Die Magie von Winterhaus. Ben Guterson

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Die Magie von Winterhaus - Ben Guterson

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Er rieb sich die Stirn. «Und ich bin müde.»

      Mr. Wellingtons Blick huschte eilig über die Puzzleteile, die verstreut auf dem Tisch lagen. Dann strich er sich über das Kinn und lächelte Jackson an, woraufhin er tief Luft holte.

      «Sie haben recht, Jackson», sagte er. «Eine kurze Unterbrechung wird wohl nichts schaden. Nun denn, auf in unsere Zimmer!» Er winkte Mr. Rajput, ihm zu folgen, und die beiden Männer gingen in Richtung Fahrstuhl. «Auf dass wir unseren Aufenthalt im Winterhaus genießen, wie immer.» Er drückte den Knopf und wandte sich noch einmal zu Jackson und Elizabeth. «Bis heute Abend.»

      Mr. Rajput wedelte lustlos mit der Hand, als sich die Fahrstuhltür öffnete. «Wir sehen uns beim Abendessen, vorausgesetzt, uns stößt bis dahin kein Ungemach zu.»

      «Sir!», protestierte Mr. Wellington, als er mit seinem Freund in den Fahrstuhl trat. «Natürlich sehen wir sie beim Abendessen. Und dann machen wir uns gleich wieder an die Arbeit an …»

      Die Tür schloss sich. Elizabeth starrte sie an, als ob die beiden Männer ihre Meinung ändern und wieder zurückkommen würden. Dann blickte sie zu Jackson, der ebenfalls die Fahrstuhltür nicht aus den Augen ließ.

      «Die beiden sind ja ganz wild darauf, das Puzzle fertigzukriegen», sagte sie.

      «Das Reisen kann manche Leute ziemlich durcheinanderbringen», sagte Jackson mit hochgezogenen Augenbrauen.

      Er schaute sich in der Lobby um. An einem Samstagnachmittag vor drei Monaten, in der geschäftigen Vorweihnachtszeit, wäre hier einiges los gewesen: Leute, die in alle Richtungen eilen – Angestellte bei den Vorbereitungen für die Festessen und Konzerte und Gäste auf dem Weg hinaus zum Schlittschuhlaufen oder hinein für eine Tasse heiße Schokolade im Wintersaal. Dann wirkte Winterhaus wie ein Bahnhof im Berufsverkehr. Aber jetzt, an einem dunklen Tag Mitte März, zwei Wochen vor Ostern, war das Hotel nur zur Hälfte ausgebucht, und die Abende verbrachte man im hoteleigenen Kino oder bei stillen Konzerten. Elizabeth liebte die Weihnachtszeit im Winterhaus, aber sie merkte, dass sie jetzt, da sie hier im Hotel wohnte, auch die ruhigeren Zeiten schätzte.

      «Du sagtest, dass Norbridge mich sehen will?»

      «Um vier Uhr im Observatorium.»

      Das Observatorium befand sich im dreizehnten Stock, ganz oben, wo Norbridge ein kostbares Teleskop auf einem überdachten und von Fenstern eingefassten Balkon aufbewahrte, sodass es möglich war, die Welt rings um Winterhaus bei Tag und die Sterne und Planeten in der Nacht zu beobachten. Dort befand sich auch ein Büro, in dem er die wichtigsten Angelegenheiten des Hotels regelte.

      «Ich glaube», sagte Jackson, «es geht um Elana.»

      Elizabeth erschauerte. Elana. Es war in der Silvesternacht gewesen, in den düsteren Tunneln unter dem Winterhaus, dass Elana Vesper – oder besser gesagt Elana Powter, wie Elizabeth jetzt wusste – ein tragisches Schicksal ereilt hatte. Elana war von ihren Eltern, die mit Gracella unter einer Decke steckten, gezwungen worden, gegen Elizabeth zu intrigieren, um Gracella wieder zu ihrer alten Stärke zu verhelfen. Dazu wollte sich Gracella Elizabeths neu gewonnener Macht bedienen, doch Elizabeth entschloss sich dazu, diese Macht für sich zu behalten, und besiegte die böse Zauberin. Aber in der Schlacht in den verschlungenen Minengängen unter dem Hotel hatte Gracella in einem letzten, verzweifelten Versuch, sich selbst zu retten, Elanas Körper ihre Lebensjahre entzogen, mit dem Ergebnis, dass die zwölfjährige Elana nun eine schwache und runzelige alte Frau von neunzig Jahren war. Eine entsetzliche, erschreckende Tragödie, umso mehr, als sich herausstellte, dass Elana ein unschuldiges Bauernopfer ihrer eigenen hinterhältigen Familie war. Nach den dramatischen Ereignissen in der Silvesternacht waren Elanas Eltern und ihr Bruder verschwunden und hatten Elana allein zurückgelassen.

