Political Scholar. Alfons Söllner

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Political Scholar - Alfons Söllner

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in etwa mit der Weimarer Republik zusammenfällt und einen jüdischen Intellektuellen im Stadium seiner Formierung zeigt. Zwar kommt es ab Mitte der 1920er Jahre schrittweise zur Integration in das Frankfurter Institut für Sozialforschung, das den 1900 geborenen Löwenthal zweifellos stark geprägt, aber eben auch vereinnahmt hat, doch geht dieser Phase eine intellektuelle Entwicklung voraus, die ebenso eigenwillig wie widersprüchlich verlief. Nimmt man weiter an, dass beides – extrem polare Einflüsse und der Versuch ihrer Synthese – von Anfang an zum Profil des jungen Löwenthal gehörte und sich subkutan auch noch fortsetzte, als er 1930 zur rechten Hand des frisch berufenen Direktors Max Horkheimer wurde, dann zeichnet sich die Möglichkeit ab, mittels einer biographischen Studie aus der Frühgeschichte einem Grundmotiv nachzuspüren, das später in der sog. Frankfurter Schule sowohl nachwirkte als auch verdeckt wurde.

       „Revolutionärer Radikalismus und jüdischer Messianismus“

      „Ich bin ein Rebell gewesen, und alles, was damals intellektuell oppositionell war, also, wie Benjamin sagt, auf der Seite der Verlierer im Weltprozess, das zog mich magisch an. Ich war Sozialist, Anhänger der Psychoanalyse, Anhänger der Phänomenologie in neukantianischen Kreisen, ich nahm eine Stelle an, in der ich mit Ostjuden zu tun hatte, was zum Beispiel meinem und Adornos Vater äußerst peinlich war […]. Es war also eine geradezu synkretistische Ansammlung in meinem Hirn und in meinem Herzen von Bestrebungen, Richtungen und Philosophien, die im Gegensatz zum Bestehenden standen.“2 Was sich im autobiographischen Gespräch mit Helmut Dubiel in der Erinnerung so zusammengefasst findet, hatte indes einen eindeutigen Ausgangspunkt gehabt, was die Familiengeschichte betrifft: die Rebellion des Gymnasiasten gegen den assimilierten, atheistischen, vom traditionellen Judentum völlig abgewandten Vater.

      Es ist die dadurch gegebene Konstellation, der Konflikt zwischen einer dezidiert aufklärerischen, d. h. antireligiösen Haltung und „meiner irgendwie politisch motivierten Rückkehr zur jüdischen Tradition“3, der den jungen Löwenthal mehr als alles andere umtreibt und den man als einen hintergründigen Motor für seine Entwicklung weit über die 1920er Jahre hinaus anzunehmen hat. Löwenthals intellektuelle Ursprünge weisen in der Tat nicht wenige Widersprüche auf, deren psychologische Einheit mehr durch das Pathos der Jugendlichkeit und eine zeittypische Rhetorik des Aufbruchs gestiftet war als durch eine fertige Weltanschauung. Man wird also erst einmal die einzelnen Elemente des jugendlichen Suchens für sich zu benennen haben, bevor man den Versuch unternimmt, sie in eine nachvollziehbare Perspektive zu bringen. Dabei wird der springende Punkt in der Frage bestehen, wie Löwenthals politische Erweckung ausgerechnet mit der Rückkehr zur jüdischen Tradition zusammenging, die man vielleicht als neo-orthodox bezeichnen kann.

      Durch das höchst instruktive Interview, das Helmut Dubiel mit Leo Löwenthal geführt hat, sind wir in der Lage, die Konfliktsituation eines aufgeweckten jüdischen Studenten zu Anfang der 1920er Jahre relativ konkret zu rekonstruieren. Ihre Details werden durch die mittlerweile aus den Archiven verfügbaren Dokumente recht gut bestätigt: Danach wird Löwenthal schon in seiner kurzen Soldatenzeit von der Revolutionsbegeisterung angesteckt – noch aus seinem ersten Wintersemester in Frankfurt stammt ein flammendes „Bekenntnis zur Revolution“, in dem „die Morgenröte einer neuen Zeit“ mit der „Heiligkeit des sittlichen Pathos’“ begründet und ein „heiliges bundesgleiches Ja, ein offenes Bekenntnis“ gefordert wird.4 Und 1920 stimmt er in einem Brief an die Eltern folgende Totenklage an: „Eisner ist tot, Gustav Landauer ist tot, nun auch Max Weber. […] Zwei Juden und der dritte ein großer Philosemit. Juden als Geistige, als Revolutionäre, als Vorkämpfer, alle gemordet!! Wenn unser Beruf auf Erden es ist, Vorkämpfer zu sein, Künder neuen Geistes, Bahnbrecher der Revolution, so naht der Gedanke, ob nicht unsere Aufgabe schöner und fruchtbarer gelöst würde, wenn wir zusammen zu einer engen Gemeinschaft uns schlössen.“5

