medialität kommt auch in den Untersuchungen zur Botenkommunikation oder zum Briefwechsel im Mittelalter zum Tragen.38 Aktuell wird an einer Verbindung zwischen den Feldern der Performativität und der Emotionsforschung gearbeitet, hier sind weitere interessante Fragestellungen zu erwarten.39

      Wichtig für diese Arbeit sind zwei weitere Kategorisierungen, die in der (germanistisch-) mediävistischen Arbeit mit dem Performativen vorgenommen werden. Eine davon ist oben bereits kurz angesprochen worden und soll hier vertieft werden: Es hat sich als hilfreich erwiesen, eine Trennung von struktureller und funktionaler Performativität vorzunehmen. Funktionale Performativität fragt nach der Wirkung eines Textes, interessiert sich also für eine aussertextuelle Ebene an der Schnittstelle zum Rezipienten. Der Text stiftet Wirklichkeit durch Handlungsanweisungen (ein Dialog zwischen Handschrift und Rezipient wird aufgenommen), er fördert z.B. Gemeinschaft (durch die Stiftung des gemeinsamen kulturellen Gedächtnisses) oder er verändert diese durch die iterativen Inszenierungen bestimmter Inhalte. Im Zusammenspiel mit der medialen Gestaltung wird dieser Wirkungsanspruch gestärkt (oder eben nicht). Strukturelle Performativität interessiert sich demgegenüber für „Performanz im Text“, also z.B. für Strategien, die der Inszenierung von Präsenz, von Mündlichkeit und Körperlichkeit dienen. Dazu gehören beispielsweise fingierte mündliche Kommunikation, ereignishafte Ausrufe oder die Inszenierung von Emotionalität.40 Velten macht aber auf einen wichtigen Punkt aufmerksam:

      Solche performativen Textstrukturen weisen jedoch weniger auf vorgängige Aufführungen hin, sondern sie sind bewusst gelegte Strategien der Schrift mit der Aufgabe, den Text selbst als Bühne von Aufführungen zu präsentieren. Indem solche Inszenierungen auf ihren eigenen, fingierten und artifiziellen Charakter zurückverweisen, können sie ein distanzierendes, sogar parodistisches Potential entfalten.41

      Auch Irmgard Maassen weist darauf hin, dass die genannten Textstrategien keine Spuren von „authentischeren oralen Praktiken“ sind, sondern bewusst gelegte Spuren einer Inszenierung von Oralität und Authentizität in einer Schriftkultur.42 Auch die Lektüren der P-E werden im Hinblick auf diese zwei Dimensionen differenziert. Anschliessend müssen sie jedoch wieder in ihrem Zusammenspiel betrachtet werden, da die eine Dimension nicht ohne die andere existiert. Es wird auch danach zu fragen sein, inwiefern sich die beiden Dimensionen entsprechen oder (bewusst oder unbewusst) Gegensätzliches bewirken.

      Die zweite der angesprochenen hilfreichen Kategorisierungen betrifft Hans Rudolf Veltens vier heuristische Ebenen zur Untersuchung von Performativität: Die erste Ebene ist die Darstellungsebene, auf der Performances und Handlungen im Text wiedergegeben und verstetigt werden. In der Oralitätsforschung richtet sich die Untersuchung dieser Ebene auf die Restbestände oder Spuren von Aufführungen oder Mündlichkeit. Mit einer performativen Perspektive aber wird klar, dass der Text nicht nur als Hilfe für eine Rekonstruktion dient, sondern er „wirkt der Flüchtigkeit von Aufführungen und Gesten entgegen, indem er sie fixiert und ihr kulturelles Wissen produktiv verarbeitet.“43 Wichtig ist diese Ebene für die Analyse von Re-Inszenierungen von face-to-face-Kommunikationen, Gesten und anderen Körperinszenierungen in Texten. Auf der zweiten Ebene interessiert der vormoderne Text als Material für und von Performance, d.h. erst durch Aufführung wird er zu einem Werk: „Zentral ist dabei die Frage, inwieweit der Text etwa Regieanweisungen oder im aktionistischen Sprechen mit situativen Aktualisierungen kalkuliert, welche durch die von ihm angeregten Formen des Lesens, Vorlesens, Vortragens oder Aufführens entstehen.“44 Auch die Materialität des Textes an sich und wie er in aussertextuellen Inszenierungen thematisiert wird, steht auf dieser Ebene im Vordergrund.