      Elizabeth fühlte sich elend bei dem Gedanken an Elanas Unglück. Sie fand, dass das andere Mädchen viel schlimmer bestraft worden war, als sie es für die wenigen Hilfestellungen, die sie ihren Eltern bei ihrem üblen Plan geleistet hatte, verdiente. Wenn es irgendetwas gab, das ihr helfen konnte, wollte Elizabeth es ausfindig machen. Sie wusste, dass Norbridge genauso dachte. Im Augenblick wohnte Elana in einem Zimmer im vierten Stock, das sie nie verließ. Sie befand sich in einem Zustand permanenter Trauer und Verwirrung, und es war schwer zu sagen, ob sie überhaupt verstand, wo sie war oder was mit ihr geschehen war. Manchmal fragte sich Elizabeth, ob Elanas Geist sich durch die Ereignisse dauerhaft umnachtet hatte. So traurig es auch war, möglicherweise gab es keine Hoffnung mehr für sie.

      «Ist etwas mit ihr geschehen?», fragte Elizabeth.

      «Ich glaube, sie möchte mit dir und Norbridge reden», sagte Jackson. «Soweit ich das mitbekommen habe, geht es ihr besser. Hoffen wir, dass sie über den Berg ist.»

      Diese Nachricht kam überraschend für Elizabeth und sie freute sich sehr darüber. «Das klingt ja großartig!» Sie schaute zu der Uhr auf dem Pagentisch. «Ich werde pünktlich um vier oben sein.»

      «Wunderbar», sagte Jackson. Er nickte und wandte sich dem Tisch zu, wo Sampson ein paar Unterlagen durchblätterte. Dann ging er auf ihn zu. «Machen Sie keinen Buckel, Sir!», rief er. «Das ist schlecht für den Rücken und schlecht für die Wirbelsäule. Aufrecht stehen! Aufrecht!»

      Elizabeth wollte sich schon der Treppe zuwenden, als ihr Blick wie von selbst noch einmal zu dem Puzzle wanderte und sie den unwiderstehlichen Drang verspürte, weitere passende Teile zu finden. Sie betrachtete den Tempel auf dem Motiv und das Wort, das in einer ihr unbekannten Sprache über den Türen eingemeißelt war. Mr. Wellington hatte ihr einmal erzählt, es bedeute «Glaube», und jedes Mal, wenn Elizabeth daran dachte, überkam sie ein tröstliches Gefühl. Mit einem Finger fuhr sie über die Buchstaben, als würde sie ein Blatt Papier glätten, und legte dann den Finger auf ihren Pullover, auf die Stelle, unter der sich der Anhänger mit demselben Wort darauf befand.

      Ein Schauer überlief sie, ganz ähnlich wie das Gefühl, aber merkwürdig kalt und scharf. Ohne nachzudenken, nahm sie ein Puzzleteil in die Hand – wieder ein Stück des blauen Himmels – und starrte es an. Nach einem prüfenden Blick über die Schulter, ob nicht etwa Jackson, Sampson oder sonst jemand herübersah, steckte sie das Puzzleteil in ihre Tasche, holte tief Luft und ging dann zur Treppe, hinaus aus der Lobby.

      Sie hatte gerade eins der fünfunddreißigtausend Teile von Mr. Wellingtons und Mr. Rajputs Puzzle gestohlen.

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      KAPITEL 4

      WOHIN DIE SEELE SENDEN?

      Elizabeths Zimmer mit der Nummer 301 befand sich im dritten Stock und war so hell und freundlich, wie das Zimmer bei ihrer Tante und ihrem Onkel in dem schäbigen Haus in Drere düster und trüb gewesen war. Man muss sich vorstellen, in einem Hotel zu leben, wo für alles gesorgt und alles erledigt wird, aber mit all den Dingen, die einem lieb und teuer sind: die eigenen Bücher auf einem großen Regal aus Eichenholz, die eigenen Kleider in einem Kirschbaumschrank, die eigenen Poster an den Wänden – Huskies vor einem Schlitten, der junge Artus, der Excalibur aus dem Stein zieht, das Cover von Der Herr der Diebe, das Schnabeltier aus dem dritten Cattle-Battle Film Die Rückkehr der Heifers – und Ketten mit Glitzerkram, kleinen Fähnchen und Lichtern kreuz und quer über der Decke. So sah es in Elizabeths Zimmer aus. Sie liebte es. Und manchmal konnte sie kaum glauben, dass all das ihr gehörte. Am liebsten saß sie auf dem Sofa, schaltete die Tiffany-Lampe ein und las stundenlang. Wenn die Vorhänge offen waren und den Blick freigaben auf den Winterhimmel, den Lake Luna und die Berge dahinter, umso besser. Aber

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