Political Scholar. Alfons Söllner

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Political Scholar - Alfons Söllner

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zum Kritizismus von Kant, der die radikalste Ausprägung der deutschen Aufklärung verkörpert.36 Während Mendelssohn vor solcher Konsequenz in erkenntnistheoretischer Hinsicht eher zurückschreckte, ging er ihr in anderer Hinsicht sogar voran: Seine Freundschaft mit Lessing beruhte nicht zuletzt auf der „Entdeckung der Kunst als einer besonderen Art unseres Bewusstseins“, was „dem Bürgertum den neuen Ausdruck befreiten Gefühlslebens“ bescherte und von Kant schließlich in der „Kritik der Urteilskraft“ philosophisch ratifiziert wurde.37

      Dass Mendelssohn in der Galerie der „großen Geister“ bereits volle Gleichberechtigung zukam, wird absichtsvoll unterstrichen durch die einfühlsame Skizze eines gegenläufigen Schicksals: Die „Lebensgeschichte“ des Salomon Maimon interessiert Löwenthal als der „dokumentarische Niederschlag eines ostjüdischen Versuches, in die rationale Bildungswelt des deutschen Bürgertums vor 1800 einzudringen“.38 Dieser Versuch, der in Königsberg beginnt und auf dem Weg durch Europa alle Höhen und Tiefen durchläuft – in Berlin wird seine Kant-Schrift hoch gelobt, vom Hamburger Konsistorium wird seine Taufe abgelehnt, in Amsterdam gelingt ihm nicht einmal der Selbstmord –, ist am Ende tragisch gescheitert: „Als Maimon 1800 stirbt, wird er als Ketzer verscharrt.“39 Am signifikantesten an dieser Westwanderung eines Ostjuden ist vielleicht, was Löwenthal zwar nicht verschweigt, aber doch im Hintergrund belässt: Er führt das Scheitern des Salomon Maimon mehr auf seine philosophischen Versäumnisse zurück als auf die offensichtlichen Grenzen des christlich-bürgerlichen Toleranzwillens, der in Deutschland bekanntlich weit hinter den Gleichstellungspostulaten der Französischen Revolution zurückgeblieben war.

      Damit ist das Stichwort gefallen, das auf Heinrich Heine verweist. Und jetzt, bei diesem Paradebeispiel aus der Mitte des 19. Jahrhunderts steht Löwenthal nicht an, den Stier bei den Hörnern zu packen: „Warum ist Heine Christ geworden?“, lautet sein provozierender Einstieg – provozierend sowohl für die jüdische wie für die christliche Gemeinde; denn was von Heine selber als Antwort auf diese Frage zitiert wird, lässt zweifelsfrei erkennen, dass Heine sich weder im Judentum noch im Christentum zu Hause fühlen konnte, weil er in jedem positiven Glaubensbekenntnis wenn nicht Heuchelei, so doch einen Vorwand für andere Interessen erblickte. Wenn also auch für ihn der „Taufzettel nur das Entréebillet zur europäischen Kultur war“, so steckte in dieser zynischen Formulierung dennoch – und darauf kommt es Löwenthal an – ein politisches Bekenntnis: „Europäische Kultur – das bedeutet für Heine das Europa der französischen Revolution.“40 Aber auch hier bleibt der auf Emanzipation drängende Generalisierungsgedanke nicht stehen, vielmehr wird in den von Heine vollzogenen Identitätswechseln eine doppelte Bewegung sichtbar gemacht, die gleichzeitig Regression und Progression ist: Regress zu den von Heine verleugneten jüdischen Wurzeln, die für Löwenthal auf Maimonides zurückverweisen, und Progression, weil in denselben Wurzeln ein vorwärtsweisendes Element, das messianische Bewusstsein wiederentdeckt wird: die „Sehnsucht nach dem gelobten Land“, die der Kern des „nationaljüdischen Geschichtsbewusstseins“41 sei.

      Aber diese Entwicklungslinie hier abzubrechen, hieße Heine auf ein nationalistisches Missverständnis festschreiben. Löwenthal kommt es auf die Fortsetzung der geschichtsphilosophischen Dynamik an: „Heine nimmt den Begriff der Befreiung auf und versteht ihn zunächst genau so, wie ihn die Reform verstanden hat – als die Befreiung der Juden aus unwürdiger Knechtschaft. Aber sehr bald wächst ihm dieser Begriff der jüdischen, der nationalen Befreiung zur menschheitlichen Befreiung.“42 Und daraus wiederum ergibt sich der weitere Abstraktionsschritt, der in der Geschichte des Vormärz tatsächlich gegangen worden ist, der die engagierten Demokraten aus Deutschland herauskatapultiert und nach Frankreich, ins Abenteuer der Revolution hineingeführt hat. Aber bevor Löwenthal auf Karl Marx und sein Verhältnis zum Judentum zu sprechen kommt, macht er einen bemerkenswerten Umweg, der den Konflikt zwischen Ost- und Westjudentum noch einmal aufnimmt und jetzt sogar entschieden bewertet: Ferdinand Lassalle, immerhin der Gründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, ist für ihn das Paradebeispiel für einen nichtauthentischen Revolutionär, der seine ostjüdische Abstammung nicht loswurde, „weil es ihm niemals gelungen ist, jenes Grunderlebnis des geächteten jüdischen Volkes umzuschmelzen und zu läutern zur Reinheit einer von allem Persönlichem und allem zufällig Biographischen gereinigten Idee“.43

