Handeln mit Dichtung. Sandra Schneeberger

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Handeln mit Dichtung - Sandra Schneeberger Beiträge zur nordischen Philologie

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Dimensionen im Rahmen von Welten zweiter und dritter Ordnung zu studieren […].6

      Literarische Texte aus der Vormoderne sind dabei besonders interessant für eine performative Herangehensweise, denn:

      Sie entstammen einer Kultur, die – wie die Forschung der letzten Jahrzehnte hervorgehoben hat – durch Aspekte wie Körperlichkeit, Mouvance, Ritualität, symbolische Kommunikation, Partizipation, Plurimedialität gekennzeichnet ist. In ihr scheinen zahlreiche Phänomene, seit der Neuzeit durch codifizierte Regularitäten festgelegt, in konstitutiver Weise auf je neue Verhandlung und Geltungssicherung angewiesen zu sein.7

      Wie bereits gezeigt, sind uns die genannten Phänomene in Gestalt von Aufführungen o. ä. heute nicht mehr zugänglich. In überlieferten Aufzeichnungen – in Texten – sind aber dennoch gewisse Sinnpotentiale enthalten, die es sich zu untersuchen lohnt. Es sind keine minderwertigen Stufen einer einstmals realen Situation, sondern eigenständige und auf die Schriftlichkeit hin komponierte Kunstwerke. Es ist zu hoffen, dass über die Theorien des Performativen, diese (performativen) Aspekte der vormodernen Kultur vertieft betrachtet werden können. Dafür braucht es ein verbindendes Analysewerkzeug. Herberichs/Kiening nennen drei Aspekte, die sie als charakteristisch für eine Lektüre im Hinblick auf literarische Performativität in vormodernen Texten ansehen: Die drei Aspekte werden unter Sagen als Tun, Wiederholung/Wiederholbarkeit sowie Rahmung verschlagwortet. Das performative Potential eines Textes lässt sich an diesen Aspekten sichtbar machen, allerdings geht es nicht um die reine Auflistung einzelner Phänomene. Erst im Zusammenspiel der verschiedenen Aspekte wird das Performative als Beschreibungsmodell aussagekräftig.

      Als Ausgangspunkt für eine neue Lektüre der P-E scheinen diese drei Aspekte vielversprechend, da sie – wie die Edda – die Diskussion der Bedingungen und Möglichkeiten von Sprache und Literatur in den Blick nehmen. Die drei Aspekte machen das performative Potential des Werks sowohl auf struktureller als auch auf funktionaler Hinsicht sichtbar. Sie sollen als rote Fäden der einzelnen Lektüren dienen und werden bei Bedarf weiterentwickelt. Anders als bei Herberichs/Kiening werden die drei Aspekte nicht nur auf einer rein textuellen Ebene betrachtet, sondern die ganze Handschrift wird in eine Analyse miteinbezogen (was zwar von Herberichs/Kiening unter dem Aspekt der Rahmung ebenfalls geschieht, jedoch umfassender betrachtet werden soll). Gerade die Möglichkeit, mithilfe des theoretischen Zugangs eine verbindende Lektüre der verschiedenen Werkteile vorschlagen zu können, ist das Ziel dieser Arbeit. Eine erste Übersicht über die drei Aspekte literarischer Performativität nach Herberichs/Kiening wird im Folgenden vorgenommen, die Anwendung resp. eine allfällige Weiterentwicklung geschieht in den Analysekapiteln.8

      2.4 Drei Aspekte literarischer Performativität

      2.4.1 Sagen als Tun

      Unter diesem – etwas sperrigen – Titel werden bei Herberichs/Kiening Momente bezeichnet, in denen mit Sprache gehandelt wird. Momente also, die an Fragen der klassischen Sprechakttheorie erinnern. In der realen Welt ermöglicht es die soziale Dimension der Sprache in Verbindung mit dem menschlichen Körper, durch Sprache zu handeln bzw. Macht auszuüben. Ebenfalls entscheidend für die Wirkung ist der institutionelle Kontext, in dem etwas durch Sagen getan wird. Sybille Krämer macht in diesem Zusammenhang auf eine – für die vorliegende Arbeit – wichtige Besonderheit von Austins Auswahl der ursprünglichen Performativa1 aufmerksam:

      Ursprüngliche Performativa sind Rituale, Restbestände einer quasi-magischen Praktik im zeremoniellen Reden. […] Die illokutionäre Rolle von Äusserungen wird gewöhnlich mit in Zusammenhang gebracht mit ihrer Bindungsenergie, kraft deren der Sprecher eine soziale Beziehung mit dem Adressaten aufnimmt, die auch zukünftige Verpflichtungen einschliesst. Doch der Standesbeamte, der traut, der Priester, der tauft, der Richter, der ein Urteil spricht, stiften damit keineswegs eine soziale Bindung zu den Verheirateten, dem Getauften und dem Verurteilten. […] Die ursprünglichen Performativa gehören nicht der persönlichen Rede an: Hierin wurzelt deren ‚Aufführungscharakter‘, insofern diese Sprechakte nicht einfach an den Hörer, sondern an Zuhörer gerichtet sind […].2

