Die Magie von Winterhaus. Ben Guterson

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Magie von Winterhaus - Ben Guterson страница 7

Die Magie von Winterhaus - Ben Guterson

Скачать книгу

war der kleine Schreibtisch neben dem Bett, an dem sie ihre Hausaufgaben erledigte, Bilder malte oder eine der Listen vervollständigte, die sie in ihrem Notizbuch anlegte. Erst kürzlich waren einige neue hinzugekommen: «Gründe, warum die Havenworth Akademie besser ist als die Mittelschule in Drere», «Die besten Vorträge im Winterhaus in diesem Jahr», «Lieder, die ich auf der Gitarre spielen werde, wenn ich Gitarrespielen gelernt habe», «Tattoos, die ich mir nie machen lassen würde, selbst wenn ich jemals auf die Idee kommen sollte, ein Tattoo zu tragen». Es fiel ihr leicht, sich an diesem Schreibtisch zu konzentrieren, ganz anders als in ihrem Zimmer in Drere, wo sie ihre Mathehausaufgaben hatte machen müssen, während nebenan der Fernseher ihrer Tante plärrte (Car Crash Chaos oder Wir lachen über die anderen! gehörten zu ihren Lieblingssendungen) oder sie sich die endlosen Klagen ihres Onkels über seinen Job anhören musste. Das Leben im Zimmer 301 des Hotels Winterhaus war ein wahr gewordener Traum.

image

      Aber als sie an diesem Nachmittag die Tür hinter sich abschloss und ihre Skikleidung auszog, fanden ihre Gedanken keine Ruhe. Sie musste ständig an den unheimlichen Mineneingang denken, an das merkwürdige Verhalten der Männer am Puzzletisch, an Elanas Zustand. Vor allem aber beschäftigte sie die Frage, warum sie ein Puzzleteil gestohlen hatte. Sie holte das kleine hölzerne Plättchen aus ihrer Tasche, legte es auf den Schreibtisch und betrachtete es: ganz und gar blau, die Ränder geschwungen und präzise ausgesägt, wie all die anderen Teile des Puzzles. Völlig normal. Was nicht normal gewesen war, war die Tatsache, wie schwer es ihr gefallen war, die Lobby zu verlassen, als sich das Teil in ihrer Tasche befand. Elizabeth vermutete, dass es an dem schlechten Gewissen lag, das an ihr nagte, aber sie hatte auch den seltsamen Eindruck gehabt, dass sie gegen eine Art Widerstand ankämpfen musste, als ob ein unsichtbares Band sie wieder zum Tisch ziehen würde.

      Ich bringe es bald zurück, dachte sie und schob die Frage, was sie überhaupt dazu bewogen hatte, es mitzunehmen, beiseite. Sie legte das Holzplättchen in die oberste Schublade ihres Schreibtischs, duschte schnell und setzte sich dann hin, um das zu tun, was sie an den Samstagnachmittagen am liebsten tat: sich in ihren neuen Laptop einzuloggen, den Norbridge für sie gekauft hatte und den zu benutzen sie sich selbst nur dreimal in der Woche für eine halbe Stunde gestattete, um mit ihrem besten Freund Freddy Knox E-Mails auszutauschen.

      Elizabeth mochte die Arbeit in der Bibliothek, wo sie Leona mindestens drei Nachmittage in der Woche und meistens auch an den Wochenenden half; bereitwillig führte sie samstagvormittags interessierten Gästen eine Stunde lang die Camera obscura im dreizehnten Stock vor, die Freddy repariert hatte. Sie hatte ihm versprochen, sich darum zu kümmern. Sie mochte auch ihre Schule und hatte sich sogar mit ein paar Kindern angefreundet. Aber worauf sie sich am allermeisten freute, war, einmal in der Woche eine Nachricht von Freddy zu bekommen, mit dem sie in den zwei vorangegangenen Weihnachtsferien etliche Abenteuer erlebt hatte und der in fünf Tagen zusammen mit seinen Eltern im Winterhaus eintreffen würde, um hier die Osterfeiertage zu verbringen.

      Freddy war ein Jahr älter als Elizabeth. Seine ungeheuer wohlhabenden Eltern hatten allerdings viel mehr Interesse an den Dingen, die sie kauften, und an den Orten, zu denen sie reisten, sodass Freddy für sie immer erst an zweiter oder dritter Stelle kam. Vier Jahre lang hatten sie ihn ausgerechnet in der Zeit, in der die meisten Familien versuchten, zusammen zu sein, allein im Winterhaus gelassen. Freddy machte das nichts aus, denn er liebte das Hotel genauso, wie Elizabeth es tat. Was Elizabeth besonders an Freddy mochte, war der Umstand, dass er trotz des Reichtums seiner Eltern nicht hochnäsig und arrogant war, sondern im Gegenteil sehr nett und außerdem unglaublich intelligent. Er war ein erstklassiger Erfinder, der nicht nur die Camera obscura wieder zum Laufen gebracht, sondern auch im Jahr zuvor das «WalnussWunderWarm» erfunden hatte, ein brennbares Scheit aus gepressten Walnussschalen. Elizabeth fand, dass sie und Freddy sich in vielerlei Hinsicht ähnelten – hauptsächlich, weil sie beide von Natur aus neugierig und ganz verrückt waren nach allem, was mit Anagrammen, Codes, Rätseln und allerlei Wortspielen zu tun hatte. Sie waren schon im ersten Jahr im Winterhaus beste Freunde geworden.

