Political Scholar. Alfons Söllner

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Political Scholar - Alfons Söllner

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der „religiösen Psychologie“ hält sich Löwenthal ganz eng an Baaders System, was einen gewissen Widerspruch zu der Behauptung darstellt, es gebe bei ihm kein „System“, sondern einen „organischen Kreis“ der Begriffe („Orthognosis“)16. Ausgehend von der prinzipiellen Unterscheidung: „Geschichtliche Wahrheiten sind bedingte Wahrheiten, religiöse Wahrheiten gelten bedingungslos“17 kommt er, eigentlich entgegen seiner eigenen Intention, zur Verdammung jeder utopischen Geschichtsauffassung, die, wie der Fall des Bolschewismus zeige, notwendig im Atheismus landet. Als Gegenzeugen, als Vorläufer einer „echt religiösen“ Auffassung des menschlichen Seelenlebens werden Paulus, Jakob Böhme, aber auch Aristoteles aufgerufen, um sodann als das Zentrum jeder religiösen Psychologie das Gebot der Liebe einzuführen, das von den „Kreaturen“ nur eingelöst werden kann, wenn ihre theologische Einbettung garantiert ist: „Gott ist die Liebe.“18

      Und erst von hier erfolgt dann ein ziemlich abrupter Sprung in die konkreteren Gestalten des sozialen Lebens, in den Staat und die gesellschaftlichen Korporationen, in die das Individuum sich vor allem „einzuordnen“ hat, wodurch gleichzeitig auch das traditionelle Problem der „Willensfreiheit“ gelöst sein soll und die nachgeschobene Abrechnung mit der kantischen Moralphilosophie und der darauf aufgebauten Autonomieethik eigentlich überflüssig geworden ist, „weil derjenige, welcher frei sein wollte ohne Gehorsam, erst Gehorsam ohne Freiheit üben muss, damit er zur wahren, seiner Natur als Mitwirker gemäßen Intensität des Gehorsams und der Freiheit, des Dienens und des Herrschens gelange (Baader)“.19

      Mit der Darstellung von Baaders „Sozietätsphilosophie“ im engeren Sinn, auf die hin Löwenthals Abhandlung von Anbeginn geschrieben ist, tritt die Argumentation in ihr eigentliches Stadium, nicht zuletzt weil hier die Ambivalenzen hervortreten, die vorher gleichsam latent geblieben waren: Jetzt steht die moderne „bürgerliche Gesellschaft“ zur Debatte, deren Losungsworte „Freiheit“ und „Gleichheit“ auch aufgerufen werden, aber nur um sofort wieder zurückgebunden zu werden in die theologisch begründete Autoritätsordnung. Zwar sei eine „Theokratie“ im Sinne des Alten Testamentes nicht mehr zeitgemäß, aber auch die modernen Herleitungen einer rechtlich gesteuerten Gesellschaft, etwa die von Hobbes oder Rousseau, werden verworfen, weil sie letztlich in den „Nihilismus“ münden, ebenso wie Baader als der „tatsächliche Gegenspieler zu Hegel und zu Marx“20 aufgebaut wird. Sie alle verfallen dem Verdikt der „Zeit- und Geschichtsbigotterie“, gegen die Baaders „andere“ Konzeption der „Zivilgesellschaft“ aufgeboten wird.

      In dieser Zivilordnung „spricht zwar auch das Gesetz“21. Wenn aber dann – in gewisser Analogie zur Hegel’schen Rechtsphilosophie – die hierarchische Reihung von Familie, Korporation und Staat aufgemacht wird, so ist der Eindruck von liberalen Zugeständnissen an die moderne Entwicklung schnell wieder verflogen, zumal eindeutig konstatiert wird, dass die „Korporation par excellence“ keine andere ist als die Kirche. An dieser Stelle vermerkt Löwenthal zwar „Baaders Kampf gegen den Papalismus“, um dann aber seine politische Haltung so zusammenzufassen: „Baader ist kirchlicher und politischer Monarchist, aber eben ständischer Monarchist: nur des Hauptes und der Glieder geeinter Organismus vermag die Sozietät zu erhalten.“22 Wieder sind durch dieses ständische Element – und zwar gerade mittels seiner theologischen Bindung – weitere Ambivalenzen einer insgesamt autoritätsgebundenen Sozietätslehre signalisiert: Es gibt bei Baader so etwas wie eine gegenläufige Enthierarchisierung des Souveränitätsproblems („das Volk ist vom Regenten abhängig und der Regent vom Volk, denn ihrer beider Beziehung wurzelt, ruht bei Gott, vor dessen Stuhl sie Rechenschaft schuldig sind“), vorstellbar ist sogar ein theologisch begründetes Widerstandsrecht, das freilich in die seltsame Form einer Gleichberechtigung zwischen Herrscher und Volk gekleidet ist.23