      Für die vorliegende Arbeit wichtiger als die ersten zwei Ebenen sind Veltens dritte und vierte Ebene. Sie wiederspiegeln auf gewisse Weise auch die Kategorisierung von funktionaler und struktureller Performativität. Die dritte Ebene (bzw. im Hinblick auf strukturelle Performativität) befasst sich mit der diskursiven Textebene: „Hier geht es darum, wie Performances in den narrativen oder dramatischen Vollzug integriert und simuliert werden. Dazu zählen sprachliche Inszenierungen, mittels deren der Text tut, wovon er spricht.“45 Auf der vierten Ebene (bzw. im Hinblick auf funktionale Performativität) wird die Erzeugung von aussertextueller Wirkung durch den Text analysiert. Einerseits geht es um die Fähigkeit von Texten, Rezipienten zu affizieren, also Gefühle auszulösen. Weiter gedacht geht es aber auch um die Fähigkeit des Textes Wirklichkeit herzustellen: Adressaten können modelliert werden, Diskurse, Emotionen, soziale Zusammenhänge und Ähnliches können konstituiert oder verändert werden.46 Erst in der Verbindung dieser Ebenen bzw. den in ihnen angelegten Reflexionsmomenten wird das Performative zu einer nützlichen Untersuchungsmethode und ermöglicht neue Zugänge zu vormodernen Texten.

      2.2.4 Skandinavistik

      Zwar sind bereits einige Untersuchungen oder Forschungsprojekte in der Skandinavistik entstanden, die sich mit dem Begriff des Performativen den nordischen Materialien annähern.1 Allerdings verfolgen diese einen anderen theoretischen Ansatz als die vorliegende Arbeit und so finden sich nur in gewissen Bereichen Anknüpfungspunkte, die für diese Arbeit hilfreich sind. Eine vertiefte Behandlung davon findet jeweils in den Lektürekapiteln statt. In indirekter Weise haben sich Skandinavisten schon früh für Aspekte des Performativen interessiert. Die weitreichenden Diskussionen rund um die Herkunft der Sagaliteratur und die Wurzeln der nordischen Dichtung drehen sich unter anderem um die Frage, ob man von einer mündlichen Entstehung bzw. spontanen Aufführung oder von einer schriftlichen Komposition ausgehen muss.2

      Direkter an den Performanzbegriff anknüpfend gibt es einerseits Versuche, die Sprechakttheorie im Sinne Austins an die Sagaliteratur und andere Textgattungen heranzutragen. So werden z.B. die Dichtungsphänomene senna, níð und mannjafnaðr oder auch die Strukturen von Weisheitsdichtung als Sprechakte auf intra- wie extratextueller Ebene untersucht.3 Zu schnell werden dabei jedoch die Eigenheiten einer spezifischen literarischen Performativität übergangen und der Übertrag auf das „reale Leben“ ausserhalb des Textes gesucht. Ein ähnliches Problem ergibt sich auch bei Ansätzen, die sich eher aus einer ritualtheoretischen Perspektive mit dem Performativen befassen. Verschiedene – literarische – Texte werden als „schriftlich erstarrte“ Aufführungen verstanden bzw. auf Spuren vergangener Rituale hin gelesen. Da Texte zu den wenigen erhaltenen Quellen für die skandinavische Mythologie gehören, ist es verständlich, diese auch auf derartige Fragen hin zu untersuchen und es ergeben sich spannende neue Zugänge. Für die vorliegende Arbeit ist eine solche Lektüre jedoch problematisch, da gerade die Mythologie, wie sie in der P-E dargestellt wird, als eine klar für die Schriftlichkeit konzipierte Mythologie verstanden wird. Deshalb steht hier hauptsächlich der Text selbst im Vordergrund.

      Vertieft mit dem Begriff des Performativen (v.a. in Beziehung mit dem Medialen) in der altnordischen Literatur beschäftigt sich Jürg Glauser. Am Beispiel der Sagaliteratur bespricht er beispielsweise die Voraussetzungen für gelungene und misslungene Kommunikationsakte.4 Seine Beobachtungen zu den verschiedenen medialen Umsetzungen und deren Bewertungen in den Texten ebnen den Grund für die vorliegende Arbeit. Glauser weist darauf hin, wie eminent wichtig der Körper für gelungene Kommunikation ist, sei es im mündlichen oder auch im schriftlichen Bereich. In der nordischen Literatur des Mittelalters scheint nur durch den menschlichen Körper eine verlässliche Überlieferung möglich. Die Schrift alleine ist immer korrumpierbar und losgelöst von einem „Medium Körper“ nicht gleich verlässlich wie mit. Die Schrift und mit ihr die Literatur ermöglicht aber auch die Schaffung von neuer

Скачать книгу