Die Magie von Winterhaus. Ben Guterson

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Die Magie von Winterhaus - Ben Guterson

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grinste und schaute zu Norbridge. «Miss Falls hat auf einem kleinen Ausflug hierher bestanden.»

      Kiona salutierte zu Elana gewandt. «Ich wünsche dir einen guten Abend, meine liebe Elana. Es freut mich, dass es dir so gut geht.» Sie legte die Hand über ihr Herz. «Es wärmt mich. Bis in mein Inneres.» Mit der Hand immer noch auf der Brust lächelte sie Elizabeth an. «Und meine liebe Cousine wievielten Grades auch immer, es ist ein großes Vergnügen, dich zu sehen, wie üblich.» Sie schüttelte verwundert den Kopf. «Ich komme einfach nicht darüber hinweg, dass du deiner Mutter mit jedem Tag ähnlicher wirst.»

      Kiona senkte die Hand und blickte Norbridge an. «Ich kann es nicht erklären, aber in den vergangenen drei Tagen ist meine Tochter irgendwie … aktiver geworden. Lebendiger, wacher, mehr da! Sie hat nie besonderen Wert auf die Zeichensprache gelegt, aber gestern fing sie plötzlich an, etwas zu buchstabieren. Anfangs dachte ich, es wäre ihr eigener Name, aber dann erkannte ich, dass sie Elana meinte. Und dann wurde mir klar, dass sie das Mädchen zu sehen wünschte.» Sie verzog das Gesicht. «Oder ‹die Frau› sollte ich wohl besser sagen.» Sie warf Elana einen unsicheren Blick zu. «Es tut mir leid. Ich weiß nicht …»

      «Es ist schon gut», sagte Elana und starrte auf ihre Hände.

      Kiona legte kurz die Hand an die Stirn, als wolle sie sich für einen Leichtsinnsfehler entschuldigen, dann fuhr sie fort: «Lena hat immer und immer wieder den Namen ‹Elana› buchstabiert, und eben bin ich aufgewacht und sie war weg! Stellt euch meine Überraschung vor. Sie schläft seit dreiundzwanzig Jahren neben mir, und dann auf einmal …», Kiona wedelte mit der Hand, «… verschwunden!»

      «Das ist merkwürdig», sagte Norbridge. «Sehr merkwürdig.» Er biss sich auf die Unterlippe.

      «Ich dachte mir, dass sie hierherkommen würde», sagte Kiona, «obwohl ich wirklich keine Ahnung habe, warum. Sie scheint sich regelrecht in eine Art Besessenheit hineingesteigert zu haben. Es ist unerklärlich.»

      «Und sie hat nicht versucht, noch andere Wörter zu buchstabieren?», fragte Norbridge.

      Kiona schaute einen Moment lang auf den Teppich, dann sah sie Norbridge an. «Sie buchstabierte zweimal das Wort ‹Methode›, aber ich weiß nicht, worauf sie hinauswollte.»

      Eine unbehagliche Stille senkte sich über den Raum. Elizabeth wurde kalt. Lena meint doch wohl nicht die Dredforth-Methode, oder doch?, dachte sie.

      Kiona wandte sich Elana zu, die sich gegen das Ohr tippte. «Wie ist es passiert?», fragte sie.

      «Dass Lena Gehör und Sprache verlor?», sagte Kiona. «Ich wünschte, ich wüsste es. Sie war eines Tages zum Skifahren draußen und kehrte nicht zurück. Damals war sie zwanzig Jahre alt. Als man sie spät abends draußen gefunden hat, war alles anders. Sie war benommen und hat sich nie wieder richtig erholt. Vielleicht lag es an der Kälte oder … Ich weiß auch nicht. Lena hat sich nie dazu geäußert. Im Laufe der Jahre hat sie sich immer weiter in sich zurückgezogen.» Sie schüttelte den Kopf. «Sehr traurig. Sehr traurig für uns alle.»

      «Sie haben bald Geburtstag, nicht wahr?», sagte Elana. Norbridge sog scharf die Luft ein, aber Kiona streckte die Hand nach ihm aus und beugte sich vor.

      «Es ist schon gut», sagte Kiona. «Es macht mir nichts aus, darüber zu reden. Ja, meine Liebe, am zwölften Juni feiere ich meinen hundertsten Geburtstag. Ein Meilenstein, noch dazu an diesem Ort.»

      Es war eine Besonderheit, die man unschwer an dem Familienstammbaum vor dem Wintersaal ablesen konnte: Fast jede Frau der Falls-Familie wurde hundert Jahre alt. Nicht neunundneunzig oder hunderteins, sondern genau hundert. Warum das so war, wusste niemand – weder Norbridge noch Leona oder sonst jemand im Hotel. Es war einfach so und gehörte zum Winterhaus wie der Schnee an Weihnachten und der Duft der Flurschen in den Gängen. Elizabeth hatte sich oft gefragt, was Kiona durch den Kopf ging, wenn sie an die bevorstehenden Monate dachte: Jeder Mensch weiß ja, was die Zukunft für ihn bereithält, auch wenn man nicht ständig darüber nachdenkt, aber ohne jeden Zweifel zu wissen, was der nächste Geburtstag bringt, war vermutlich kein schönes Gefühl.

      «Haben Sie Angst?», fragte Elana.

      Kiona lächelte leicht. «Ich hatte ein gutes Leben.» Sie zwinkerte Elizabeth zu. «Ich habe versucht, immer zuerst an andere zu denken, nicht an mich selbst, und ich muss sagen, dass dies in meinen Augen das perfekte Rezept für Glückseligkeit ist.»

      Die Glocken des Hotels erklangen, um den Beginn des Konzerts in zehn Minuten anzukündigen.

      «Pünktlich wie immer», sagte Norbridge, und alle lachten. «Ich muss jetzt los. Und du auch, Elizabeth, wenn du dir die Sonate anhören willst.»

      «Und ich werde mich auf die Suche nach meiner Tochter machen», sagte Kiona. Sie schlug leicht mit der Faust auf die Armlehne des Rollstuhls und drehte sich zu Sampson um. «Volle Kraft voraus, junger Mann!»

      «Aye-aye, Miss Falls», sagte er.

      Elizabeth umarmte Elana zum Abschied. «Ich komme bald wieder. Und dann bringe ich dir neues Lesefutter mit. Der Sandelf wird dir bestimmt gefallen.»

      Elana hob die Daumen. Sie schien fröhlicher zu sein, aber als Elizabeth sich auf den Weg zum Saal der Künste machte, konnte sie sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Elana mit den Tränen gekämpft hatte.

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