Political Scholar. Alfons Söllner

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literarischen „Eruptionen“ auch eine philosophische Variante hatte – deren erfolgreichstes Exemplar war bekanntlich Ernst Blochs „Geist der Utopie“. Während Bloch sich jedoch vom jüdischen Milieu distanziert hatte, nicht zuletzt durch seinen literarischen Erfolg, verblieb Löwenthals Beschwörungsversuch einer jüdischen Geschichtseschatologie ganz im Bannkreis von Nobel. Dieser unterhielt nämlich auch ganz persönliche und enge Kontakte zu seinen „Jüngern“, kümmerte sich z. B. väterlich um Leo Löwenthal, als dieser wegen einer langwierigen Tuberkuloseerkrankung seine Studien unterbrechen musste.7

      So ist es kein Zufall, dass „Das Dämonische“ Ende 1921 in der Festschrift für Rabbi Nobel gedruckt wurde, wobei nicht uninteressant ist, dass dies mit gewissen Einwänden von Franz Rosenzweig verbunden war, der kurz vorher das „Freie Jüdische Lehrhaus“ in Frankfurt gegründet hatte. Wie Rachel Neuberger mittlerweile gezeigt hat, war die „Wiederentdeckung der jüdischen Wurzeln“, wie sie von Rabbiner Nobel propagiert wurde, nicht nur ein weitverzweigter und anspruchsvoller Versuch, alle Fraktionen: orthodoxes und reformiertes, unpolitisches und zionistisches, assimiliertes und östliches Judentum wieder miteinander zu versöhnen.8 Dieses Unternehmen war auch intellektuell, d. h. theologisch wie philosophisch gleichermaßen anspruchsvoll, wodurch die Intention auf eine jüdische Religionsphilosophie sowohl eine programmatische als auch eine gewisse politisch-praktische Dimension erhielt.

      Es war dieser synergetische Effekt, der den Kreis um Nobel als eine der treibenden Kräfte für die allgemeine Renaissance des Judentums erscheinen lässt, die für die Weimarer Epoche konstatiert wurde9. Dies manifestierte sich z. B. auch in der Hochachtung, die der Neukantianer Hermann Cohen, gleichzeitig der bedeutendste jüdische Philosoph seit der Jahrhundertwende, gegenüber Nobel an den Tag gelegt hatte. Cohen war 1918 verstorben und hinterließ als sein Vermächtnis das Buch „Die Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums“ (1919). Und als auch Nehemias Nobel Anfang 1922 plötzlich verstarb, waren die zwei wichtigsten intellektuellen Mentoren des jungen Löwenthal verschwunden – und vielleicht erklärt sich u.a. aus diesen menschlichen wie intellektuellen Verlusten die seltsame Wende, die der junge Löwenthal im Jahr 1923 nahm und die gleichzeitig das Ende seines Studiums markiert.

       Ausflug in die christliche Religionsphilosophie – Die Dissertation über Franz von Baader

      Die Arbeit, mit der Löwenthal im Sommersemester 1923 an der Universität Frankfurt promoviert wurde, war, wie damals üblich, eine rasch geschriebene Dissertation, die – im Nachdruck der Gesammelten Schriften – 70 Seiten umfasst. Aber nicht dies ist erstaunlich, vielmehr überrascht, nach allem, was über seine Interessenslage zu Anfang der 1920er Jahre gesagt wurde, zunächst die Wahl des Themas als solche. Der Titel lautete „Die Sozietätsphilosophie Franz von Baaders. Beispiel und Problem einer ,religiösen Soziologie‘“. Was hat es zu bedeuten, dass ein so stark ins neo-orthodoxe jüdische Milieu zurücktendierender Jungakademiker sich ausgerechnet an Franz von Baader, d. h. einen exponierten Vertreter der politischen Restauration, genauer der katholischen „Gegenrevolution“ im frühen 19. Jahrhundert wandte, um seine einigermaßen „synkretistischen“ Neigungen in eine akademische Form zu bringen? Worin besteht die Kontinuität in diesem offensichtlichen Bruch?

      So reizvoll es wäre, bei der Antwort auf diese Frage in psychologische oder psychoanalytische Deutungen auszuweichen – immerhin war Löwenthal mit Erich Fromm befreundet und ging im Heidelberger „Therapeutikum“ ein und aus –, ich werde mich hier ausschließlich an die akademische Form halten, in der diese Arbeit durchgeführt ist und die auf den ersten Blick vor allem durch eine große innere Geschlossenheit beeindruckt. Steht dies in einem gewissen Gegensatz zu dem Sammelsurium aus philosophischen, politischen und religiösen Ideen, die Löwenthal aus seiner Studienzeit erinnert, so erhalten Themenwahl wie die Art ihrer Durchführung doch auch einen erkennbaren Sinn: Franz von Baader erlaubte es Löwenthal offenbar, einerseits bei „seiner“ Motivationslage zu bleiben, nämlich einem religiös gebundenen Philosophieren, sie andererseits aber in eine Form zu bringen, die akademisch passabel und „bürgerlich“ renommierfähig war, aber auch auf eine politische Perspektive nicht verzichtete.

