Kärntner Totenmesse. Roland Zingerle
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Heinz war froh, als er das Speiselokal auf der obersten Geschäftsebene erreicht hatte, allerdings nur kurz, denn das Lokal war überfüllt, und die Aussicht, an einem kleinen Tisch eng an eng mit den nächsten Gästen zu sitzen, behagte ihm überhaupt nicht.
Sabine wartete schon. Sie war in ihre Einheitskluft gekleidet, Bluejeans, Cowboystiefel und Lederjacke, die ihrem athletischen Körperbau durchaus schmeichelte, und wie üblich trug sie eine für Polizisten typische Ausstrahlung zu Schau, dieses Offensive, Resolute, Bestimmende, keinen Widerspruch Duldende. Soweit Heinz sich zurückerinnerte, war Sabine schon immer so gewesen, sie war als Polizisten zur Welt gekommen. Sie stand neben dem Eingang, strategisch günstig, um sowohl den Innenbereich des Lokals als auch dessen Außenbereich inmitten der Bummelzone zu überblicken. Von dort bewegte sie sich auch nicht weg, als sie ihn sah, sie wartete, bis er zu ihr kam.
„Heinz, du schaust aus wie ein Asozialer“, begrüßte sie ihn mit der ihr eigenen Herzlichkeit und küsste ihn auf beide Wangen.
„Ich hab’ dich auch gern“, konterte er.
Ihr Gesicht wurde ernst. „Heinz, ich mache mir Sorgen um dich. Wir machen uns Sorgen um dich. Du schottest dich so ab ... wir wollen dir doch helfen.“
Heinz spürte seinen Fuß zucken, die körperliche Äußerung seines Wunsches, die Flucht zu ergreifen. Doch da musste er jetzt durch. „Ich weiß, Sabine, aber ihr könnt mir nicht helfen, bitte versteh das.“ Das stimmte nur zum Teil. Sie hätten ihm helfen können, wenn sie nur für ihn da gewesen wären, um ihm zuzuhören und ihn in die Arme zu schließen. Aber sie wollten ihm Entscheidungen abnehmen, Dinge für ihn tun, die er nicht wollte, von denen sie aber glaubten, sie seien gut für ihn. Sie wollten ihn bevormunden. Sie hatten keine Ahnung.
Sabine zischte und wandte sich kopfschüttelnd von ihm ab. „Und was dann?“, fragte sie schließlich, „als du mich vorhin angerufen hast, hast du gesagt, du brauchst meine Hilfe und jetzt doch wieder nicht?“
„Du weißt schon, wie ich das meine.“
Sie stellte sich vor ihn hin, starrte ihn fast bedrohlich an und rief: „Ja, Heinz, ich weiß genau, wie du das meinst, ganz genau! Der liebe Bruder braucht die Hilfe seiner großen Schwester – aber immer nur dann, wenn er sich seine Arbeit leichtmachen will.“
Unangenehm berührt blickte Heinz um sich und sah eine Menge Augenpaare auf sich gerichtet. Sabine schien das egal zu sein, sie starrte ihn unverändert an. Beides blockierte ihn, er schwieg. Nach Sekunden, die sich endlos anfühlten, gab Sabine ihren psychischen Belagerungszustand auf, drehte sich zur Seite und verschränkte die Arme. Heinz wollte etwas sagen, mehrmals, doch ihm fehlten die passenden Worte.
„Da drüben wird was frei“, sagte sie schließlich und setzte sich rasch in Bewegung, um vor den anderen Wartenden bei jenem Tisch im Außenbereich zu sein, von dem gerade ein junges Paar aufstand.
Kurz darauf saßen sie und Heinz in einem Quasi-Sitzgarten inmitten der Bummelzone. Es war genauso, wie Heinz es befürchtet hatte: ein kleiner Zwei-Sessel-Tisch mit gerade einmal einem halben Meter Abstand rechts und links zu den nächsten Gästen. Schlimmer noch, direkt hinter ihm gingen die Einkaufswilligen vorbei, immer wieder so nahe, dass ihre Kleidung Heinz’ Hinterkopf streifte. Er fühlte einen Stress, der den Keim einer Panik in sich trug.
