Eine Geschichte von zwei Städten. Charles Dickens

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Eine Geschichte von zwei Städten - Charles Dickens

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hatte ihr Haupt auf meine Schulter gelegt an jenem Abend, als ich hinausgerufen wurde – sie fürchtete sich, als ich ging, obschon ich unbesorgt war –, und als man mich nach dem Nordturm brachte, fand man dies auf meinem Ärmel. ›Ihr laßt sie mir doch? Sie können nichts dazu beitragen, daß ich mich körperlich den Kerkermauern entwinde, obschon sie mich ihnen vielleicht geistig entziehen.‹ Dies waren die Worte, die ich sagte. Ich erinnere mich ihrer recht wohl.«

      Seine Lippen mußten oftmal ansetzen, bis sie diese Rede hervorbrachten. Nachdem er aber einmal die Worte gefunden hatte, kamen sie zwar langsam, aber doch zusammenhängend zur Äußerung.

      »Wie war dies? – Bist du's gewesen

      Abermals wollten die zwei Zuschauer sich ins Mittel legen, da er mit einer beängstigenden Hast sich zu ihr wandte. Sie aber rührte sich nicht unter seiner Hand, sondern sagte nur mit leiser Stimme:

      »Ich bitte euch, meine guten Herrn, bleibt zurück – sprecht nicht, rührt euch nicht.«

      »Horch!« rief er. »Wessen Stimme war dies?«

      Bei diesem Ausruf ließen seine Hände sie los und fuhren nach dem weißen Haar, das sie wahnsinnig zerrauften. Doch auch diese Aufregung erstarb, wie alles in ihm erstorben war, sein Schuhmachen ausgenommen. Er faltete sein Päckchen wieder zusammen und versuchte, es in seiner Brust zu verbergen. Dabei sah er sie fortwährend an und schüttelte düster den Kopf.

      »Nein, nein, nein: Ihr seid zu jung, zu blühend. Es kann nicht sein. Seht, was aus dem Gefangenen geworden ist. Dies sind nicht die Hände, die sie kannte. Dies Gesicht ist ihr fremd, und eine solche Stimme hat sie nie gehört. Nein, nein. Es sind Menschenalter, seit sie war – seit er war – vor den langsamen Jahren des Nordturms. Wie heißt Ihr, mein zarter Engel?«

      Den sanfteren Ton, das mildere Wesen mit Freude begrüßend, fiel die Tochter vor ihm auf die Knie nieder und legte bittend ihre Hände auf seine Brust.

      »Oh, Herr, zu einer andern Zeit sollt Ihr erfahren, wie ich heiße, wer meine Mutter, wer mein Vater war, und wie ich nie etwas von ihrer schmerzlichen Geschichte erfahren habe. Jetzt aber, und hier, kann ich Euch dies nicht sagen. Nur eines jetzt und hier – ich bitte, rührt mich an und segnet mich. Küßt mich, küßt mich! O Himmel! o Himmel!«

      Sein kalter weißer Kopf kam in Berührung mit ihrem wallenden Haar, das ihn wärmte, als sei es das Licht der Freiheit, das auf ihn niederschien.

      »Wenn Ihr in meiner Stimme – ich weiß nicht, ob es so ist, aber ich hoffe es – wenn Ihr in meiner Stimme eine Ähnlichkeit mit einer andern erkennt, die früher wie süße Musik in Eurem Ohre klang, so weinet, weinet um sie! Wenn Ihr durch die Berührung meiner Haare an ein geliebtes Haupt erinnert werdet, das an Eurer Brust lag, als Ihr noch jung und frei waret, so weinet, weinet darum. Wenn Euch der Hinweis auf eine Heimat, in der Euch meine treuen Dienste zuteil werden sollen, eine andere ins Gedächtnis ruft, die längst verödet ist, während Euer armes Herz verschmachtete, so weint, weint um sie!«

      Sie hielt seinen Hals inniger umschlungen und wiegte ihn an ihrer Brust wie ein Kind.

      »O mein Lieber, Guter, wenn meine Versicherung, daß Euer Jammer vorüber ist und daß ich hierher gekommen bin, um Euch fort, hinüber nach England zu nehmen, wo Ihr Frieden und Ruhe finden werdet – wenn diese Versicherung den Gedanken an Euer zugrunde gerichtetes nützliches Leben und an unser heimatliches Frankreich, das so schändlich an Euch gehandelt hat, in Euch wachruft, so weinet. Und wenn Ihr aus der Nennung meines Namens, aus dem Namen meines noch lebenden Vaters und dem meiner heimgegangenen Mutter erkennt, ich habe kniefällig einen verehrten Vater um Verzeihung zu bitten, weil ich mich nicht für ihn tagtäglich abmühte und um seinetwillen nachts die bittersten Tränen vergoß, weil die Liebe meiner armen Mutter mir seinen schrecklichen Zustand verborgen hatte, so weinet, weinet darüber. Ja, weint um sie – und um mich! Meine guten Herren, Gott sei Dank! Ich fühle diese heiligen Tränen auf meinem Antlitz, und sein Schluchzen schlägt gegen mein Herz. Oh, seht – danket, danket Gott statt unserer.«

illustration

      Wiederfinden von Vater und Tochter.