      Ich möchte diese anspruchs- oder auch widerspruchsvolle Konstellation zunächst daran erläutern, wie Löwenthal seine Fragestellung begründet und dabei erkennen lässt, dass er sich der Alternativen durchaus bewusst ist, vor denen eine Zusammenführung von Religion und Soziologie zu stehen kommt: Systematisch kann die Religion entweder als Gegenstand der Soziologie oder die Soziologie als Teil der Theologie behandelt werden – das erstere führt zur „Religionssoziologie“ á la Max Weber, die indes sofort durch ihre „Eindimensionalität“ charakterisiert und als „irreligiöse Soziologie“ abgewertet wird, wodurch für Löwenthal der Umkehrschluss evident ist, mit dem er ganz auf die Linie Franz von Baaders einschwenkt. Die Soziologie sei, wie die Menschenwelt insgesamt, in letzter Instanz nur aus den Prämissen der Theologie abzuleiten. Und diesen zweiten Standpunkt einer „religiösen Soziologie“ macht Löwenthal sich nun zu eigen: „Die Beziehungen, in die der Mensch zum Menschen tritt, und die Bedingungen, unter denen er dies vermag und ausführt, leiten sich ab von einer höchsten unbedingten Bedingung: von Gott.“10

      Interessant ist, wie diese systematische Entscheidung in demselben Atemzug durch eine historische Ortsbestimmung untermauert wird: Noch schärfer als von der Religionssoziologie grenzt sich Löwenthal ab von der in den 1920er Jahren blühenden neo-romantischen Gesellschaftslehre und deren „Restauration des Mittelalters“, die er mit Baader genauso geißelt, wie er die „Ideologisierung der Reaktion“ durch die „bourbonische Restauration“11 ablehnt. Weniger scharf, aber dennoch eindeutig fällt die Abgrenzung von Kant und seiner Denkschule aus. Löwenthal übernimmt hier einfach die von Baader selbst vorgetragenen Invektiven gegen die „unzulässigen und zu unhaltbaren Konsequenzen und Antinomien hinführende Voraussetzung einer selbstherrlichen menschlichen Vernunft“. Eindeutig schließlich auch die Abwehr der politischen Revolution: „Die Autonomie musste […] zur Anomie, zur Gesetzlosigkeit führen.“ 12

      All diese Argumente laufen darauf hinaus, Franz von Baader nicht nur eine singuläre Stellung in der modernen Geistesgeschichte zuzuschreiben, sondern die rein immanente Deduktion als die einzig adäquate Methode herauszustellen, eine „religiöse Soziologie“ zu begründen. Auf dieses dogmatische Verfahren ist Löwenthal selber dezidiert festgelegt, auf das „rechte Nachdenken Baaders von oben, von der theologischen Spitze nach unten“ – oder, wie das Resümee des ersten Kapitels lautet: „auf die Grundlegung der Erkenntnis und ihrer Theorie in der Theologie“.13 Daraus resultiert der Aufbau der gesamten Arbeit, die folgerichtig vom theologischen System Baaders ausgeht (Kapitel 2), einen Zwischenschritt in der „religiösen Psychologie“ macht (Kapitel 3), um dann die eigentliche „Sozietätsphilosophie“ (4. Kapitel) anzuvisieren. Wenn dies der Gedankengang der Arbeit im Großen ist, so bleibt zu fragen, warum sich Löwenthal aus der Finalisierung auf diesen letzten Teil hin – auf Geschichte und Gesellschaft – so etwas verspricht, wie ein Umschlagen der dogmatischen Deduktion in eine kritische Perspektive; denn genau dies scheint es zu sein, was sich Löwenthal von der Baader-Studie verspricht, wenngleich es nur subkutan oder zwischen den Zeilen zu spüren ist.

      In der theologischen Grundlegung von Baaders Denken lässt sich Löwenthal nichts von dem entgehen, was Baader als „letzten Scholastiker und Gnostiker zugleich“ auszeichnet: Er verweist auf die Kühnheit, mit der er das „christkatholische Dogma von der Trinität“ noch einmal zur Geltung bringt, obschon „sich hierbei Konflikte mit der Philosophie des offiziellen Katholizismus nicht vermeiden ließen“14; er stellt sich ganz auf den Standpunkt der Baader’schen Theogonie, deren Dreiteilung („Ternar“-Lehre) als eine christliche Begründung der Logik vorgeführt wird, die der Hegel’schen gerade durch ihre Esoterik überlegen sein soll; er macht die Abgrenzung vom Pantheismus mit, der durch eine „konkretere“ Schöpfungslehre überwunden wird; und er koppelt die Anerkennung des Menschen als „Krone der Schöpfung“ an die Vorstellung, dass seiner Erlösung im Jenseits der „Sündenfall“, die „Bewährung“ im Diesseits vorausgeht. Eben hier liegt der Übergang

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