Die Magie von Winterhaus. Ben Guterson

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Die Magie von Winterhaus - Ben Guterson

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triumphierenden Gesicht schaute sie Norbridge an, obwohl sie den Vorfall nicht bewusst ausgelöst hatte.

      Er allerdings blickte sie streng an, die Stirn drohend gerunzelt. Warnend richtete er einen Finger auf sie. «Tu das nicht!», fuhr er sie heftig an.

      Elizabeth war wie vor den Kopf gestoßen. «Aber ich …»

      «Ich sagte: Tu das nicht!», wiederholte Norbridge, noch lauter diesmal. «Du musst dich beherrschen. Zu jeder Zeit!»

      Die Heftigkeit von Norbridges Reaktion verunsicherte Elizabeth, aber das Gefühl von Zufriedenheit über ihre eigene Macht war immer noch nicht gewichen. «Worüber regst du dich so auf?», fragte sie.

      «Weil mir das nicht gefällt», sagte Norbridge und hob die Hand. «Meine Schwester hat solche Dinge getan, als sie in deinem Alter war. Ich mochte es bei ihr nicht, und bei dir mag ich es noch viel weniger.» Wieder hob er warnend die Hand. «Sie hat sich hinreißen lassen.»

      Elizabeth verspürte den Drang zu erklären, dass er unmöglich diese Befriedigung verstehen konnte, die sie empfunden hatte, als sie das Buch gegen die Wand geschleudert hatte. Etwas an diesem Gefühl weckte in ihr beinahe eine Art Verständnis dafür, warum Gracella sich hatte «hinreißen lassen».

      «Du hast mir gesagt, dass niemand im Winterhaus ihr zugehört hat», sagte Elizabeth mit mehr Erbitterung, als sie beabsichtigt hatte. «Vielleicht war sie bloß …» Elizabeth bereute die Worte, sobald sie ausgesprochen waren, auch wenn sie den Satz nicht vollendete. Norbridges Stirn legte sich in noch tiefere Falten, und er bedachte sie mit einem Blick, als würde er sie nicht wiedererkennen. Schweigen hing zwischen ihnen, dann stand Norbridge auf und ging zu dem Buch, das noch immer auf dem Boden lag. Langsam bückte er sich, hob es auf und legte es vorsichtig wieder auf den Tisch, mit der Vorderseite nach oben. Der Titel lautete Die Chroniken von Nord-Sembla.

      «Ich werde vergessen, was eben vorgefallen ist», sagte er. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und widmete sich ein paar Unterlagen, ohne Elizabeth noch einmal anzuschauen. «Wir treffen uns um halb acht vor Elanas Zimmer.» Plötzlich schien er sehr beschäftigt zu sein.

      Nach einer ganzen Weile, in der niemand mehr etwas sagte, stand Elizabeth auf und verließ schweigend das Zimmer.

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      KAPITEL 6

      EIGENE WEGE HEIMLICH GEHEN

      Elizabeth war verwirrt – sie schämte sich und fühlte sich gleichzeitig ungerecht behandelt –, und als sie vom dreizehnten Stock über die Treppe nach unten ging, war sie sich nicht schlüssig, was sie am meisten aufwühlte: die unangekündigte Manifestation ihrer Macht, die Aussicht auf ein Gespräch mit Elana oder die Neuigkeiten über ihre Eltern. All das hatte sie tief getroffen, besonders nach dem merkwürdigen Ereignis an der Ripplington Mine.

      Aber musste Norbridge gleich so wütend werden?, dachte sie. Natürlich hatte sie ihn schon früher zornig erlebt, aber diesmal schien es ernster zu sein als sonst.

      Sie grübelte weiter darüber nach und merkte, wie sich ihre Laune immer mehr verschlechterte. Den Rat, den Leona ihr einmal gegeben hatte – dass nicht andere ihre Gefühle kontrollieren, sondern nur sie selbst –, ließ sie nicht an sich heran. Und dann, als sie in den Flur im dritten Stock trat, sah sie, dass Freddys Werkstatttür offenstand. Abrupt blieb sie stehen, schaute sich um und überlegte, was es bedeuten konnte, dass ein Zimmer, das seit der Silvesternacht verschlossen gehalten wurde, plötzlich wieder zugänglich war. Vor fast drei Monaten war sie zum letzten Mal in der Werkstatt gewesen, als sie und Freddy den vierten und letzten Eingang in die geheimen Gänge unter dem Hotel hinter einer Wand aus Kisten gefunden hatten. Durch diesen Eingang hatten sich Gracella, Selena und Elana in die Tunnel geschlichen.