      Um als ritualisierter Sprechakt wirksam zu sein, braucht es ein Machtgefälle zwischen dem Sprecher und dem Angesprochenen. Die Wirksamkeit liegt nicht in der reinen sprachlichen Form, sondern in den gesellschaftlichen Umständen. Hier wird die enge Verbindung zum weiter unten dargestellten Aspekt der Wiederholung/Wiederholbarkeit deutlich: Erst im wiederholten Handeln bzw. in wiederholten kulturellen Praktiken ergibt sich die Autorität eines Richters, Priesters etc.3 Inwiefern die P-E mit einer auf Autoritätsgewinnung ausgelegten Wiederholung als textuelle Strategie arbeitet, wird in Kapitel 2.4.2 beleuchtet.

      In der literarischen Welt funktioniert sprachliches Handeln anders als in der realen Welt:

      Das „Handeln“, das in den Texten und durch sie stattfindet, kann von den Geltungsbedingungen alltäglichen Handelns entlastet sein, hat damit aber auch erst einmal eigene Geltungsbedingungen herzustellen. Wortmächtige Akte wie Segen, Gebete oder Verfluchungen besitzen, in Texten mitgeteilt, nicht von vornherein Evidenz, vermag die Schrift doch grundsätzlich ursprüngliche Bedeutungen immer auch zu verändern oder ins Latente zu verschieben.4

      In der realen Welt erhält ein Sprechakt durch eine ihm vorausliegende Geltung Wirkkraft. Ein literarischer Text muss diese Verbindlichkeit gleichzeitig konstituieren und auf sich übertragen. Das, worauf er sich stützt, muss er zugleich selbst hervorbringen. Das ermöglicht der Literatur immer auch das Spiel zwischen tatsächlicher und behaupteter Geltung und lässt ihre Wirkkraft entweder steigern oder einschränken. Die Evidenz literarischer Sprechakte muss deshalb durch zusätzliche Strategien gewonnen werden: „[…] zum Beispiel durch Anleihe bei onto-theologischen Konzepten, transzendenten Ursprüngen oder rechtlich normativen Modellen.“5 Für die christliche Vormoderne beruht die Wirkmacht von Sprache auf bestimmten kulturellen Vorbedingungen, nämlich auf:

      […] dem im Eingang der Genesis entwickelten und im Prolog zum Johannes-Evangelium aufgegriffenen Gedanken, die Welt sei durch die zugleich ursprünglichen und ewigen Schöpfungsworte Gottes hervorgebracht und damit Resultat einer Identität von Sprechen und Handeln. Dieser Gedanke bot den Hintergrund und Geltungsrahmen für die Übertragung transzendenter Bedingungen auf immanente: Das göttlich inspirierte oder autorisierte Wort, die christliche Offenbarungsmacht von Sprache und Schrift, sie ermöglichen es, Texte mit Transzendenzenergie aufzuladen und mit ontologischen Zügen zu versehen – als nicht nur Veranschaulichungen und Repräsentationen, sondern Verkörperungen und Realisationen genuin heilsgeschichtlicher Texte. Auch dort, wo es um die Legitimierung von Herrschaft, die Setzung von Recht oder allgemein die Schaffung von Geltung und Verbindlichkeit ging, spielte der nicht bloss referentielle oder mimetische, sondern performative und vollzugshafte Charakter von Texten eine Rolle.6

      Literarische Texte rufen eine derartige Evidenz nicht einfach auf oder übernehmen sie, sondern sie stellen sie aus und reflektieren sie. So können z.B. intradiegetische Sprachhandlungen dem extradiegetischen Handeln des Textes entgegenstehen und so das Paradox des Performativen gerade hervorheben. Wie sich in der Lektüre der P-E zeigen wird, lassen sich performative Aspekte von Sagen als Tun auf verschiedenen Ebenen finden. In Gylfaginning werden bspw. sowohl auf der Rahmen- als auch auf der Binnenebene Eide geschworen, Flüche ausgesprochen und Versprechen gegeben bzw. gebrochen. Die Genesis und das Johannes-Evangelium als kulturelle Vorbedingungen gelten natürlich auch für das Entstehungsumfeld der P-E, was sich deutlich in der Gestaltung des Prologs und seinen Verbindungslinien zur Konzeption von Gylfaginning zeigt. So kann man z.B. die gesamte Gylfaginning als performativen Sprechakt/Schreibakt verstehen: Der Text berichtet über die Entstehung und das Wesen des nordischen Kosmos und stellt ihn als Lehre dieser Welt vor. Gleichzeitig stellt er aber auf ausgeklügelte Weise aus, dass diese Welt erst durch seine Erzählung entsteht und nur die konstante Weitererzählung ihr Bestehen sichert. Die Art und Weise, wie ein Text mit solchen Performativa verfährt, hilft dem

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