      Als sie ihren Laptop einschaltete, schaute sie zum Fenster, an dem die Vorhänge zurückgezogen waren. Im Schein der Lampen vor dem Hotel schwebte der Schnee durch das nachmittägliche Zwielicht wie Gischt von der Brandung einer Atlantikküste. Die Flocken waren überall, sausten in dichten Wolken durch den dunkler werdenden Himmel. Der Wind drückte gegen die Fensterscheibe, und Elizabeth zog ihren Pullover enger über die Schultern und wandte sich ihrem Computer zu, um Freddys E-Mail zu lesen:

       Ihr obenauf stellend! Ähm, ich meine natürlich: Hallo beste Freundin! (Nur für den Fall, dass du das Anagramm nicht selbst lösen konntest …) Ich hoffe, deine Woche war besser als meine. Am Montag habe ich meine Brille zerbrochen. Am Dienstag sollte mich mein Dad eigentlich zu einem Hockeyspiel mitnehmen, aber dann sagte er, er könnte nicht mitkommen, also musste ich stattdessen mit unserem Chauffeur gehen. Aber das war lustig. Jacques ist ein echt netter Kerl, und wir haben jede Menge Popcorn gegessen, und ich habe drei Eiscreme-Sandwiches gefuttert. Aber die Albatrosse haben im Penaltyschießen verloren, was nicht so gut war. Und am Mittwoch habe ich eine Erkältung bekommen. Wenigstens war gestern ein guter Tag; wir haben unsere Halbjahresnoten bekommen, und ich habe überall eine 1. Manche Dinge ändern sich nie. Sollte ein Scherz sein! (Na ja, eigentlich stimmt es ja, zumindest in dieser Beziehung. Was macht denn bei dir die Schule?)

      Und wie läuft es im Winterhaus? Klappt alles mit der Camera obscura? Hast du mittlerweile sechstausend von den Büchern der Bibliothek gelesen oder erst fünftausend? Geht es Norbridge gut? Und Leona? Und allen anderen? Ich bin immer noch ziemlich neidisch, dass du da wohnen darfst, aber ich freue mich auch für dich. Vielleicht kannst du Norbridge fragen, ob ich auch bei euch einziehen darf. (Wink mit dem Zaunpfahl: Oh bitte, ja, ja. Machst du das? Bitte?!?)

      Ich habe ein bisschen geforscht, und hier sind ein paar Updates für dich. Mach dich bereit, vor Ehrfurcht auf die Knie zu sinken: Fred – Rufe – Kufe – Fuge – Flug – Klug. Du weißt, was ich meine, nicht wahr? Aber mal was anderes: Ich habe mir diese Website über Ahnenforschung angeschaut, von der ich dir erzählt habe – wogenauduherkommst.com –, um herauszufinden, ob es zwischen den ganzen Leuten, die Gracella geholfen haben, irgendwelche Verbindungen gibt. Also, wir wissen Folgendes: Riley Granger (oder, wie ich ihn nenne: «Der Typ, der vor langer, langer Zeit all die verrückten und rätselhaften Dinge im Winterhaus erschaffen hat, nur um uns in den Wahnsinn zu treiben») war der Vater von Ruthanne Sweth Granger, die Monroe Hiems heiratete. Ihr Sohn war Marcus Hiems (der aus diesem Grund die Geschichten über das Buch kannte) und der wiederum Gracellas Tochter Selena Winters heiratete. Außerdem heiratete Rileys Cousine Jenora Sweth einen Kerl namens Peter Powter, und die beiden bekamen einen Sohn, Ernest Powter, den Vater von Rodney und Elana. Die Powters sind mit Selena verwandt, weshalb sie so gut über Winterhaus Bescheid wussten. Aber ich habe Neuigkeiten: Peter Powter hatte eine Schwester namens Patricia, und sie war diejenige, deren Namen du in dem alten Gästebuch gefunden hast! Du weißt schon, die Frau, die mit dem alten Riley Granger im Winterhaus war. Unheimlich, was? Und interessant!

       Und noch etwas habe ich herausgefunden. Zwar hatte ich keinen Erfolg in meiner Recherche über die Dredforth-Methode, aber vor ein paar Tagen bin ich auf einer Website mit dem Titel «Der blutrote Skarabäus» gelandet. Ich weiß nicht, wer das ganze Zeug zusammengestellt hat, aber es geht von vorne bis hinten nur um Magie. Ich habe dir das Wichtigste rausgeschrieben:

      Der schottische Scharlatan und Bösewicht Aleister Winters deutete wiederholt an, dass er und sein Zirkel das Geheimnis des ewigen Lebens durch ein Ritual ergründet hätten, das er die «Dredforth-Methode» nannte. Winters glaubte, dass sich Seelen von menschlichen Körpern lösen und später wieder in sie einkehren könnten, wenn die Umstände optimal seien. Aber Winters behauptete, dass im Falle eines Todes die «unbehauste Seele» spätestens am Abend des dritten Vollmonds nach dem Dahinscheiden der Person mit dem Körper wieder vereint werden müsse, ansonsten

Скачать книгу