      Das genaue Gegenteil sieht Löwenthal in Karl Marx verkörpert, der „als die wirkliche Fortsetzung der in Maimonides kulminierenden Rationalisierung des Judentums“ gefeiert wird: „Er führt in grandioser Einseitigkeit und denkerischer Überlegenheit die Linie des universalistischen Erkenntnisprozesses fort.“44 Während Lassalle in einem lächerlichen Duell um eine Adlige zu Tode kam, hat Marx die Diskriminierung der Juden positiv verarbeitet und in eine ethische Haltung zu transformieren vermocht, mit der die „menschliche Emanzipation, die Befreiung der ganzen Menschheit von der Last der unterdrückenden Gewalt“ zum politischen Manifest wurde.45 Auffällig ist hier, dass Löwenthal seine Darstellung von Marx fast ausschließlich mit der umstrittenen Frühschrift „Zur Judenfrage“ bestückt, die für ihn das Gegenteil eines „jüdischen Selbsthasses“ ist, während die ökonomischen und klassentheoretischen Schriften kaum erwähnt werden. Der Grund dafür ist ziemlich klar: Löwenthal bleibt ganz auf den Neukantianismus verpflichtet, der in seiner letzten Phase den Übergang in die sozialistische Politik anvisierte, sich diesen aber nur im Horizont eines ethischen Universalismus vorstellen konnte.

      Löwenthal fügt dem allerdings ein starkes Treibmittel hinzu, und das ist eben die messianische Finalisierung des Geschichtsdenkens, die er als das eigentliche Substrat jüdischer Intellektualität behauptet. Dieser Zusammenhang wird überdeutlich im Artikel über Hermann Cohen, der offensichtlich der Höhepunkt und zugleich das Fundament der gesamten Serie ist – jetzt bewegt sich Löwenthal wieder in seinem Element, nämlich in der angestammten jüdischen Religionsphilosophie, und er verlässt den essayistischen Stil zugunsten einer eher systematischen Argumentation. Hermann Cohen ist für Löwenthal nicht weniger als der „moderne Maimonides“, der für den idealen Konvergenzpunkt zwischen Philosophie, Politik und Religion steht, oder moderner und konkreter gesprochen: der das dynamische Zusammenspiel von Kantianismus, Sozialismus und Judentum verkörpert und diese Elemente zu einer universalen „Wissenschaft vom Menschen“ verdichtet hat.46 Deren Aufbau führt Löwenthal in einer Art von Kategorienlehre vor, die über vier Stationen verläuft:

      „Mit der Vernunft […] beginnt die jüdische Religionsphilosophie“, lautet die erste Stufe, und natürlich denkt man sofort zurück an den umgekehrten Beginn, den die Baader’sche Theogonie in Löwenthals Dissertation genommen hatte. Aber immerhin: Die Religion kommt an zweiter Stelle, wobei die Wendung gegen jede Art von Polytheismus oder Pantheismus als selbstverständlich vorausgesetzt wird; denn mit der dritten Stufe ist das Judentum angesprochen, das weniger als eine „mögliche“ Konkretion der Religion ins Spiel kommt, sondern als diejenige Religion, in der „der Begriff Gottes an erster Stelle steht“, und zwar in der bestimmtesten Bedeutung als strenger Monotheismus, der sich kein Abbild Gottes erlaubt und damit seine Erkennbarkeit auf ein abstraktes Prinzip reduziert. Spätestens an dieser Stelle wird offensichtlich, dass Löwenthal nichts anderes im Sinn hat als ein Kondensat dessen zu präsentieren, was Hermann Cohen in seiner Schrift „Die Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums“ als Vermächtnis hinterlassen hat. Und doch scheint Löwenthal vor allem zeigen zu wollen, dass dieses Vermächtnis noch nicht ganz eingelöst, dass die darin steckende Botschaft noch nicht bis zum Letzten enträtselt ist. Eben dies, das Versteckte zu enthüllen, scheint Löwenthals Ehrgeiz zu sein, und er setzt damit wieder einen durchaus eigenen Akzent geschichtsphilosophischer Art.

      Zwar gehören die Schlüsselbegriffe, die dabei ins Spiel kommen, noch ins konventionelle Repertoire der Religionsphilosophie – Diesseits und Jenseits, Gesetz und Sünde, Schuld und Erlösung –, aber die Perspektive, die Löwenthal nunmehr mit Cohen aufmacht, avisiert „das vierte und letzte Grundthema, das der Erlösung“ in einer ganz bestimmten Form: Sie verknüpft die dominante historische Erfahrung des jüdischen Volkes, seine „Leidensgeschichte“ nicht nur mit der Idee der eigenen Erlösung, sondern mit der „Erlösung aller Menschen vom Leiden“ überhaupt.

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