      Er war in ihre Arme und sein Haupt an ihre Brust gesunken – ein Anblick, so rührend und doch so schrecklich in dem Gedanken an die vorausgegangenen erschütternden Leiden, daß die beiden Zuschauer das Gesicht verhüllten.

      Die Stille der Dachkammer erlitt keine Störung, und seine wogende Brust, sein erschütterter Körper hatte längst die Ruhe gefunden, die, ein Sinnbild des Menschenlebens, jedem Sturm folgt. Endlich kamen sie heran, um Vater und Tochter von dem Boden aufzuheben. Er war allmählich hingesunken und lag in der Ohnmacht der Erschöpfung da; sie hatte sich zu ihm niedergeworfen, damit ihr Arm ihm zum Kissen, ihr wallendes Haar zum Schirm gegen das Licht dienen möge.

      »Man sollte ihn nicht weiter stören«, sagte sie, ihre Hand gegen Mr. Lorry erhebend, als sich dieser nach unterschiedlichen Schneuzversuchen zu ihnen niederbeugte, »sondern alles zur Abreise von Paris in einer Weise vorbereiten, daß man ihn von dieser Tür aus fortnehmen kann.«

      »Aber bedenkt doch. Wird er eine solche Reise machen können?« fragte Mr. Lorry.

      »Viel besser, denke ich, als wenn er länger in dieser für ihn so schrecklichen Stadt bleiben müßte.«

      »Es ist wahr«, sagte Defarge, der neben dem Ohnmächtigen niedergekniet war. »Auch sprechen außerdem alle Gründe dafür, Monsieur Manette aus Frankreich fortzuschaffen. Soll ich einen Wagen und Postpferde bestellen?«

      »Das ist ein Geschäft«, versetzte Mr. Lorry, der nicht lange brauchte, um sich wieder in sein methodisches Wesen zu finden, »und wo sich's um Geschäfte handelt, bin ich der Mann auf dem Platz.«

      »Dann seid so gut, uns jetzt allein zu lassen«, drängte Miß Manette. »Ihr seht, wie ruhig er geworden ist, und habt wohl nichts mehr zu fürchten, wenn ich bei ihm bleibe. Warum auch? Wenn ihr die Tür abschließen wollt, um uns vor Störung zu bewahren, so zweifle ich nicht, daß ihr bei eurer Rückkehr ihn ebenso finden werdet, wie ihr ihn verlaßt. Jedenfalls will ich für ihn Sorge tragen, bis ihr wiederkommt, und dann werden wir ihn fortnehmen können.«

      Sowohl Mr. Lorry als Defarge erhoben Einwände gegen diesen Vorschlag und wollten, daß wenigstens einer von ihnen bei ihr bleiben solle. Aber man hatte nicht nur einen Wagen und Pferde, sondern auch Reisepapiere zu besorgen. Die Zeit drängte, der Tag neigte sich zu Ende, und so kamen sie rasch zu der Übereinkunft, daß sie sich in die nötigen Geschäfte teilen und sich unverweilt an ihre Ausführung machen wollten.

      Als nun die Dunkelheit einbrach, legte die Tochter an der Seite ihres Vaters das Haupt auf den harten Boden und wachte bei ihm. Es wurde immer dunkler, und sie beide lagen ruhig da, bis ein Lichtstrahl durch die Wandrisse blinkte.

      Mr. Lorry und Monsieur Defarge hatten alles für die Reise vorbereitet und brachten außer einem Mantel und Schaltüchern auch Brot, Fleisch, Wein und heißen Kaffee mit. Monsieur Defarge stellte den Korb und die Laterne, die er bei sich hatte, auf die Schuhmacherbank – es war sonst außer dem Pritschenbett kein anderes Möbel mehr in der Kammer –, weckte den Gefangenen und half ihm unter Mr. Lorrys Beihilfe auf die Beine.

      Kein menschlicher Verstand vermochte in der scheuen, leeren Verwunderung des Gesichtes die Geheimnisse seines Geistes zu lesen. Wußte er wohl, was vorgegangen? Erinnerte er sich dessen, was gesprochen worden? Hatte er eine Vorstellung davon, daß er frei war? Diese Fragen war kein Scharfsinn zu lösen imstande. Sie versuchten, mit ihm zu reden. Aber er war so verwirrt und konnte sich

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