      Woher stammt dieses Pathos und vor allem, welche politischen Folgerungen werden daraus gezogen? Zwar hatte Löwenthal insofern Ernst mit seinem Bekenntnis gemacht, als er zusammen mit Franz Neumann und Ernst Fraenkel, die später bekanntlich in der Weimarer Gewerkschaftsbewegung Karriere gemacht haben, zu den Gründern einer sozialistischen Studentengruppe in Frankfurt gehörte. Doch steht hinter der Aufforderung zu einem „jüdischen Bund“ ein anderer Einflusskreis, der für den jungen Löwenthal maßgeblicher wurde, nämlich der Zirkel um den Frankfurter Rabbiner Nehemias Anton Nobel. Wenn Löwenthal diesen Zusammenhang retrospektiv durch eine „merkwürdige Mischung aus mystischer Religiosität und philosophischer Eindringlichkeit“ charakterisiert und sich davon auch distanziert, so kann man das auch so verstehen, dass sein politisches Engagement nur sekundär durch eine sozialistische Ideologie getragen war – primär hingegen waren Gedankengänge, wie sie im Nobel-Zirkel gepflegt wurden, und die waren dezidiert aus einer bestimmten Variante der jüdischen Theologie motiviert. Hier dürfte übrigens auch der Grund liegen, weshalb sowohl in der Erinnerung Löwenthals selber wie in den einschlägigen Dokumenten zwischen kommunistischen, sozialistischen, zionistischen und allgemein anti-assimilatorischen Ideen kaum unterschieden wird.

      Es ist in der Tat nicht leicht, sich in die Welt des jungen Leo Löwenthal zu Anfang der 1920er Jahre einzufühlen. Mit der Studienwahl der Philosophie stand er quer zum Vater, der sich einen bürgerlichen „professional“, also weder einen brotlosen Intellektuellen noch einen politischen Anwalt für ostjüdische Einwanderer gewünscht hatte. Sein Protest gegen das antireligiöse, assimilierte Elternhaus ging schließlich so weit, dass er eine Tochter aus orthodoxem Hause heiratete und einen koscheren Hausstand gründete. Noch komplizierter stellt sich die Situation dar, wenn man die akademischen Interessen des jungen Löwenthal hinzunimmt: Zwar gab es, vermittelt über die philosophischen Sympathien des Nobel-Kreises, eine Wahlverwandtschaft zum Marburger Neukantianismus und speziell zu Hermann Cohen, auf dessen philosophische Reaktivierung des Judentums noch zurückzukommen sein wird, aber dass er nach Anfangssemestern in Gießen und Frankfurt nach Heidelberg wechselte, ist schwerlich als Interessensbekundung für das zweite Zentrum des Neukantianismus zu bewerten.

      Manches spricht sogar für das Gegenteil: Nach Heidelberg zog ihn vermutlich vor allem sein Interesse an der Psychoanalyse, aber auch Golde Ginsburg, die an Frieda Reichmanns „Therapeutikum“ arbeitete und später seine Frau wurde. Und was Löwenthal von seinen Heidelberger Semestern vor allem erinnert, ist der Eklat, den er im Philosophieseminar von Karl Jaspers mit einem intransigenten Vortrag über „Das Dämonische“ auslöste, ebenso wie seine Promotion, mit der er 1923 sein Studium in Frankfurt beendete, weder dem Thema noch der Art seiner Behandlung nach neukantianisch orientiert war. Nimmt man diese beiden Schriften als Grundlage, übrigens die einzigen, die aus der Studienzeit zur Verfügung stehen, so hat man zwar recht disparate Texte zur Hand, immerhin aber gibt es einen gemeinsamen Fokus; und dieser liegt eindeutig in der Richtung einer mehr oder weniger dogmatischen Religionsphilosophie, wenn man einmal in Kauf nimmt, dass mit dieser Bezeichnung ein ziemlich ungesichertes Gelände zwischen Philosophie und Religion markiert ist. Auf der andern Seite hatte gerade dieses Genre in den 1920er Jahren eine gewisse Konjunktur.

      Der Test darauf ist der Text „Das Dämonische“, den Löwenthal immerhin als so symptomatisch ansah, dass er ihn in die Gesammelten Schriften aufnahm. Liest man diesen knappen Text mit heutigen Augen, so erscheint er entweder als unverständlich oder aber als rätselhaftes Konglomerat aus alttestamentarischer Vision, hochpathetischer Aktualisierung und metaphysisch überladener Interpretation. Dass er in zwei Abschnitte – „Das Ziel“ und „Der Weg“ – untergliedert ist, deutet immerhin in eine identifizierbare Richtung: auf den Versuch einer Geschichtsphilosophie, die zunächst durch das Tal der „Sündhaftigkeit“ führt, aber dann in einer eschatologischen Vision mehr abbricht als vollendet wird. Dass Karl Jaspers diese pseudo-theologische Überbietung des einschlägigen Kapitels aus seiner kurz vorher publizierten „Psychologie der Weltanschauungen“ nicht goutieren mochte – darüber sollte Löwenthal im Seminar eigentlich referieren –, ist nur zu verständlich.

      Nicht weniger deutlich reagierte der etwas ältere Siegfried Kracauer, immerhin der engste Freund des ambitionierten Religionsphilosophen, in einem Brief auf Löwenthals Elaborat. Er zitierte das böse Wort vom „Amoklauf zu Gott“,

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