      In ihr argumentatives Entscheidungsstadium aber tritt Löwenthals Dissertation angesichts der „sozialen Frage“. Baader hatte 1835 bekanntlich auf sie mit einer aufsehenerregenden Schrift reagiert: Über das dermalige Missverhältnis der Vermögenslosen oder Proletairs zu den Vermögen besitzenden Klassen der Sozietät in betreff ihres Auskommens, sowohl in materieller Hinsicht, aus dem Standpunkte des Rechts betrachtet. Diesen umständlichen Titel kann man geradezu als Allegorie darauf verstehen, dass Baader ihre politische Brisanz einerseits erkannte, aber andererseits alles aufbot, um den Funken der Revolution im Keim zu ersticken, der von Frankreich auf Deutschland überzuspringen drohte. Die analoge Ambivalenz zeigt sich auch bei Leo Löwenthal, wenn er die Versuchung der Revolution primär dem „wildesten Despotismus, der sich unter dem Namen Liberalismus verbirgt“, zurechnet, während er den Prozess der „Säkularisation“ nur als weltgeschichtliche „Sünde“ geißeln kann. Ihn aufzuhalten, wird zur eigentlichen, zur legitimen Aufgabe der „Gegenrevolution“: „Theologie, Kirche und Proletariat werden so zu Mitteln einer Theorie und Politik, die die im Anbruch befindliche bürgerliche Gesellschaft (im modernen Sinne dieses Wortes) auf ihrem Wege aufhalten sollen. Von oben und von unten wird der Versuch zur Rückgängigmachung der Säkularisation unternommen.“24

       Jüdische Religionsphilosophie als geistesgeschichtliches „Puzzle“

      Wenn diese Lektüre von Löwenthals Dissertation zutrifft, dann war ihr auffälligster Zug die rein immanente Rekonstruktion der Baader’schen Religionsphilosophie, die sich selbst angesichts drängender zeitgeschichtlicher Probleme keinen Ausbruch aus dem restaurativen katholischen Denkgebäude gestattete. Dies ist es, was Löwenthals Baader-Lektüre nicht nur als dogmatisch, sondern als „neo-orthodox“ erscheinen lässt. Wird hier ein starkes Kontinuitätselement zu seinen religiösen Wurzeln greifbar, so bleibt das große Rätsel, warum Löwenthal sich an einem dezidiert christlichen Autor erprobte, und nicht, was viel näher gelegen hätte, an einem jüdischen Denker. Ich muss gestehen, dass ich auf diese Frage keine Antwort gefunden habe. Gab es auch nach der Herstellung der staatsbürgerlichen Gleichheit noch den überkommenen Konversionsdruck, der die Taufe einst zum Entréebillet in die christliche Welt gemacht hatte (Heinrich Heine)? – oder kam es umgekehrt vielleicht sogar einer doppelten Häresie gleich, wenn ein neo-orthodoxer Jude sich auf das Terrain der christlichen Religionsphilosophie verirrte? Auffällig ist jedenfalls, dass Löwenthal weder in den Weimarer Schriften noch in seinen Erinnerungen jemals wieder auf die Baader-Studie zu sprechen kam.25

      Aber für den examinierten Studenten gab es offenbar andere Probleme zu lösen: Die Berufsfrage trat in den Vordergrund, und eine akademische Karriere schien außerhalb der Reichweite. So bleibt Löwenthal in Frankfurt und beginnt sich in der praktischen Gemeindearbeit zu engagieren. 1924 nimmt er bei der „Beratungsstelle für ostjüdische Flüchtlinge“ die Stelle eines Syndikus auf und wird damit zeitweilig hauptberuflicher Mitstreiter im Netzwerk jüdischer Sozialarbeit, das sich über das ganze Deutsche Reich erstreckte. 1926 legt er das Preußische Staatsexamen für das Gymnasium ab und arbeitet ab 1927 als Lehrer für Deutsch, Geschichte und Philosophie an verschiedenen Schulen in Frankfurt. Nebenher ist er bereits für das Institut für Sozialforschung tätig. Wichtig an diesen beruflichen Arrangements ist, dass Löwenthal seinen bisherigen Freundeskreis behalten kann, dass er weiterhin intensive Kontakte zu den ehemaligen Mitgliedern des Nobel-Kreises, z. B. zu Siegfried Kracauer und Ernst Simon pflegt und dass er auch im Magnetfeld des Freien Jüdischen Lehrhauses verbleibt.

      Es war dieses jüdische Milieu, für dessen Vitalität Frankfurt in den 1920er Jahren berühmt war und in dem sich der junge Löwenthal offenbar wie der Fisch im Wasser bewegte.26 Signifikant für seine Entwicklungsmöglichkeiten als Intellektueller ist vor allem seine Vortragstätigkeit in verschiedenen jüdischen Einrichtungen, die seit Mitte der 1920er Jahre dokumentiert ist und sich schrittweise auf die gesamte Rhein-Main-Region ausweitet: So kündigt er z. B. im November/Dezember 1925 eine vierteilige Vortragsreihe im Freien Jüdischen Lehrhaus an, er referiert in der „Nassau-Loge“ und im Jüdischen Lehrhaus in Wiesbaden oder bei der „Gesellschaft Eintracht“ in Bensheim, die von Martin Buber geprägt war. Dazu gehörte auch eine begrenzte Öffentlichkeit, in der sich intellektuelle Ambitionen entfalten konnten. So publiziert Löwenthal ab 1925 im „Jüdischen Wochenblatt“ und ab 1926 im „Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde“

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