Sabine sah mit zusammengezogenen Augenbrauen die Speisekarte durch, die in einem Bierdeckelhalter in Tischmitte geklemmt war.
Auch das hatte Heinz befürchtet, dass sie sauer werden und ihm die kalte Schulter zeigen würde.
„Was nimmst du?“, fragte sie betont kalt.
Er sah sie an. „Einmal ‚Heiße Liebe’ wäre schön.“
Es wirkte. Sabine blickte ihn überrascht an, hielt eine Sekunde lang inne und begann dann zu lachen, sichtlich wider Willen. „Du bist so ein ...!“
Die Kellnerin kam, räumte das gebrauchte Gedeck der letzten Gäste vom Tisch und säuberte diesen mit einem nassen Lappen. Sabine bestellte gespritzten Orangensaft, Heinz Mineralwasser.
Als sie wieder weg war, war Sabines Blick für Heinz schon um einiges freundlicher. „Also, kleiner Bruder, wo drückt der Schuh?“
Sie wusste, dass er es nicht mochte, wenn sie ihn so nannte, und er wusste, dass sie es genau deshalb tat. Er musste zum Punkt kommen, damit nicht wieder sein Zustand in den Mittelpunkt der Unterhaltung geriet. Allerdings hatte er keine Ahnung, wie er das bewerkstelligen sollte, ohne dass Sabine eine Mauer zwischen ihnen aufziehen würde.
Er fiel also mit der Tür ins Haus. „Landesrat Rudi Moritsch.“
Erwartungsgemäß verhärtete sich ihr Gesicht sofort. „Was hast du damit schon wieder zu tun?“
„Ich habe den Auftrag bekommen, seinen Mörder zu finden.“
Sabine überspielte ihre Überraschung sehr geschickt, niemand außer Heinz hätte das bemerkt. „Von wem?“ Sie war nun nicht mehr seine Schwester, sie verhörte ihn.
„Von jemandem, der kein Vertrauen in die Polizei hat.“
„Lass mich raten, die Frau Landesrätin a. D., seine Mutter.“
Heinz’ Hand imitierte eine Pistole, die auf Sabine abgefeuert wurde. „Ins Schwarze, Schwester.“
„Und ich soll dir jetzt helfen? Vielleicht soll ich, wenn wir den Mörder gefunden haben, noch ein bisschen warten, bevor wir damit an die Öffentlichkeit gehen? Damit du es ihr zuerst sagen kannst? Damit sich ihr Misstrauen gegenüber der Polizei bestätigt?“
Heinz seufzte. Ihm war klar, dass sein passives Auftreten der Grund dafür war, warum sie noch sarkastischer war als gewöhnlich. „Deine Hilfe wäre ganz anderer Art“, begann er. „Wie du weißt, bin ich finanziell ziemlich unter dem Hund, es dauert nicht mehr lange und ich werde meine Wohnung aufgeben müssen. Ich brauche diesen Auftrag, verstehst du?“
„Voll und ganz“, erwiderte Sabine heftig, „Mama und Papa haben dir mehrmals angeboten, dass du bei ihnen wohnen kannst, bis es dir besser geht, aber der Herr ist sich ja zu fein dafür.“
Heinz vergrub das Gesicht in seinen Händen. Da war er wieder, dieser panische Drang zu fliehen. „Bitte ... nein! Ich will in meiner Wohnung bleiben, okay?“
Sabine lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Du kannst tun, was immer du willst.“
„Ich brauche diesen Auftrag, und ich brauche deine Hilfe. Ohne dich schaffe ich es nicht.“
„Wie stellst du dir das vor?“ Sie wurde nun doch wieder laut. „Dass ich als Leiterin der Mordgruppe dir Informationen aus erster Hand liefere? Nur weil du mein armer, bemitleidenswerter Bruder bist?“
Wie