      Elizabeth stand da und lauschte. Dann ging sie leise weiter, ohne den Blick von der Werkstatttür abzuwenden. Von drinnen kam kein Geräusch, und sie verspürte auch keinen Hauch des Gefühls in sich. Sie berührte leicht den Türgriff und trat dann in den Raum, der noch genauso aussah wie beim letzten Mal: eine Werkbank in der Mitte, die Werkzeuge an den Wandhaken, jede Menge Holzplanken und Sägeböcke und überall Schränke und Regale. Die einzige Veränderung war, dass der vierte Eingang nun vollkommen zugemauert war. Elizabeth starrte die Wand an: Wenn irgendjemand noch einmal versuchen sollte, in die Tunnel zu gelangen, dann garantiert nicht von hier aus.

      Sie ging zu der Stelle, wo sich die Tür befunden hatte, und fuhr mit den Händen über die rauen Backsteine. Dann klopfte sie leicht dagegen, als wollte sie überprüfen, ob sie auch echt waren. Aus einem Impuls heraus legte sie das Ohr gegen die Wand und lauschte, genauso, wie sie es vor drei Monaten getan hatte. Damals hatte sie ein weit entferntes Summen gehört und war diesem Geräusch gefolgt, bis sie tief unter dem Winterhaus auf eine rätselhafte Eisskulptur gestoßen war, die ihr geholfen hatte, die Macht in ihrer Halskette zum Leben zu erwecken. Und als sie jetzt ihr Ohr gegen die Wand drückte, erkannte sie zu ihrer großen Überraschung, dass das Geräusch immer noch da war! Sie hielt den Atem an und schloss die Augen. Das Summen war so leise, dass sie es kaum hören konnte – aber es gab keinen Zweifel: das gleiche Summen wie an Weihnachten.

      Mit einem Ruck wich Elizabeth von der Wand zurück und schaute sich hektisch um. Sie erinnerte sich an etwas, und ohne darüber nachzudenken, was sie vorhatte, ging sie zu den Haken an der Wand, an denen die Werkzeuge hingen. Rechts davon, etwa in Hüfthöhe, hing ein silberner Generalschlüssel – jener Schlüssel, mit dem Elizabeth vor zwei Jahren die Tür zu Gracellas Zimmer aufgeschlossen hatte. Sie warf einen Blick zu der offenen Tür, dann nahm sie den Schlüssel vom Haken und verließ den Raum. Mit schnellen Schritten marschierte sie durch den Gang und bog dann links ab, zu Zimmer 333. Einen Augenblick später stand sie vor Gracellas Tür.

      Zimmer 333 war eine Absonderlichkeit im Winterhaus, und es war der eine Ort, vor dem Elizabeth zurückschauderte, seit sie hier wohnte. Das Zimmer befand sich am Ende eines dunklen Korridors, von dem keine weiteren Türen abgingen, als ob der Gang von vornherein als Sackgasse geplant gewesen war, nur für dieses einzelne Zimmer. Die Deckenlampe vor der Tür leuchtete stets etwas trüber als alle anderen Lampen des Hotels, und auf einem kleinen Zettel neben dem Schloss an der Tür stand ZUTRITT VERBOTEN. Alles an Zimmer 333 wirkte düster, und oft konnte Elizabeth kaum glauben, dass sie einmal den Mut aufgebracht hatte, hineinzugehen. Jetzt ignorierte sie all ihre Befürchtungen; sie sagte sich, dass sie lediglich wissen wollte, ob das Anna Lux-Buch noch dort lag, wo sie es zurückgelassen hatte.

      Elizabeth schloss die Tür auf und trat ein, wobei sie das Licht einschaltete. Es hatte sich nichts verändert: ein Bett in der Ecke, mit einer Wolldecke und blauen Kissen, ein klobiger Schreibtisch, ein leeres Bücherregal und ein paar Stühle. Alles war so schlicht und uninteressant wie damals, als sie das erste Mal in diesem Zimmer gewesen war.

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      Sie ging direkt zum Schreibtisch und zog die oberste Schublade auf – und dort lag das Buch: grau, schmucklos, fest gebunden, als ob es all die Monate nur auf sie gewartet hätte, Die geheime Unterweisung der Anna Lux.

      Genau da, wo es die ganze Zeit war, dachte Elizabeth.

      Das Gefühl summte durch sie hindurch. Sie griff sich das Buch, schlug das erste Kapitel auf und las den ersten Satz – Worte, die sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingebrannt hatten: Es war einmal ein Mädchen, das so sehr von Magie und Zauberei und allerlei rätselhaften Dingen fasziniert war, dass es beschloss, eine Hexe zu werden.

      Sie

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