Handeln mit Dichtung. Sandra Schneeberger

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Handeln mit Dichtung - Sandra Schneeberger Beiträge zur nordischen Philologie

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„Performativität wird in den entsprechenden Teilprojekten weniger als neues Paradigma beansprucht, denn als offenes Forschungsprogramm, als Konstellation kulturwissenschaftlicher Fragen inhaltlicher und methodologischer Art.“26 Hetzel sieht diese Offenheit als Möglichkeit, sich neueren Kunstformen zu nähern: „Gerade für das Verstehen neuerer Kunst- und Kulturformen erweist sich der performative turn der Kunstwissenschaften dabei als äusserst fruchtbar, scheitern hier doch, wie Fischer-Lichte betont, traditionelle ästhetische Leitunterscheidungen wie die zwischen Werk, Produzent und Rezipient.“27 Dass sich diese Offenheit nicht nur für die Erforschung neuerer Kunstformen als hilfreich erweist, sondern auch bei der Arbeit an vormodernen Kulturphänomenen, zeigt sich in der breiten Annahme des Diskurses.

      Die strikte Trennung in ein „vor“ und „nach“ dem performative turn, wie sie u.a. Fischer-Lichte konstatiert, ist aber nicht sinnvoll.28 Zwar treten mit dem performative turn neue Aspekte von Kultur in den Blick und der bisher vernachlässigte Bereich des Performativen rückt in den Fokus. Aber es ist nicht hilfreich, den bisherigen Textbegriff zugunsten eines Performancebegriffs aufzugeben. Besser ist es, das Performative im Rahmen des Textes zu betrachten. So sagt z.B. André Bucher:

      Denn der Text hat selbst eine eminent performative Dimension, die sich zwar im Konkreten von derjenigen einer künstlerischen Performance unterscheidet, im Prinzipiellen aber keineswegs. Auch ein Roman muss geschrieben und gelesen werden, auch ein Theaterstück inszeniert und die Inszenierung rezipiert, auch ein Gedicht muss vorgetragen oder still im Fauteuil goutiert werden, und ohne diese Vollzüge sind sie nicht.29

      Ein Text existiert nicht ohne Performanz, umgekehrt gibt es keine Performanz ohne Text. Daher lohnt sich die Unterscheidung zwischen einer Kultur des Textes und einer postmodernen Kultur der Performance nicht: „Auch die klassischen Formen der Repräsentation, etwa das aristotelische Drama oder der Entwicklungsroman, sind eminent performativ, sofern sie ihre Inhalte nicht nur bezeichnen oder abbilden, sondern überhaupt erst hervorbringen.“30 Es sollte folglich nicht zwischen dem Text und der Performanz unterschieden werden, sondern zwischen zwei Dimensionen des Textes: Jeder Text hat eine repräsentative und eine performative Dimension. Erstere „qualifiziert den Text hinsichtlich dessen, was er repräsentiert, hinsichtlich der symbolischen Bedeutungen, die er aufgreift aus dem – historisch, topologisch, metaphysisch oder wie auch spezifizierten – Reservoir des Imaginären, die er in je spezifischer Weise akzentuiert oder überhaupt erst als solche hervorbringt.“31 Die performative Dimension jedoch betrifft den Effekt und die Wirkung, die der Text auslöst. Es geht dabei um die Aufführungs- resp. die Vollzugsmomente des Textes sowie die damit verbundenen Veränderungsprozesse. Sowohl die repräsentative als auch die performative Dimension des Textes wirken zusammen, sie sind nicht klar trennbar. Das Was der Darstellung ist notwendig an konkrete Akte und Vollzüge gebunden, die es hervorbringen und immer neu aktualisieren, das Wie wiederum lässt sich nur durch das hindurch fassen, was die Darstellung selbst hervorbringt, oder unter Umständen auch hintertreibt.“32 Mit diesen Beobachtungen wird die enge Verknüpfung des kulturwissenschaftlichen Diskurses mit demjenigen der Literaturwissenschaften deutlich.

      2.2.3 Neuere und ältere Literaturwissenschaft

      Auch in der Literaturwissenschaft entwickelt sich ein eigener Begriff des Performativen resp. von Performativität und einige der oben beschriebenen Diskurse haben sich auf das literaturwissenschaftliche Verständnis ausgewirkt: „In der Literaturtheorie ist immer wieder darauf hingewiesen worden, dass das, was Literatur tut, mindestens genauso viel Beachtung verdiene wie das, was sie sagt […].“1 Jonathan Culler vergleicht die literarische mit der performativen Äusserung und stellt fest, dass beide sich nicht auf eine bereits gegebene Situation beziehen und beide weder wahr noch falsch sind. Zusammenfassend parallelisiert Culler:

      Kurzum, das Performative lässt einen Sprachgebrauch mit einem Mal zentral erscheinen, der bis dahin immer nur als marginal gegolten hat – einen aktiven, weltentwerfenden Sprachgebrauch, der Ähnlichkeiten zur literarischen Sprache aufweist –, und es bringt uns dazu, Literatur als Handlung oder Ereignis aufzufassen.2

      Auf den Aspekt der Literatur als Ereignis wird später zurückzukommen sein. Es stellt sich zuerst die Frage, inwiefern die literarische Sprache performativ ist bzw. im Sinne von Austins Sprechakttheorie glücken oder nicht glücken kann. Durch das Modell des Performativen wird nach Culler die Aufmerksamkeit auf die Konventionen gelenkt, die es einer Äusserung ermöglichen, ein Versprechen oder eben Literatur (z.B. ein Sonett) zu sein: „Das Glücken einer literarischen Äusserung könnte somit auch von ihrem Verhältnis zu den Konventionen einer literarischen Gattung abhängen. Fügt sie sich den Regeln und gelingt dementsprechend als Sonett oder geht sie daneben?“3 Weitergedacht könnte das bedeuten, dass ein literarisches Werk erst dann geglückt ist, „wenn es durch Veröffentlichung, Lektüre und allgemeine Anerkennung in vollem Umfang zu Literatur geworden ist, genauso wie eine Wette erst dann zur Wette wird, wenn sie als solche anerkannt wird.“4

      Das Glücken eines Sprechaktes hängt laut Austin u.a. davon ab, ob er in einem angemessenen Kontext gesprochen wird und z.B. durch die Institution der Kirche oder des Gesetzes legitimiert ist. In gleicher Weise funktionieren auch Texte, die institutionell eingebunden sind (bspw. Gesetzestexte oder Urkunden). Geht man davon aus, dass ein Text das tut, wovon er handelt bzw. die darin thematisierte neue Wirklichkeit auch aussertextuell herstellt (also performativ ist), so stellt sich die Frage, ob und inwiefern auch literarische Texte, die institutionell nicht gebunden sind, die Wirklichkeit, auf die sie verweisen, erschaffen.

      Der Begriff des Performativen in der Literaturwissenschaft entwickelt sich vom Sprechakt hin zu Schreib- und Leseakten. Einer der Gründe dafür ist die ursprüngliche Eingrenzung des Begriffs des Performativen auf „realweltliche“ Äusserungen (Austin sieht in der Literatur und im Theater nur „parasitäre Formen“ von Sprache). Roland Barthes und Jacques Derrida sind für diese Entwicklung prägend: „Roland Barthes […] setzt Performativität mit Selbstreferentialität gleich. Im Akt des Schreibens, den er als ein Performativ (im Sinne Austins) auffasst, habe die Äusserung keinen anderen Inhalt (keinen anderen Äusserungsgehalt) […] als eben den Akt, durch den sie sich hervorbringt.“5 Barthes sieht das Schreiben als ursprungslos und als Gewebe, bestehend aus unzähligen Zitaten an.6 Auch bei Derrida besteht ein Text aus Zitaten und der Fokus rückt vom Schreiben auf das Lesen: im Leseakt werden diese Zitate in den Leser eingeschrieben.7 Um nochmals mit Culler zu sprechen:

      Aber das, argumentiert Derrida, was Austin im Verweis auf so genannte „Normalbedingungen“ ausgrenzt, sind genau die vielfältigen Möglichkeiten, sprachliche Elemente zu wiederholen – und zwar „unernst“, aber auch ernsthaft wie etwa in einem Beispiel oder einem Zitat […] Die Wiederholbarkeit ist ein Grundmerkmal von Sprache, und gerade Performative funktionieren nur dann, wenn sie als Versionen oder Zitate regelgeleiteter Formeln erkannt werden wie etwa: „Ja, ich will“ oder: „Ich verspreche es“.8

      Derrida spricht von einer Grundeigenschaft der Sprache, die er als „generelle Iterabilität“ bezeichnet. Erst durch die Möglichkeit der Wiederholung bekannter Handlungsgewohnheiten (in ernsten wie auch unernsten Kontexten) kann Sprache Handlungen vollziehen und ist nicht nur Übermittler von Informationen.9

      Silvia Sasse unterscheidet zwischen zwei möglichen Herangehensweisen in der Literaturwissenschaft: Einerseits spricht man von Performativität oder der Performanz literarischer Texte:

      […] und bezieht sich auf das Konzept literarischer Performativität bzw. Performanz: auf die Literarizität oder Rhetorizität von Sprache. Oder man bezieht sich auf Texte in Performanz, wobei es sich dann um das mediale, situative Bewegen von Texten in Aufführungssituationen, beim Lesen, in Installationen, Aktionen, Filmen handelt – also in künstlerischen Prozessen oder in Prozessen, in denen diese literarischen Texte auftauchen, etwa in den Medien, in der Literaturwissenschaft oder auch vor Gericht.10

      Zum ersten Punkt (literarische Performativität

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